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Grenzenlos im Bad

von Thomas Edelmann

06.05.2016
Duschen, Wohnen, Schlafen: Für Cosentino schuf Cecconi Simone eine kompakte Wohnbox. Foto © Cosentino

Welche Verfeinerung fehlt noch? Welcher Materialien und Formen bedarf es, um der Utopie vom Bad ohne Schranken gerecht zu werden? Beim Mailänder Salone Internazionale del Bagno zeigten Hersteller und Designer neueste Visionen und Produkte.

Vom Punkt zur Linie

Beim neuen Accessoire-Programm „Dot Line“ von Agape steht die Linie für Kontinuität und der Punkt für Rhythmisierung. Das Reling-System bildet ein grafisches Muster, mit dem sich endlose Strukturen schaffen lassen. Die Einzelelemente bestehen aus Aluminium mit einer hölzernen Umhüllung. Ebenfalls aus Aluminium sind die tragenden Elemente, die in der Vorderansicht die namensgebenden Punkte bilden. Ergänzend gibt es Zubehörteile aus Corian in schwarz oder weiß.
Es ist das erste Projekt, das GarcíaCumini aus Udine für Agape gestaltet hat. Bislang machte sich der aus Valencia stammende Vincente García Jiménez hauptsächlich als Designer von Leuchten und für künstlerische Markeninstallationen (beispielsweise für Foscarini) einen Namen. Seit 2012 arbeitet er mit der italienischen Soziologin und Designexpertin Cinza Cumini zusammen. Ihr gemeinsames Büro in Udine firmiert seither unter GarcíaCumini.

„Dot Line“: Das neue Reling-System von GarcíaCumini für Agape. Foto © Agape


Die Wanne im Stoffkleid

Das technisch bislang nicht Machbare wird zum Antrieb im Baddesign. Zum Beispiel die Badewanne aus Stahl, die, umgeben von einer gepolsterten Struktur, eingekleidet ist in Textilien. Noch nennt Bette das Projekt ein Designkonzept, doch vom Prototyp, entworfen von Dominik Tesseraux aus Potsdam, bis zum Serienprodukt scheint der Weg nicht mehr all zu weit, wie das ebenfalls neue Badkonzept „BetteLux Shape“ zeigt, das die freistehende rundum sichtbare Wanne in ein minimalistisches Stahlgestell hängt.
Zuschnitt und Befestigung der entsprechenden Stoffbahnen für die Stahlwanne im Stoffkleid waren eine Herausforderung für die Firma, die bislang hauptsächlich mit Stahl und Email zu tun hatte. Denkbar und machbar erscheint das Projekt, weil die Gartenmöbel-Branche bereits die Grenzen verschoben hat. Die neueste Generation von Funktionsstoffen ist nicht nur für den Außenbereich geeignet, sondern auch fürs Bad, da diese robust, pflegeleicht sowie wasser-, schimmel- und klimaresistent sind. Weshalb ist das wichtig, weshalb baden wir bald schon in stoffbekleideten Wannen? Weil das Bad – ähnlich wie schon die Küche – seine räumliche Eigenständigkeit einbüßt und sich künftig, geht es nach dem Willen von Designern und Herstellern – in eine Art Wohnzimmer mit Wasseranschluss verwandeln wird.

Pop up your life: Farbige Badewanne aus Stahl mit Stoffverkleidung von Tesseraux + Partner für Bette. Foto © Thomas Edelmann, Stylepark


Schatten mit und ohne Fuge

Wo ein Möbel auf ein Waschbecken stößt, gab es im Bad bislang stets eine mehr oder minder sichtbare Fuge. Um Materialien wie beispielsweise Holz und Keramik zu verbinden, bedarf es allerhand Finessen. Bei Duravit kommt nun eine neue Technik namens „c-bonded“ zum Einsatz, die Waschtisch und Badmöbel zu einer Einheit verschmelzen lässt.
Etwa das Keramikprogramm „Darling New“ von Sieger Design mit seinen charakteristischen Kreisformen und das Systemmöbel „L-Cube“ von Christian Werner. Beide erhalten dabei eine gemeinsame präzise Kante, welche die Materialstärke des Waschtischs nun kaum noch erahnen lässt. Werner wollte seinen Möbeln, die letztlich fein detaillierte Kisten sind, „die Schwere nehmen“, wie er sagt. So verwendet er eine Schattenfuge, die den Eindruck erweckt, die einzelnen Flächen des Badmöbels würden schweben.

