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STYLEPARK

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TRENDSPOT DESIGN

Jörg Boners Archetypenlehre

Zürich Hauptbahnhof, Gleis 21. Die Stadtbahn verlässt den Tunnel und nimmt Fahrt in Richtung Uetliberg auf. Von der Haltestelle Binz geht es zu Fuß weiter den Hang hinauf in die Grubenstrasse Nummer 37. Im ersten Stock des zurückgesetzten 70er-Jahre-Hauses haben sich Architekten, Grafiker und Designer eingerichtet – sie arbeiten in einem durchgängigen großzügigen Raum mit großen Fenstern. Die helle Atmosphäre bestimmt auch den Alltag von Jörg Boner, der hier sein Studio hat. Der Schweizer Gestalter und sein Team konzipieren Möbel und Leuchten, sie feilen an anspruchsvollen Konstruktionen und am letzten Schliff für das Modell der „Stylepark Architects' Lounge“ für die Light + Building. Das Modell des Entwurfs steht im hinteren Bereich des Studios auf einem Tisch – es zeigt den großen Bereich samt dem Café und den eigens entwickelten Installationen in Miniatur. Bald schon wird der Entwurf von Jörg Boner auf der Messe in Frankfurt zum Treffpunkt für das Fachpublikum werden.

Filigrane Steppnähte

Die Sorgfalt bei Details und anspruchsvolle technische Lösungen prägen die schnörkellosen und durchdachten Entwürfe von Jörg Boner. Der gelernte Tischler machte sich gleich nach dem Abschluss seines Designstudiums in Basel selbständig, seine Entwürfe wurden mehrfach international ausgezeichnet. Inspiration findet der Züricher Gestalter bei Möbeln aus den 1950er- bis 70er-Jahren. Was ihn interessiert an den Entwürfen der Schweizer Designer Max Bill, Bruno Rey oder Edlef Bandixen ist die Verbindung aus skulpturalem Anspruch und innovativer Produktion.

Die Polsterfamilie „Oyster“ (2014) enthält einen Hocker, ein Sofa sowie zwei unterschiedlich breite Sessel. Foto © Milo Keller
„Eines meiner Lieblingsprojekte“, sagt Jörg Boner über seinen Stuhl „Juppa" für Atelier Pfister. Foto © Linus Bill

In dem großen Regal an der Rückwand von Jörg Boners Studio stehen Stuhlmodelle aus Graupappe, die verschiedene Entwurfsstadien in einer Art Genealogie sichtbar machen. Mithilfe von Schnittmustern, die Jörg Boner aus den 3D-Computerzeichnungen generiert, werden die Eins-zu-eins-Modelle gebaut. Sie zeigen Zwischenetappen in einem Prozess, der auf das Testen, Verbessern und Verändern aus ist und sich als mehrfaches Hin und Her zwischen Zeichnung und Modell erklärt. „Mir gefällt die Abstraktion dabei. Die Modelle machen aus den Produkten Geister, die da sind und auch wieder nicht!“, so der Designer. Die abstrakte Geisterwelt in seinem Studio zeichnet Entwurfsprozesse nach und archiviert sie. Dagegen wurden die Produkte selbst als Ergebnis der Entwicklung in die Öffentlichkeit entlassen.

Geister aus Graupappe

Auch der Holzstuhl „Juppa“, den Jörg Boner 2015 für das Schweizer Möbellabel Atelier Pfister entwickelte, entstand nach diesem Prinzip. Im Briefing war der Verkaufspreis unter 250 Schweizer Franken bereits festgelegt – keine einfache Voraussetzung für die Entwicklung eines Stuhls aus massivem Holz und Formsperrholz, das hohe Werkzeugkosten erfordert. „Eines meiner Lieblingsprojekte“, meint Jörg Boner schmunzelnd und fügt hinzu: „Ich mag die Herausforderung, mit solchen harten Bedingungen umzugehen.“ Die Sitzfläche von „Juppa“ kommt ohne Zarge aus, was entscheidend zur eleganten Silhouette des Möbels beiträgt. Der Verschnitt und die Formkosten im Produktionsprozess sind bis aufs Äußerste reduziert. Das Formsperrholz der tragenden Sitzfläche wird in einem Schritt gebogen und mit den seitlichen Massivholzprofilen verleimt, was Arbeitsschritte, Zeit und Kosten spart. Die Rückenlehne ist eingespannt, die Beine aus Massivholz angesteckt. Es sind dieselben Profile, nur gedreht. Auch dies ein Detail, das Kosten spart und die industrielle Produktion hoher Stückzahlen erleichtert. Jörg Boners Verständnis von Design geht weit über die schöne Form hinaus und bezieht den gesamten Produktionsprozess mit ein. Im Herbst letzten Jahres kam „Juppa“ auf den Markt – ein Paradebeispiel für aktuelles Schweizer Design, das die Kollektion von Atelier Pfister um einen archetypischen Stuhl erweitert.

