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Wenn’s im Design um die Wurst geht
von Milenka Thomas | 08.10.2012

Zwischen herrschaftlichen Prachtbauten aus Zeiten des Barock und Jugendstils wandelt der gemeine Wienbesucher ja zumeist auf den Spuren der berühmten Söhne und Töchter des Landes. Dass man die österreichische Hauptstadt auch auf weniger klischeehaftete Weise und unter ganz anderen Aspekten entdecken kann, hat die kürzlich ausgetragene Vienna Design Week einmal mehr bewiesen. Los ging es also, auf einen Städtetrip im Zeichen des Designs! Man musste nur den Stühlen folgen, die bei der sechsten Ausgabe des Designfestivals in hoffnungsvollem Grün auf die zahlreichen Veranstaltungsstätten und Ausstellungsräume hinwiesen. Welche Rolle die Wurst bei dieser Reise spielte – dazu später mehr.

Um einen übergreifenden Zusammenhang herzustellen, hat sich die zehntägige Veranstaltung aktuellen Themen wie Social- und Green-Design, Recycling und Stadtarbeit verschrieben. In Wien hat das – überraschenderweise – viel mit Rückbesinnung zu tun, damit, Bestehendes einzubeziehen, auf Geschichte und Geschichten zurückzugreifen, die in der Stadt so zahlreich vorhanden sind. Eindrucksvoll präsentiert wurde dieser Leitgedanke im Rahmen der Passionswege, dem zentralen Programmpunkt der Vienna Design Week. Zehn internationale und österreichische Jungdesigner wurden hierfür mit Wiener Traditionsunternehmen zusammengebracht, um gemeinsam und durchaus experimentell an einem Projekt zu arbeiten. Vorgestellt wurde, was dabei herausgekommen ist, vor allem im 16. und 17. Bezirk rund um die Ottakringer Straße, in einer Gegend, die oft als „Ur-Wienerisch“ bezeichnet wird und gegenwärtig durch ein buntes, multikulturelles Miteinander geprägt ist. In den unterschiedlichsten Räumlichkeiten wurden hier – und an anderen Orten der Stadt – die Früchte des Ideenaustauschs vorgestellt: Etwa im edlen Ambiente der Wiener Silber Manufactur, wo die französische Industriedesignerin Charlotte Talbot zwischen auf Hochglanz polierten Silberlöffeln und Galanteriewaren ihre zeitgenössische Interpretation eines Tafelsilber-Gedecks präsentierte. Einen Kontrast dazu bildete der herbe Charme der Werkstatt von Norbert Meier, einem alteingesessenen Wiener Bürsten- und Pinselerzeuger, bei dem die polnische Designerin Matylda Krzykowski ihr Projekt vorstellte. Gemeinsam mit Norbert Meier und Thomas Petz, dem Inhaber der ebenfalls in Wien ansässigen „Petz Hornmanufaktur“, hat sie unter dem Titel „Borste & Horn“ verschiedene Objekte aus beiden Materialien entwickelt. Zwischen allerlei Maschinerie und dutzenden Aufbewahrungsboxen, die Bürsten jeder erdenklichen Art enthalten, gab sie außerdem warmherzig Einblick in die Geschichte zweier Handwerksbetriebe, die – bedauerlicherweise – die letzten ihrer Zunft sein könnten.

Zu guter Letzt führten die grünen Stühle die Reisegesellschaft zur Fleischerei Sterkl, einem Familienunternehmen und Wiener Original am Brunnenmarkt, das jüngst eine schweinefleischlose Wurst für das multikulturell geprägte Stadtviertel in ihr Sortiment aufgenommen hat. Und so ward für das Linzer Designduo March Gut die Idee für das „Brunnenviertler-Menü“ geboren, eine Kombination aus Rezeptkarte und Lageplan, mit deren Hilfe man die besagte Wurst mit Zutaten der Nachbarstände des Brunnenmarktes zubereiten kann.

So unterschiedlich die Präsentationen der Passionswege auch ausgefallen sind, so war doch beinah an allen Stationen eine ehrliche und anerkennende Wertschätzung des Könnens, Wissens und der Geschichte des jeweiligen Projektpartners zu spüren. Der Erfolg der Passionswege verdankt sich somit nicht allein einem finalen Produkt. Vielmehr wurde spürbar, dass gemeinsam ein Weg beschritten und ein Schaffensprozess durchlaufen worden ist – was die Kuratoren der Veranstaltung etwas umständlich mit den Begriffen „Wissenstransfer und Ideenaustausch“ beschworen.

Eine logische Erweiterung dieses Prinzips stellte auch die aktive Einbindung der Besucher in das Programm der Vienna Design Week dar. Im Wiener Stilwerk etwa realisierte die Möbelmanufaktur Thonet mit dem österreichischen Designstudio breadedEscalope das Projekt „Misfits Revisited“. In Form eines Workshops konnten Teilnehmer aus ausrangierten Teilen der Thonet-Produktion ihre eigenen Freischwinger- und Kaffeehausstuhl-Objekte kreieren und diese später sogar behalten.

Auch ein internationaler Bezug durfte natürlich nicht fehlen. Das diesjährige Gastland Spanien präsentierte sich mit zwei eigenen Ausstellungen und zahlreichen weiteren Arbeiten und machte deutlich, dass kreatives Denken und Schaffen – auch oder gerade in Zeiten wirtschaftlicher Krisen – möglich und nötig ist.

Das war sie also, die Vienna Design Week 2012: Ein Ort, an dem man dazu angeregt wurde, etwas zu entdecken, mit anzufassen, zu lernen, teilzuhaben und zu staunen; ein Ort, an dem Alt und Jung, Tradition und Innovation sich wie selbstverständlich begegneten. Die Vienna Design Week bleibt also ein erfrischender Weg, eine Stadt und deren Kreativszene überraschend anders wahrzunehmen. Sicher wird man sich auch im kommenden Jahr wieder etwas Originelles einfallen lassen.