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Prozessionsweg: Die Annäherung an das Haus erfolgt beinahe zeremoniell.

Special: My Modern Holidays
Erfüllende Leere

Als die beiden Kunstsammler Caroline und Hans Neuendorf 1986 einen Architekten für ihr Ferienhaus auf Mallorca suchen, lernen sie zufällig einen jungen, unbekannten Architekten aus England kennen: John Pawson. Der entwirft ihnen für ihr Grundstück kein Haus, sondern eine große Burg, so rot wie die Erde ringsum - eine Burg, die man heute mieten kann.
von Florian Heilmeyer | 03.09.2017

Schroff erheben sich die geschlossenen, roten Mauern aus der rauen, roten Landschaft. Der Beton hat die Farbe der Steine und des Bodens, die betont hohen, schlanken Mauern schneiden scharfe Schnitte in die wilde Landschaft. Aber hinter den Mauern liegt keine Burg, sondern ein gewaltiges Haus, eine Villa mit knapp 600 Quadratmetern Wohnfläche um einen zentralen, umschlossenen Innenhof, mit einem Garten, mit Terrassen, einem ummauerten Tennisplatz und einem langen und schmalen Pool, an dessen entferntem Ende das Wasser dramatisch durch einen Wasserspeier in einen zweiten, tiefer gelegenen Pool fällt. 

Es ist ein Haus voller Überraschungen. Je tiefer man ins Innere vordringt, desto behaglicher und luxuriöser wirken die Räume, die doch zuerst so abweisend und kühl erscheinen. Es ist das erste Haus des britischen Architekten John Pawson, der heute für seine konzentrierte, minimalistische Architektur weltberühmt ist. Das „Haus Neuendorf“ auf Mallorca hat er gemeinsam mit Claudio Silvestrin erbaut und ist der Prototyp seines Stils. Es ist ein stellenweise geradezu sakrales Gebäude – nicht nur, weil sich jeder Besucher über einen 100 Meter langen, absolut geraden und in weiten Abständen gestuften Steinweg wie auf einem Prozessionspfad erst einmal ans Haus heranarbeiten muss. Rollkoffer sind hier nicht erwünscht - auch wenn die Hausherren Caroline und Hans Neuendorf ihr Gebäude inzwischen auch als Ferienhaus vermieten. 

Florian Heilmeyer: Frau Neuendorf, wann sind Sie auf diesen Ort gestoßen und wie sind Sie darauf gekommen, John Pawson mit dem Entwurf ihres Hauses zu beauftragen?

Caroline Neuendorf: Hans und ich haben das Land 1986 gekauft: 13 Hektar. Damals war Mallorca noch die „Putzfraueninsel“. Aber für uns war es ein magischer Ort. Kurz zuvor hatten wir in Porto Ercole in der Toskana zufällig John Pawson kennengelernt. Er hatte gerade ein oder zwei Apartments in London umgebaut, eines davon war sein eigenes. Als wir ihn in London besuchten, waren wir fasziniert von der Einfachheit und Klarheit des Umbaus. Den Begriff „Minimalismus“ gab es noch nicht. Pawson arbeitete zusammen mit dem italienischen Architekten Claudio Silvestrin und unser Auftrag war für beide das erste Haus, das sie je gebaut haben.

Haben Sie je für längere Zeit selbst in dem Haus gelebt?