Entwurf zum Sessel „Oyster“ für Wittmann. Foto © Jörg Boner Productdesign
„Eclar“ für Schätti ist von einem dünnen Blechband gerahmt, das filigrane Raster streut das LED-Licht. Foto © Jörg Boner Productdesign
„Andar“-Wandleuchten mit LED sind in verschiedenen Längen erhältlich und über eine DALI-Schnittstelle dimmbar. Foto © Felix Wey
Die Stehleuchte „Eclar“ ist in drei Teile zerlegbar (Bild links). Bild rechts: Mit der Tischleuchte „Dri“ zum 75-jährigen Jubiläum von Schätti fing alles an.
Foto © Felix Wey/ Jörg Boner Productdesign

Archetypische Formen waren auch der Entwurfsansatz für die Leuchten „Eclar“ des Schweizer Unternehmens Schätti. Die erste Familie, mit der das Metallunternehmen aus dem Glarner Land seine eigene Lichtmarke lancierte, setzt auf vertraute Typologien, die es auch vor dem LED-Zeitalter schon gab. „Viele glauben, sie könnten jetzt alles flacher machen mit der neuen Technologie“, beschreibt Jörg Boner seinen Ansatz. „Aber das ist nicht grundsätzlich die bessere Lösung.“ Die Stehleuchte „Eclar“ ist klassisch aufgebaut, sie besteht aus Sockel, Ständer und Leuchtenkopf. Auf dieser Grundlage entwickelte Jörg Boner die Pendel- und die Wandleuchte „Pendar“ und „Andar“ nach denselben Prinzipien und in derselben formalen Sprache. Unterschiedliche Anwendungsbereiche können auf diese Weise einheitlich gehalten werden – mit derselben Leuchtenfamilie. Der große Kopf von Eclar ist von einem dünnen Blechband gerahmt, das filigrane Raster unterhalb der Leuchtmittel streut und entblendet das LED-Licht, so dass es sich gleichmäßig im Raum verteilt. Außerdem nimmt der Leuchtenkopf auch das Betriebsgerät auf. Als Folge kann der Sockel der Leuchte, in dem das Gerät meistens untergebracht ist, dünn und filigran ausfallen.

Licht als Phänomen

Dass die Stehleuchte in drei Teile zerlegbar und einfach montierbar ist, macht sie auf dem Markt ganz besonders. Ihr zurückhaltendes Design legt viel Wert auf die Einzelheiten, auf das dünne Rohr des Ständers, den Schalter oder den Kabelauslass und kombiniert sie zu einer eleganten Einheit. „Schätti ist für mich ein spezieller Kunde, weil wir fast Teil der Firma sind“, erläutert Jörg Boner seine Zusammenarbeit mit dem Unternehmen. Mit der Tischleuchte „Dri“ zum 75-jährigen Jubiläum von Schätti fing alles an. Jörg Boner hat den Launch der Lichtfirma von Anfang an begleitet und der Marke ein prägnantes nüchternes Gesicht gegeben. „Im Moment entwickeln wir gerade eine neue Leuchte mit Linsentechnologie und aus Kunststoff“, beschreibt Jörg Boner die Herausforderungen eines aktuellen Projekts. Sein konsequentes Design für Schätti spielt sich nicht in den Vordergrund, es lässt der Wirkung des Lichts den Vortritt. Laute und exaltierte Gesten liegen dem Züricher Designer nicht. Stattdessen setzt er auf sorgfältig konstruierte, skulpturale Formen, die sich nicht aufdrängen und dennoch einen eigenen Gestaltungsanspruch formulieren, der zeitlos und langlebig ist.

www.joergboner.ch

www.wittmann.at
www.schaetti-leuchten.ch
www.atelierpfister.ch

Stylepark Map – Trendspot Design

Auf der „Stylepark Map“ finden Sie eine Auswahl von Produkten führender Hersteller, die Sie in Halle 1 auf keinen Fall verpassen sollten.

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