„Darling New“: Aus der Linie „c-bonded“ von Sieger Design für Duravit. Foto © Duravit


Asymmetrie aus Stahl

Liest man am Messestand von Kaldewei den Spruch „The world is about people not objects“, dann irritiert das ein wenig, angesichts der vor diesem Zitat raumgreifend platzierten Badewanne nebst Waschtischsäule. „Emerso“ heißen diese neuesten Beispielen der „Meisterstück“-Kollektion. Tatsächlich aber ist es ein Zitat von Designer Arik Levy, der angesichts seiner neuesten Produkte daran erinnert, dass es so etwas wie „emotionale Ergonomie“ gibt, eine besonders komplexe Funktion, die sich nicht ohne weiteres planen und erzeugen lässt, bei gelungenen Projekten aber plötzlich im Raum steht. Die asymmetrische, fließende Form von „Emerso“ aus Stahl zu erzeugen, war eine außerordentliche Herausforderung für Designer und Hersteller, eine der Grenzverschiebungen, die, abgesehen von technischen Finessen, auf Menschen beruhen, die das wollen, durchsetzen und möglich machen. Insofern liegt Arik Levy wieder einmal richtig.

„Meisterstücke“ für Kaldewei: Badewanne und Waschtischsäule „Emerso“ von Arik Levy. Fotos © Thomas Edelmann, Stylepark, Kaldewei


Doppelt einfach

Im olympischen Jahr 2016 muss offenbar alles immer höher, schneller und weiter werden. Selbst im Bad laufen Hersteller und Designer mitunter Gefahr den Maßstab zu verlieren. Nicht alle folgen diesem ausufernden Trend. Der Alape Doppel-Waschtisch „Twice“ von Sieger Design etwa ist mit seiner Breite von 120 Zentimetern alles andere als ein Riese und erscheint abgestimmt auf neue Wohnrealitäten in den Städten, wo weniger Raum keineswegs in Verzicht münden soll. Vorausgesetzt, dieser Raum wird durchdacht organisiert.
So bietet „Twice“ Platz für zwei Wasserstellen, hat ein paar Ablageflächen für den täglichen Krimskrams im Bad und in der Variante mit Unterschrank zudem Möglichkeiten, um diesen bei Zeiten aufzuräumen und unsichtbar werden zu lassen. Als Systemhersteller bietet Alape zahlreiche Varianten an, die „Twice“ mal als wohnliches Badmöbel in Walnuss, mal als minimalistisches Becken in purem, glasierten Stahl erscheinen lassen.

„Twice“: Doppel-Waschbecken von Sieger Design für Alape. Foto © Alape


Heißer Schirm

Der italienische Hersteller Tubes sorgt mit Heizkörpern unterschiedlichster Form für Wärme, nicht nur, aber eben auch im Badezimmer. Von Alberto Meda stammt „Origami“, ein faltbarer Wärmespender, der zusätzlich eine gewisse Abschirmung im Raum bietet. Aus der Entgrenzung traditioneller Grundrisse zu sich durchdringenden Wohn- und Badelandschaften folgt, dass wir längst vergessene Objekte wie den Paravent wiederentdecken. „Origami“ – in unterschiedlichen Formen und 260 RAL-Farben erhältlich, an der Wand hängend oder im Raum verteilt – lässt sich flach zusammenfalten. Zum Vorwärmen von Handtüchern ist das Objekt, das Strom als Wärmequelle nutzt, ebenso geeignet wie zum Erwärmen kleiner Räume. Folgt man Tubes, soll „Origami“ seine Konvektionswärme aber überall im Haus verbreiten. Und obendrein ist es ein typischer Meda: ein Modulsystem aus Aluminium mit ausgestellten Füßen, durchdachten Klappmechanismen und einer optimistisch-technischen Formensprache.

„Origami“: Faltbarer Heizkörper von Alberto Meda für Tubes. Foto © Thomas Edelmann, Stylepark


Aus dem Moor geholt

Was Jahrhunderte lang in Mooren oder unter Wasser schlummerte, verwandelt sich nun in Küchen- oder Badmöbel: Piero Lissoni entwarf für Boffi die Serie „Code“, die es optional mit Furnier aus Mooreiche gibt. Auch in Eiche natur oder in Nussbaum ist „Code“ zu haben. Die Auszüge haben Schwalbenschwanz-Verarbeitung.
Als Badezimmermöbel, wahlweise 150 oder 270 Zentimeter lang, lässt sich das Programm mit den Waschbecken „Garden“ (ebenfalls von Lissoni) und der gleichnamigen Armatur kombinieren. Das Becken aus Edelstahl mit PVD-Beschichtung ruht auf einer Steinplatte, deren Ausschnitt zur Abdeckung des Ablaufs dient. Insbesondere bei durchlaufenden Adern im Stein entsteht so ein reizvolles Bild, da die Maserung des Steins im Becken sichtbar ist. Armatur (Sandgrau) und Becken (Graphitgrau) variieren dabei Töne der Grauskala.

