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Oliver Elser und Miriam Kremser, Kuratoren der Ausstellung über die berühmte Wallfahrtskirche in Neviges von Gottfried Böhm, in Böhms St. Ignatiuskirche im Frankfurter Westend

Pop und Stadtraum unter schwerem Beton

Das Deutsche Architekturmuseum in Frankfurt am Main widmet dem großen Architekten Gottfried Böhm eine Ausstellung zum 100. Geburtstag – und konzentriert sich auf ein einziges Gebäude aus seinem Œuvre: die berühmte Wallfahrtskirche in Neviges. Warum? Ein Gespräch mit den Kuratoren der Ausstellung, Miriam Kremser und Oliver Elser.
von Adeline Seidel | 17.01.2020

Wir treffen die Kuratoren der Ausstellung "Böhm 100: Der Beton-Dom von Neviges", Miriam Kremser und Oliver Elser, in der Kirche St. Ignatius im Frankfurter Westen. Es ist ein gräulicher Wintertag. Beim Betreten der Kirche umhüllt uns kühle Dunkelheit. Am Taufbecken entlang führen Treppen zu dem nur wenig helleren Kirchenraum, dessen farbige Glasfenster die Augen zum Flackern bringen. Die Frankfurter Kirche ist eng verwandt mit der Wallfahrtskirche Maria, Königin des Friedens in Neviges, die im Mittelpunkt der Ausstellung des DAM steht. Beide Bauten wurden von Gottfried Böhm in den 1960er Jahren entworfen, St. Ignatius 1964, Neviges 1968 eingeweiht. Und es gibt auch architektonisch zahlreiche Parallelen. Zum Interview sind wir also umgeben von der Böhm’schen Architektursprache.

Adeline Seidel: Hundert Jahre Gottfried Böhm und sie fokussieren in der Ausstellung ausschließlich die Wallfahrtskirche in Neviges. Warum?

Miriam Kremser: Bereits 2006 hat das Deutsche Architekturmuseum eine umfassende Gottfried-Böhm-Ausstellung gezeigt. Doch den 100. Geburtstag wollten wir natürlich erneut feiern. Die Wallfahrtskirche ist ganz sicher eines der herausragendsten Projekte Gottfried Böhms. Und da wir den Vorlass des Architekten in unserem Archiv verwahren, können wir Aspekte des Bau beleuchten, die so noch nicht in einer Ausstellung thematisiert wurden.

Oliver Elser: Wir bespielen eine für Ausstellungen ungewöhnliche Fläche des DAM-Gebäudes von Oswald Mathias Ungers: Und zwar das Auditorium. Den knapp sechs Meter hohen Vortragsraum verkleiden wir mit schwarz-weißen Fototapeten, die den Besucher in den Innenraum der Kirche hineinversetzen. Böhm trifft auf Ungers! Die Grafiker Rahlwes.Pietz haben eine Collagetechnik entwickelt, bei der sie historische Fotos überlagern, so dass man tatsächlich einen Eindruck vom Innenraum bekommt. Außerdem zeigen wir, wie unterschiedlich die Kirche genutzt wurde. Der Kirchenraum konnte beliebig verändert werden, das Mobiliar war tatsächlich mobil – der Beton-Dom hatte im Innern den Charakter eines öffentlichen Platzes.

Wenn wir uns hier in St. Ignatius so umschauen: Welche Elemente sind äußerst „Böhm“ und auch in Neviges wiederzufinden?

Miriam Kremser: Das gefaltete Betondach ist ein Element, das hier wie auch in diversen anderen Kirchen von Gottfried Böhm zu finden ist. Aber man muss sagen: Keines reicht in seiner Komplexität an das von Neviges heran. Auch bei der Fenstergestaltung kann man viele Parallelen entdecken, doch die Farbigkeit unterscheidet sich immens! In St. Ignatius haben wir viel dunklere, - violette und weinrote – Töne. In Neviges kann man die Farben und ihre Leuchtkraft geradezu als poppig beschreiben.

Neviges, Wallfahrtskirche Maria, Königin des Friedens, Innenraum
Neviges, Wallfahrtskirche Maria, Königin des Friedens, Innenraum
Neviges, Wallfahrtskirche Maria, Königin des Friedens, Innenraum

Nun ja, es ist ein Nachmittag, es ist Januar, es regnet – wie soll da heute etwas leuchten?

Miriam Kremser: Erstaunlicherweise leuchten die Nevigeser Fenster auch bei bescheidenen Lichtverhältnissen intensiv in hellem Rot. Die Farbtöne in St. Ignatius ergeben eine gedämpftere Lichtstimmung. In Neviges ist Gottfried Böhm etwas ganz Besonderes gelungen. Er hat eine hohe, dunkle Höhle geschaffen. Der Beton wird je nach Tageszeit von den Wandfenstern in unterschiedlich farbiges Licht getaucht. Mal leuchtet er rot, mal blau – je nachdem wie er durch die Fenster angestrahlt wird.