Caroline Neuendorf: Wir haben vier Kinder und als wir von 1994 bis 2002 in New York lebten war das Haus auf Mallorca ihr Zuhause. Bis heute ist es für unsere Kinder das Zentrum des Familienlebens. Aber unsere Kinder sind nun alle groß und leben im Ausland. Wir verbringen leider nicht mehr als vier Wochen im Jahr auf Mallorca. Da ein Haus nicht leer stehen sollte, haben wir es anfangs Freunden überlassen. Diese waren so begeistert, dass sich daraus im Laufe der Zeit die regelmäßige Vermietung entwickelte. Was mir anfangs gar nicht so klar war: Es macht mir tatsächlich enorme Freude, zu sehen, wie viele unserer Gäste den Aufenthalt in diesem Haus als etwas ganz Wunderbares und Einmaliges zu schätzen wissen. Es ist schön, dieses Haus mit Anderen zu teilen. Und die Kosten für den Unterhalt sind so natürlich auch leichter zu tragen

Der langgestrickte Pool läuft zentriert auf den burgartigen Baukörper des Hauses zu.

Pawson und Silvestrin standen damals ganz am Anfang ihrer Karrieren. Haben Sie nicht gezweifelt, ob sie die Richtigen dafür sind?

Caroline Neuendorf: Es war ein mutiger Entschluss von beiden Seiten, das Projekt zu realisieren. Wir wurden anfangs belächelt, um es milde auszudrücken. Wie gesagt gab es den Begriff des Minimalismus noch nicht, und so kamen Fragen wie: Wann wird denn die Einrichtung geliefert? Auch der ausführende Baumeister auf Mallorca hatte Probleme mit der rigorosen Architektur. Erst viel später arbeiteten Pawson und Silvestrin für Leute wie Giorgio Armani oder Calvin Klein.

Ihr Mann und Sie sind Kunsthändler, dennoch sieht man in dem Haus keine Kunst. Ist das vor allem deshalb, weil es als Ferienhaus vermietet wird?

Caroline Neuendorf: Nein. Wir haben uns bewusst dagegen entschieden, Kunst in diesem Haus aufzuhängen. Die Architektur braucht das einfach nicht. Die gesamte Einrichtung ist so reduziert, um den Fokus auf das Gebäude selbst zu richten. Ich liebe diese minimalistische Architektur sehr – vielleicht, weil mein Vater ein abstrakter Maler war. Dieser Minimalismus gibt mir das Gefühl, Zuhause zu sein. Das Haus erzeugt eine enorme Freiheit für die Gedanken und verändert sich gleichzeitig durch die wechselnden Licht- und Wetterstimmungen

Gibt es eine Stelle oder einen Moment in dem Haus, den Sie am liebsten mögen?

Caroline Neuendorf:Ich kann gar nicht sagen, welche Stelle ich am liebsten mag. Im Laufe des Tages und der Jahreszeiten entstehen mit dem Stand der Sonne immer wieder überall im Haus wunderbare Spiele von Licht und Schatten, die mich jedes Mal neu faszinieren. Im Sommer hat der Morgen mit seinem klaren Licht eine besondere Magie – aber auch der Abend, wenn das Licht nach einem langen, heißen Tag dunstig wird. Es ist herrlich, auf dem Dach die Sonne untergehen zu sehen. Aber der vielleicht wirklich besonderste Moment ist, wenn im Juli der Vollmond riesig und rund über dem Pool hängt. Das ist ein Wunder

Wasserspiel: Vom großen Pool aus fließt Wasser durch eine Öffnung in ein kleineres Becken, das eine Ebene tiefer liegt.
Aus dem ummauerten Innenhof bietet nur ein schmaler Wandschlitz Ausblicke in die Landschaft.
Fast klösterlich wirkt dieser stille Hof mit seiner langen Bank.
Die Gradlinigkeit der Architektur steht in spannungsvollem Kontrast zu der üppigen Vegetation.
Speisezimmer oder Refektorium? Fast transzendent erscheint hier der Essplatz des Hauses.
Introvertiert: eines der Gästezimmer
Im Masterschlafraum beleben Oberlichter die nackten Wandflächen
Ein Band von Oberlichtern erhellt den Ankleideraum im Obergeschoss
Ein Lichtschlitz als Fenster in einem Bad im Erdgeschoss
Lichtspiel im Innenhof
Immer an der Wand entlang verlässt man das Haus auch wieder.