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Die Paradiesgesellschaft eines Umstürzlers
von Diehl Ute | 21.10.2009

Am Anfang stand eine kleine Polsterei in Bologna. Dino Gavina (1922 bis 2007) hatte sie von seinem Vater geerbt. Auf Anraten von Pier Giacomo Castiglioni ging 1955 als erstes Stück ein einfacher Tischbock aus der Schreinerei in die Serienproduktion. Zahllose Firmen griffen die Idee später auf und reproduzierten den Tisch, so wie fast alle Möbel Gavinas nachgebaut oder im Detail kopiert wurden. „Ich habe", meinte er einmal, „nie etwas patentieren lassen. Wenn mir einer der Plagiatoren über den Weg läuft, schaue ich ihm nur fest in die Augen und sage: Sie kennen mich gut, nicht wahr?"

Gavina gewann schnell die Elite des italienischem Designs für sich, darunter die Brüder Castiglioni, Vico Magistretti, Mario Bellini, Marco Zanuso und Luigi Caccia Dominioni. „Wenn einer fehlt, dann nur, weil ich seine Entwürfe ablehnte", sagte er. Mit dem Architekten und Möbeldesigner Carlo Scarpa (1906 bis 1978) schloss er Freundschaft. Beide waren sich in dem Ziel einig, lieber wenige, dafür aber gut gemachte Dinge um sich zu haben.

Wassily wirkte stimulierend
Italien wurde erst spät mit den Veränderungen der Industrialisierung konfrontiert. Für den seriellen Möbelbau hielten die Archive Lösungen bereit, nur waren sie noch nicht wiederentdeckt worden. Fasziniert von Marcel Breuers Entwürfen aus der Bauhaus-Zeit, nahm Dino Gavina 1962 einen Sessel in die Produktion auf, der ihm mit seinem zerlegbaren Gestell aus verchromtem Stahlrohr als ein Manifest des Rationalismus erschien. Er nannte den federnden Sitz „Wassily", da Breuer den einzigen Prototyp Wassily Kandinsky geschenkt hatte. Heute ist der „Wassily" ein Kultobjekt und dient weltweit der ästhetischen Kontemplation.

Marcel Breuer erinnerte sich folgendermaßen an seine erste Begegnung mit Dino Gavina, dem „impulsivsten und emotionalsten Möbelfabrikanten der Welt": „Eines Tages, Anfang der sechziger Jahre, besuchte mich in meinem New Yorker Büro ein Italiener, ein kleiner, magerer, lebhafter Mann mit einem scharf beobachtenden Blick. Er sprach weder englisch noch deutsch, aber ich verstand, dass er meine Möbelentwürfe aus den zwanziger Jahren haben wollte. Wir einigten uns sofort." Gavina war der erste, der Breuers Stühle, Hocker und Tische herstellte. Kein Stuhl ist heute auf der Welt so verbreitet, wie der „hinterbeinlose" Stahlrohrstuhl dieser Serie. Gavinas Initiative hatte durchaus exemplarische Bedeutung, wirkten Breuers standardisierte Möbelelemente doch stimulierend auf die italienische Design-Produktion. Und überdies war der „Wassily" ein Lehrstück für Designer. Aber der Erfolg, den die Möbel des Bauhaus-Meisters hatten, verführte auch zur unkritischen Wiederaufnahme weiterer Klassiker. Über diese „verderbliche Mode" konnte sich Gavina immer wieder erhitzen. Gleichsam als abschreckendes Beispiel stand in seinem Büro in Bologna das „Fauteuil grand comfort" von Le Corbusier: „Drei verschiedene Metalle an zweiundzwanzig Stellen zusammenzuschweißen ist eine Verrücktheit für ein Industrieprodukt", sagte er. Auch am vielgerühmten „Barcelona-Sessel" von Mies van der Rohe fand er eine Schwachstelle: „Wie sich die Beine überkreuzen, das ist Pfuscherei." Er selbst habe das Angebot, Le Corbusiers Möbel aufzulegen, abgelehnt, sagte er. Obwohl das viel Geld gebracht hätte.

Es werde Flos
Im Jahr 1960 war Gavina mit seiner Produktion von Bologna ins umbrische Foligno umgesiedelt. Pier Giacomo Castiglioni entwarf die Fabrikhallen und das Verwaltungsgebäude, deren Eleganz noch heute inmitten anonymer Industriebauten völlig aus dem Rahmen fällt. Präsident der Firma „Gavina" war Carlo Scarpa. Künstler wie Lucio Fontana und Gino Marotta hatten in der Fabrik ihre Arbeitsräume. Die Betriebe der Umgebung erlebten durch die Herstellung von Stahlrohren, das Verchromen und das Nähen der Spannbezüge für die Breuer-Möbel einen Aufschwung. Noch heute erinnern sich viele aus der älteren Generation in Umbrien an Gavina, der jeden Arbeiter für seine ästhetische Mission zu begeistern suchte.
Zwei Jahre nach dem Umzug gründete er die Leuchtenfabrik „Flos", der Pier Giacomo Castiglioni durch seine fantastischen Einfälle zum Erfolg verhalf. Zum Beispiel baute er gemeinsam mit seinem Bruder Achille aus einem Autoscheinwerfer, einem Transformator und Teilen einer Angelrute die Leuchte „Toio" und entwarf die unkonventionelle Bogenlampe „Arco". Gavina wollte noch mehr Licht und brachte die Firma „Sirrah" auf neuen Kurs. Dafür entwickelte der Japaner Kazuhide Takahama eine Leuchtenserie mit weiß überspannten Metallstrukturen.