Oliver Elser: Es steckt eine unglaubliche Materialsensibilität in beiden Kirchen: Die Oberflächen des Betons werden unterschiedlich behandelt und kombiniert, immer wieder Gegenakzente platziert. So wie hier der Altar aus weißem Marmor – gewaltige Blöcke, die präzise, aber sichtbar gefügt werden.

Beim Stichwort Oberflächen streicheln wir immer wieder andächtig über die unterschiedlichen Texturen des Betons an Wänden und Brüstungen. Wir gehen entlang der gefärbten Fenster, wo Oliver Elser und Miriam Klenser uns auf eine Besonderheit hinweisen:

Oliver Elser: Hier findet man – ebenso auch wie in Neviges – Namen und sogar Firmenlogos an den Fenstern.

Miriam Klemser: In Neviges kann man – unter anderem – die Namen von Familienmitgliedern entdecken, die in die Fenstermotive versteckt eingeschrieben sind. Aber auch kleine Zeichnungen – wie Comics.

Oliver Elser: In St. Ignatius sind auch Stifter und Baubetriebe in den Fenstern verewigt worden – der Bauunternehmer Philipp Holzmann zum Beispiel. Apropos Fenster: Wenn man die Ausstellung im DAM betreten wird, empfängt den Besucher eine blaue Wand mit grünen Blättern, die in Popfarben leuchten. Dieses Element ist sicher nicht das Erste, was man mit Neviges verbindet. Aber die Bemalung von Gottfried Böhm begleitet den Besucher entlang des Pilgerweges. Wenn man genauer hinschaut, ist die Kirche nämlich genauso von der Pop-Ästhetik der 1960er Jahre geprägt wie von der Betonästhetik dieser Zeit. Das spiegelt sich in den Farben wider, zeigt sich aber auch in der Möblierung: Denn die leichten Metallstühle mit ihren Rückenschalen aus Plastik konnten so nur in den 1960ern entstehen.

Frankfurt am Main, St. Ignatius, Detail der Buntglasfenster

Bei Gottfried Böhms Architektur denkt man oft an seine schweren, körperhaften Sakralbauten. In den Achtzigerjahren entwarf Böhm dagegen leichte, transparente Bauwerke aus Stahl und Glas wie das Maritim-Hotel in Köln oder den Verwaltungsbau für Züblin in Stuttgart:. Findet sich in der langen Schaffensperiode ein Aspekt, der sich in all seinen Werken über die Jahrzehnte wiederfindet?

Oliver Elser: An der RWTH Aachen leitete Gottfried Böhm den Lehrstuhl für Stadtbereichsplanung. Themen wie gemeinschaftliches Zusammenleben und Nachbarschaften schaffen waren ja damals schon wichtige Themen. Dass zeigt sich auch in seinen Entwürfen. Zum Beispiel für den Prager Platz in Berlin, der ja eigentlich ausgesprochen schematisch postmodern wirkt. Doch in seinen Zeichnungen belebt er ihn mit einem Zirkus, mit Schaustellern und Gauklern. Böhm hat eine Sehnsucht nach öffentlichen Räumen, die nicht nur Durchgangsräume sind, sondern in denen Leben stattfindet. Bauten wie das Maritim und die Züblin-Zentrale haben unglaubliche Innenräume, die dazu gedacht sind, dass Menschen in einem Gebäude zu einer Art Gemeinschaft zusammenfinden.

Gottfried Böhm der Städtebauer? Wo zeigt sich das in Neviges?

Oliver Elser: Gottfried Böhm hat damals den Wettbewerb für sich entscheiden können, weil er der Einzige war, der eine Idee von Stadtraum hatte! Alle anderen haben nur Skulpturen entworfen. Die absurdesten Skulpturen: riesige Kaffeemaschinen, Trichter, Herzen, Atommeiler oder Kühltürme. Die katholische Kirche wollte für die Wallfahrtskirche „Ausdruck“. Das war eine Direktive von Oben. Und diesen Ausdruck versuchten alle Teilnehmer in geborgten Designlösungen zu finden. Nur Böhm griff auf keine fertige Form zurück, sondern schlug eine Art Zelt mit einem großen Raum für die Gemeinschaft vor.

Miriam Kremser: Und statt ein abgekupferte Form auf dem Bauplatz landen zu lassen, denkt er auch den Umraum mit, bezieht ihn in den Gesamtentwurf ein. Die Wallfahrtskirche in Neviges hat er beispielsweise als Ziel eines ansteigenden Pilgerwegs inszeniert und schuf damit eine Verbindung von der Straße zum sakralen Raum. Gottfried Böhm nutzte hier das Gelände, um die spezifische Position für die Kirche festzulegen – er verwob die Umgebung mit dem Pilgerweg, mit der kleinen Kurve, bevor man die Kirche erreicht.

Oliver Elser: Und dieses Interesse am Stadtraum ist es, die sich sich durch seine gesamte Arbeit zieht.

Böhm 100: Der Beton-Dom von Neviges

DAM Deutsches Architekturmuseum
Schaumainkai 43
60594 Frankfurt am Main

18. Januar bis 26. April 2020

Frankfurt am Main, St. Ignatius, Altarraum
Frankfurt am Main, St. Ignatius, Aufgang