Modulares System: Waschtisch „Code“ und Waschbecken „Garden“ von Piero Lissoni für Boffi. Foto © Thomas Edelmann, Stylepark


Im Privat Spa duscht es sich anders

Duschen im Stehen, Baden im Liegen – das sind die Konventionen des tradierten Bades, die wir erlernt haben und die wir dementsprechend für selbstverständlich halten. Dornbracht spielt mit diesen Konventionen, Sieger Design und Mike Meiré zeigen uns, wie Baden heute richtig geht. Im „Privat Spa“ etwa gibt es, aus einer Kombination von Dornbracht-Produkten zusammengesetzt, neuartige „Wasseranwendungen“. Der „Comfort Shower“ ermöglicht es, im Stehen ebenso wie im Sitzen zu duschen, wobei nichts dem Zufall überlassen bleibt: Das Regenpaneel „Big Rain“ hüllt den Körper in große perlende Wassertropfen, „Water Fall“ lässt mit „Pearl Stream“ Wasser auf Schulter und Nacken fallen, ein kräftiger Strahl aus zwei „Water Bars“ massiert den Rücken, ein Gießrohr ermöglicht Kneip-Güsse. Über elektronische „Smart Tools“ lassen sich Szenarien abrufen: zur Entspannung, zur Aktivierung oder einer Balance aus beidem. „Leg Shower“ erweitert das Private Spa zudem um automatisierte Beingüsse, um sich zu erfrischen oder um die Abwehrkräfte zu stärken.

„Privat Spa“: Sieger Design und Mike Meiré inszenieren für Dornbracht mit der „Comfort Shower“ ein intensives Duscherlebnis. Foto © Dornbracht


Nichts scheint unmöglich

Wie sieht es aus, wenn Bad und Schlafraum eins werden? Was passiert, wenn sich das Leben räumlich verdichtet? Und wenn sich dabei das Bild einer Oberfläche von ihrer Materialität ablöst? Cosentino, spanisches Familienunternehmen mit Weltgeltung, zeigte auf der Messe nicht einfach nur Wandverkleidungen und Bodenbeläge aus Quarz, aus ultrakompakten und recycelten Oberflächen, sondern ganze Lebenswelten.
Aus vorwiegend großformatigen Dekton- und Silestoneplatten schuf Cecconi Simone, ein in Toronto ansässiges Büro für Interiordesign, den Messestand zum Thema „Reise“. Das Büro mit Referenzen aus den Vereinigten Staaten, China, Indien, den arabischen Emiraten und einzelnen europäischen Beispielen kennt sich aus. Ob Boudoir oder Schlafraum mit benachbarter Dusche: Deutlich wird, das Plattenmaterial kann jeden Ort und jeden Stil bedienen. Für alle Freunde des vermeintlich Authentischen liegt kein Trost in dieser eindrucksvoll in Szene gesetzten Aussage.

Die Lebenswelten von Cosentino: Cecconi Simone hat auf der Messe sehr unterschiedliche Interieurs gestaltet. Fotos © Cosentino


Aus der Villa Tugendhat

Als gestern heute war, schuf Ludwig Mies van der Rohe für Fritz und Grete Tugendhat in Brünn eine außergewöhnliche Villa. Ihre gestalterische Komposition wie auch ihre Details machten das 1930 vollendete Gebäude zu einem seltenen Zeugnis des Aufbruchs der Moderne. Die Familie, für die die Villa entstand, konnte nur wenige Jahre in ihr leben. Die Familie Tugendhat, zu der auch Ernst Tugendhat, der spätere Philosoph gehörte, musste den Ort auf der Flucht vor den mörderischen Populisten verlassen, die damals Europa tyrannisierten. Nach einer wechselvollen Geschichte der Villa unter NS-Regime und im tschechoslowakischen Nachkriegskommunismus wurde es bis Ende 2012 denkmalpflegerisch restauriert. Zerstörte oder beschädigte Bestandteile möglichst originalgetreu wieder herzustellen gehörte zu der Sanierung.
Laufen beteiligte sich an dem Projekt und stellte acht Objekte der Sanitärkeramik für Küche, Bad und Schlafräume wieder her. Die ursprünglichen Stücke waren nach Mies van der Rohes Vorgaben in Znojmo von Dittmar Urbach gefertigt worden, damals eine Marke von Laufen. Auf der Messe präsentierte das Schweizer Unternehmen neben aktuellen Produkten wie „VAL“ von Konstantin Grcic seine Sonderanfertigungen für historische wie aktuelle Bauten – etwa für eine Luxusresidenz von Herzog & de Meuron in New York.

Originalgetreu: Laufen hat für die Restaurierung der Villa Tugendhat die Sanitärkeramik für Küche, Bad und Schlafräume rekonstruiert. Foto © Laufen