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Helge Barthelmes

NEW WORK
Drei Fragen an Helge Barthelmes

Helge Barthelmes ist Gründer der Planungs-Kooperative plan-up und konzipiert mit seinem Team neue Modelle für die Arbeitsraumgestaltung von Unternehmen. Den Status quo des New Work sagt er uns im Interview.
07.01.2022

Anna Moldenhauer: Herr Barthelmes, aktuell scheint die einstige Aufbruchsstimmung für ein neues Arbeiten schon wieder ins Stocken gekommen zu sein. Wie würden Sie die Situation derzeit einschätzen?

Helge Barthelmes: Nach dem ersten Lockdown Anfang 2020 hatten wir tatsächlich eine Aufbruchsstimmung wahrgenommen. Manche Führungskräfte zeigten sich geradezu überrascht, das eine Produktivität trotz Homeoffice der Mitarbeitenden möglich war. Es funktionierte also – und das ganz ohne Führung und Beaufsichtigung. Mit dem nächsten Lockdown Ende 2020/ Anfang 2021 war unser Eindruck, dass einige Unternehmen verunsichert waren. Investitionen wurden teilweise zurückgestellt. Es ging wieder darum, liquide zu bleiben und die Kosten zu minimieren um auch den nächsten Sturm möglichst unbeschadet überstehen. Vielen Führungskräften ist klar, dass etwas verändert werden muss. Nur das "Wie" ist noch nicht so ganz präsent. plan-up spürt seit Ende des zweiten Quartals einen wahnsinnigen Sog zur Veränderung der Arbeitsweisen und -welten. Die Fragen nach: Wie, wo und wann arbeiten wir heute? und Wie, wo, wann wollen und müssen wir morgen arbeiten? stehen im Vordergrund. Die Unternehmen sind motiviert in Zusammenarbeit mit uns Antworten für ihre Roadmap zu finden. Zudem ist Corona ja "nur" ein weiterer Grund für die Veränderung. Schon vorher wurden wichtige Themen wie die Digitalisierung, der demografische Wandel oder die Globalisierung diskutiert. Corona ist aus unserer Sicht allerdings der Turbo für eine schnellere Veränderung.

Reduzierung der Flächen, Desk-Sharing, Homeoffice und individuelle Lösungen statt tägliche Anwesenheitspflicht im Büro und feste Arbeitszeiten – wie weit würden Sie sagen, haben Unternehmen in Ihrer Erfahrung bislang Nägel mit Köpfen gemacht und die eigene Struktur verändert?

Helge Barthelmes: Mit Blick auf unseren "Kosmos" machen sich die meisten Unternehmen auf den Weg. Hier und da wird noch ein wenig mehr Mut benötigt und gewisse Rahmenbedingungen wie eine Betriebsvereinbarung sind noch nicht abschließend geklärt. Dennoch spüren wir den Drang etwas zu verändern, gerade bei sehr klassischen Unternehmen. Aus unserer Expertise heraus geht es im ersten Schritt bei der Veränderung um die individuelle Anpassung des Nutzungskonzepts. Sprich: Gemeinsam mit den Mitarbeitenden gilt es, gute Lösungen herauszuarbeiten, die auf die Zukunft ausgerichtet sind, die zu den Arbeitsprozessen passen, den Möglichkeitssinn entfachen und mit dem Reifegrad der Unternehmung im Einklang sind. Die Innenarchitektur folgt erst im nächsten Schritt. Wir haben als Planer und "Konzeptionistas" bei der Materialisierung der Projekte einen hohen innenarchitektonischen Anspruch, am Anfang steht aber ganz klar das "Warum".

Sie haben Anfang Februar 2021 das Unternehmen plan-up gegründet und sind spezialisiert auf die Planung, Konzeption und Gestaltung sowie die bauliche Begleitung von Lebens- und Arbeitswelten. Was sollte in der Transformation zu mehr Flexibilität beachtet werden?

Helge Barthelmes: Auf diese Frage gibt es keine allgemeingültige Antwort. Die Unternehmen sollten sich zunächst sehr intensiv mit ihren Arbeitsweisen, dem Workflow und den Rollen der Mitarbeitenden auseinandersetzen, heute und morgen. In Zukunft wird es neben dem Office und Homeoffice noch eine weitere Dimension geben: Die dritten Orte. Das sind Co-Working-Spaces, auch innerhalb der Unternehmung – Corporate Spaces, Hotel-Lobbys, öffentlich ertüchtigte Bereiche wie Parks, Gastronomien, Partner-Unternehmen et cetera. Ziel muss sein, den Dreiklang aus Office, Homeoffice und Open Office zu finden. Neben der Produktivität ist es unerlässlich, dass das Unternehmen den Blick auf das Wohlbefinden der Mitarbeitenden richtet. Insbesondere vor dem Hintergrund auf die immer schwieriger werdende Abgrenzung zwischen Beruf und Familie. Aus der Auseinandersetzung mit der eigenen Work-Life-Balance ist die Aufgabenstellung entstanden, verantwortungsvoll mit dem Work-Life-Blending umzugehen. Also die Überlagerung von beruflichen wie privaten Aktivitäten, losgelöst von Zeit und Ort.

Zudem ist man sicher in der Lage Mitarbeitende für beispielsweise ein Düsseldorfer Unternehmen aus dem Schwarzwald zu rekrutieren. Aber wie wird die Identifikation sichergestellt? Wie werden die Mitarbeitenden über eine weite Entfernung gehalten? Unser Anspruch ist es, strategisch relevante Orte zu schaffen, die die Unternehmensvision spürbar machen, kulturprägend wirken und die Performance der NutzerInnen im Sinne der Profitabilität im hohen Maße unterstützen. Gemeinsam mit und für den Menschen, mit einem hohen innenarchitektonischen Anspruch. Aber Vorsicht! Die Innenarchitektur darf kein Selbstzweck sein! Gute Innenarchitektur sollte das gewünschte Nutzungskonzept unterstützen, es aber nicht bedingen.

Kurzum: Unsere Workshop-Erkenntnisse aus der intensiven Auseinandersetzung mit der Organisation, den Menschen, den Rollen, den Räumen, der Kultur, den technischen Tools und dem daraus resultierenden Nutzungskonzept sind die Grundlage für die Planung der jeweiligen "Neuen Arbeitswelt". Die von uns ermittelten rollenbezogenen Ergebnisse in Bezug auf Schreibtische pro Mitarbeitende und die sich daraus ergebende Ratio schafft Raum für Kommunikation, Konzentration, Kollaboration und für das Innovieren. Orte, die aufladen, kulturfördernd sind und die Identifikation stiften. Die Technologie der Sensorik hilft zudem den Mitarbeitenden, die im hohen Maße mobil sind, einen guten Ort in der Unternehmung zu buchen. Über eine "Firmen-Social-Media-App" lässt sich auch einsehen, welche KollegInnen zu welcher Zeit im Büro sein werden, um aktiv in den Austausch gehen zu können. Und die KollegInnen, die aufgrund ihrer Rolle in der Bürolandschaft fest verortet sind, sorgen dafür, dass die Arbeitswelt "lebendig" bleibt.