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Biotope Architekten bauen einfachste Unterstände, aus denen sich die spektakuläre Vogelwelt Nordnorwegens besser beobachten lässt.

Winterharte Häuser 5
Architekten am Eismeer

Die drei Gründer von Biotope Architekten teilen zwei große Leidenschaften: Architektur und Vögel. Deswegen gründeten sie ihr Büro auf einem Felsen am Eismeer in Nordnorwegen, auf dem sich seltene Vögel besonders gut beobachten lassen.
von Florian Heilmeyer | 19.12.2016

Die Architekten von Biotope Architekten betreiben im äußersten Norden Norwegens, in Vardø, das möglicherweise nördlichste Architekturbüro der Welt. Eigentlich ist Vardø kaum mehr als ein Felsen vor der äußersten Nordostspitze des Landes, gut vier Grad nördlich des Polarkreises. Die rund 2.000 Einwohner verteilen sich über die Insel Vardøya und die Vogelfelsen um die Insel Hornøy im Eismeer. Die Polarnacht dauert hier zwei volle Monate, ein drei Kilometer langer Straßentunnel ist die einzige Verbindung der Insel mit dem Festland und es ist nur schwer vorstellbar, dass diese Gegend laut archäologischen Funden schon seit 9.000 Jahren besiedelt sein soll. Wie, bitte schön, konnten Menschen hier 8.950 Jahre vor der Erfindung warmer Funktionskleidung überleben? 

Für die Beobachtung seltener Wildvogelarten ist Vardø allerdings ein Paradies. Das ist auch der Grund, warum Tormod Amundsen, Elin Taranger und Alonza Garbett ihr Büro hier gegründet haben. Alle drei sind zunächst enthusiastische Vögelbeobachter - und erst dann auch Architekten. Um ihre beiden Leidenschaften zu verbinden, haben sie ihr Büro ganz auf eine sehr spezielle Nische ausgerichtet: „Wir sind das wohl weltweit erste und einzige Architekturbüro mit einer Spezialisierung auf Vögel und Vögelbeobachtung“, sagt Amundsen. „Wir sind selbst Vogelbeobachter und engagieren uns in einigen Naturschutzprojekten. Als Architekten entwerfen wir Verstecke und kleine Unterstände, in denen man es bei der Vögelbeobachtung in unserem Klima besser aushalten kann. Wir entwickeln aber auch Aussichtsplattformen, kleine Sitztribünen oder Naturpfade, regionale Entwicklungskonzepte und Ausstellungen.“

Zum Übernachten sind die Schutzhütten von Biotope Architekten nicht, aber der Tanz der Nordlichter lässt sich trotzdem gut beobachten.

Amundsen erzählt, dass er sich schon seit seiner Kindheit für die Vögel begeistert hat. Die Idee, aus dieser Begeisterung einen Beruf zu machen, kam ihm im Abschlussjahr an der Universität in Bergen. An der Uni ging ihm das Nachdenken über Nachhaltigkeit nie weit genug; Architekten würden sich nur für die CO2-Emissionen oder den Energieverbrauch ihrer Neubauten interessieren, aber nicht für das grundlegende Verhältnis des Menschen zur (rauen) Natur. So gründete er mit seinen zwei Partnern zusammen Biotope als eine Art Naturschutz-Architekturbüro.

Ein Büro in einer der abgelegensten Ecken der Welt zu gründen erforderte einiges an Fantasie. Vor allem hat Biotope gute Kontakte zu den Gemeinden der Umgebung und zu privaten Reiseanbietern geknüpft. Nun vermitteln sie zwischen dem Tourismus, der angekurbelt werden soll, und den Bedürfnissen der Natur und der Vögel, die gerade in ihren Brutgebieten großen Wert auf Stille und Ungestörtheit legen. Die Architektur der kleinen Schutz- und Beobachtungsposten, auf die sich Biotope spezialisiert hat, bleibt also stets möglichst simpel und naturverträglich, die auffälligen Formen leiten sich direkt aus dem Spektakel der rauen Küstenlandschaften ab, in die sie sich einbetten. So wie der Unterstand, den sie 2015 über dem Kongsfjord gebaut haben. Wie ein großes, dunkles Stück Holz liegt er über dem Kliff und beugt sich mit einem großen Fenster über den Abgrund. Der kleine Raum schützt seine Besucher vor dem eisigen Wind, damit die Hände am Fernglas nicht so stark zittern. So schafft der kleine Bau beides: Hinter der Glasscheibe bleiben die Menschen für die Vögel verborgen, gleichzeitig bietet er eine hervorragende Aussicht auf die Nester in den Klippen.

Am Kongsfjord brüten seltene Vögel in den Klippen. Der Unterstand von Biotope bietet einen spektakulären Blick und schützt gleichzeitig die Ruhe der Vögel.

„Wir entwickeln unsere Unterstände immer aus dem Charakter des Ortes, aus den Sichtlinien und den Richtungen, aus denen der Wind kommt“, sagt Amundsen. „Wir müssen eine Balance finden zwischen dem Wunsch der Besucher, die Vögel sehen zu können, und den Bedürfnissen der Tiere.“ Die Konstruktion der Kleinsthäuser bleibt dabei so schlicht wie möglich, meistens sind es einfache Sitzgelegenheiten, die durch zwei, drei oder sehr selten auch vier Wände und ein Dach vor dem Schnee und dem Wind geschützt werden. Keinesfalls sollen sie zum Übernachten genutzt werden. Architektur ist für Biotope ein Werkzeug, mit dem die natürlichen Lebensräume der Tiere aktiv beschützt werden können: Denn wenn die Menschen etwas über die Sensibilität der rauen, wilden Landschaft lernen, wird diese von ihnen auch automatisch besser geschützt.

Biotope Architekten versuchen, die Bedürfnisse der Vögel mit den Ansprüchen eines wachsenden Tourismus zu verbinden.
Mit Formen und Materialien reagieren die Architekten auf die Umgebung: Die meisten Unterstände sind aus Holz, aber der im Hafen von Vardø wurde aus Beton gemacht.