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Ein Salute auf zwei Sitze: MEZZADRO und SELLA werden 50
von Vera Siegmund | 17.10.2007

Was kommt wohl dabei heraus, wenn man über viel Phantasie und ein starkes Gespür für Formen verfügt - und eines Tages unter altem Kram einen Fahrradsattel und daneben eine verrostete Lenkstange findet?
In diesem Fall Picassos Stierkopf, doch die Geschichte von Achille und Pier Giacomo Castiglionis Wippsitz SELLA könnte ähnlich beginnen. Denn Achille suchte nach einer flexiblen Sitzgelegenheit, die sich seinen Bewegungsgewohnheiten beim Telefonieren anpasste. Er mochte es, dabei herumzulaufen, sich kurz irgendwo hinzusetzen, um sich dann wieder zu erheben. Und Achille war leidenschaftlicher Sammler von Gebrauchsgegenständen, deren anonymes, doch funktional überzeugendes Design ihn faszinierte.
Heraus kamen zwei unkonventionelle "Ready-mades": der Fahrradsattelhocker SELLA - mit einer höhenverstellbaren Stahlstange und einer gusseisernen Halbkugel als Fuß (runde Seite nach unten) - und der Freischwinger MEZZADRO, ein Traktorsitz, mit einer Flügelschraube auf eine gebogene Stahlfeder montiert und einer Filetnadel (einem Webinstrument aus Buchenholz) als Fuß.
So standen bzw. wippten die Prototypen der beiden späteren Designikonen erstmals im Castiglioni-Wohnzimmer der Ausstellung "Colori e forme nella casa d'oggi" ("Farben und Formen im Haus von heute") in der Villa Olmo in Como. Das war in ihrem Entstehungsjahr 1957 - noch vor dem "Radical Design" der späten 60er Jahre und lange vor der Gruppe Memphis, die Anfang der 80er Jahre von Italien aus zum Befreiungsschlag gegen den Funktionalismus ausholte.
Dann dauerte es eine Weile, ehe MEZZADRO 1971 erstmalig von Zanotta in Serie produziert wurde, SELLA sogar erst ab 1983. Doch mittlerweile gehörten bereits Firmen wie Flos, Gavina, Kartell, Ideal Standard, Siemens und Fiat zu Castiglionis Kunden. 1972 wurde MEZZADRO in die Sammlung des Museum of Modern Art in New York aufgenommen.
Auch heute noch präsentiert Zanotta die beiden expressiv-minimalistischen Designklassiker stolz im Firmenkatalog. 50 Jahre werden sie nun und zeugen immer noch von einer legeren Originalität und humorvoller Experimentierfreude. Zanotta empfiehlt Design- und Italienfans zu diesem Anlass einen Besuch im Studio-Museum Castiglioni, das 2006 im Rahmen der Triennale di Milano eröffnete.
Piazza Castello 27, Mailand.