Dino Gavina eröffnete 1963 seine neuen Verkaufsräume in der römischen Via Condotti. Sein Geschäft in Bologna richtete damals Carlo Scarpa ein. Es steht heute unter Denkmalschutz und ist Ziel für Architekturstudenten aus aller Welt. Überraschenderweise fanden die Kunden dort aber keine Möbel, sondern Marcel Duchamp persönlich und eine Reihe seiner Ready-mades vor, die man in Italien noch nie gesehen hatte. So machte Gavina aus seinen Filialen kulturelle Treffpunkte und war ständig dabei, zu experimentieren, womit er programmatisch vieles von dem vorwegnahm, was heute Prada-Läden in Soho und Tokio für sich in Anspruch nehmen.

Schwacher Staat
1968 traf Gavina ein harter Schlag. In seine Aktiengesellschaft „Gavina" waren öffentliche Gelder investiert worden und der Staatskonzern ISAP hatte auf die Besetzung des Direktorenpostens durch einen Günstling gedrängt. Der vergriff sich an einer Minderjährigen. Als Gavina seine Entlassung forderte, sah er sich starkem, politischen Druck ausgesetzt, der ihm - wollte er sein Gesicht nicht verlieren - keine Wahl ließ: Er musste den ganzen Betrieb verkaufen. Er erzählte ungern davon. Aber wenn es gelang, ihn zum Sprechen zu bringen, kam der ganze alte Zorn darüber wieder zum Vorschein, dass der italienische Staat die Auflösung seiner Firma damals nicht verhindert hatte. „Ich warf zwanzig Jahre meines Lebens weg", sagte er. Käufer war Knoll International, und die erste Entscheidung der amerikanischen Gruppe war die, Carlo Scarpa zu entlassen. Mit der Übernahme fielen auch all die glorreichen Entwürfe, die Sofas von Kazuhide Takahama und Tobia Scarpa, Tische von Cini Boeri und die Breuer-Möbel an Knoll. „Ich war", sagte er, „sehr verbittert. Ich hielt meine Laufbahn als Unternehmer für abgeschlossen. Ich besann mich auf mein Talent als kultureller Organisator, gründete das ,Centro Duchamp', gab eine Zeitschrift heraus und verlegte Bücher."

Noch im selben Jahr gründet er, auch weil ihm die gestalterischen Losungen jener Jahre zu eng geworden waren, eine neue Firma: Simon International. „Ultrarazionale" nennt er die neue Linie, zu der Carlo Scarpas drei Meter langer Tisch „Doge" aus massivem Flachstahl und Kristall sowie der mächtige, weiße Marmortisch „Delfi" gehören. Schon lange bevor der lustige Elch aus dem Norden auftauchte, bot er eine von Enzo Mari entworfene Serie „Metamobili" an, die wenig kostete und deren Möbel zuhause zusammengebaut werden konnten. „Niemand begriff damals, welches Potential in dieser Idee steckte!"

Man Ray und das Auge
Ein gemeinsamer Spieltrieb verband ihn mit dem Künstler Man Ray. 1970 brachten die beiden zusammen eine Serie surrealer „Ultramöbel" heraus, die Gebrauchsgegenstand und Kunstwerk zugleich waren. Man Ray entwarf ein großes, schaukelndes Auge mit dem Titel „Le Temoin", Meret Oppenheim einen runden Bronzetisch mit Vogelfüßen. „Es war", meinte Gavina, „ein Märchen für die der eigenen Perfektion überdrüssigen Designer."

Die Einrichtung muss sich ergeben
Dino Gavina selbst wohnte in den hohen Räumen eines ehemaligen Klostertrakts in der Altstadt von Bologna, von deren Fenstern aus man auf die Rosette von San Domenico blickte. Im Flur lehnte sein Fahrrad. Regeln für „schöneres Wohnen", so etwas gab es für ihn nicht: „Die Einrichtung muss sich ergeben, wie's gerade kommt". Im großen Wohnzimmer stand ein weißer Kubus, in dem er schlief. Über seinem Bett hing ein Bild von Lucio Fontana, eine steile Treppe ohne Geländer führte zur Badezimmertür hoch oben in der Wand - es war ein ziemlich ausgeflipptes Ambiente für einen 85 Jahre alten Greis. Überall Bilder, Bücher, Kunstobjekte und Möbel aus eigener Produktion. In seinen letzten Jahren umworben ihn drei italienische Modehäuser, die alle eine eigene Möbelkollektion herausbringen wollten. Aber es wurde nichts daraus. Es hat wohl nie einen zweiten Unternehmer auf der Welt gegeben, der so starrsinnig einer ästhetisch-humanistischen Utopie anhing und das reine Erwerbsgeschäft hasste, wie Dino Gavina.

Ganz zuletzt gründete er noch eine „irdische Paradiesgesellschaft", die Möbel für den urbanen Bereich produzierte. Hartnäckig wie immer, bekämpfte er die Verwahrlosung der Form. So begannen seine öffentlichen Vorträge - zum Schrecken der Veranstalter - meist mit einer vernichtenden Kritik am vorhandenen Mobiliar. Und Studenten, die Jeans trugen, hatten in seinen Augen das Recht verspielt, über Ästhetik mitzureden. Er konnte eine wahre Nervensäge sein. Auf seiner Visitenkarte stand: „Dino Gavina. Sovversivo" - nur „Umstürzler", keine Adresse und keine Telefonnummer.

"DINO GAVINA - l'ultramobile" , 2001, Pinakothek Trevi Die Ausstellung wurde kuratiert von Ugo Betori
Dino Gavina
"DINO GAVINA - l'ultramobile" , 2001, Pinakothek Trevi Die Ausstellung wurde kuratiert von Ugo Betori
"DINO GAVINA - l'ultramobile" , 2001, Pinakothek Trevi Die Ausstellung wurde kuratiert von Ugo Betori
Im Büro von Dino Gavina
Dino Gavina