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Arbeitsplatz oder Spielplatz?
von Thomas Wagner | 14.10.2014
Bei Google ist die Work Work-Culture ein schönes, buntes Spiel. Und solange die Gewinne sprudeln, stimmt auch das Betriebsklima. Foto © Peter Wurmli

Die Vision

Herr 0 oder Frau 1 vom Stamme der Digischonen oder Chipatschen wissen längst, wie es geht. Glaubt man ihren gutgelaunten Berichten, so arbeiten sie bereits in der Zukunft. Und die sieht so aus: Erst liegt man in einer Badewanne voller Schaumstoffwürfel, dann nimmt man die Rutschbahn zur Kantine, geht zum Chillen in einen Spielsalon mit Kicker-, Tischtennis- und Billardtischen, wo man Mind und Body in angenehmer Balance hält und seine Ideen sacken lässt. Hernach suchen rundum zufriedene Mitarbeiter sich dann einen noch freien Sitzsack, werfen sich malerisch auf eine Sofalandschaft oder ziehen sich in ein plüschiges Separee, vielleicht auch in einen nostalgisch angehauchten Ohrensessel samt Rüschen zurück, wo die Quellen der Kreativität dann munter zu sprudeln beginnen. Naturgemäß hat jeder seinen Laptop oder sein Tablet dabei, schließlich gilt hier das erste Watzlawicksche Axiom, das da lautet: Man kann nicht nicht kommunizieren. Nicht weniger gilt: Arbeit macht Spaß, sie muss einfach Spaß machen. Und umso infantiler jeder nach Lust und Laune in Lounge und Zelle, Separee und Sofalandschaft tun und lassen kann, was sich sein kreatives Gehirn gerade so ausdenkt, umso besser läuft der Laden.

Frei, ungezwungen, kreativ?

Das mag überspitzt erscheinen. Doch es gibt jede Menge Anzeichen, die darauf hindeuten, dass sich die Work-Culture des 21. Jahrhunderts in Richtung auf ein schönes, buntes Spiel entwickelt. Weniger Sparta, mehr Sybaris hieß schon die Devise der letzten Jahre. Auf der Orgatec in Köln, die in der kommenden Woche ihre Pforten öffnet, werden wir die Tendenz zu digital befeuerten und gut vernetzten Arbeitsspielplätzen sicher wieder in vielen erdenklichen Varianten bestaunen dürfen. Google, einer unserer Großen Brüder, hat es schließlich vorgemacht. So und nicht anderes muss ein Büro heute aussehen. Die Botschaft ist klar: Nur wer so frei, so ungezwungen, so kreativ arbeitet, wird erfolgreich sein. Nur wo Arbeit nicht nach Arbeit schmeckt, entstehen weltweit führende Unternehmen. Dass im Londoner Headquarter von Google sogar ein alter Schleudersitz steht, passt zur ironischen Distanz, mit der die digitale Bohème der übrigen Arbeitswelt ihre Lebensform unterjubelt. All das gilt, auch wenn es selten einer offen ausspricht, selbstverständlich nur für die saturierten Komfortzonen einer rundum vernetzten Wissensgesellschaft. Anderswo herrscht – ohne Spaß – weitgehend noch bürotechnische Steinzeit. Mithin verschleiert der Anschein eines spaßoptimierten Büroklimas den Blick aufs szenische Verdrängte.

Bei Google ist die Work Work-Culture ein schönes, buntes Spiel. Und solange die Gewinne sprudeln, stimmt auch das Betriebsklima. Foto © Peter Wurmli

Vieles ist anders, aber nicht unbedingt besser

Ein Büro ist ein Ort, der von Kooperation und Organisation bestimmt ist. Das könnte nahelegen: Ein Büro ist ein Büro ist ein Büro ist ein Büro. So ist es aber keineswegs. Seit der erfolgreichen Digitalisierung sämtlicher Lebensbereiche und dem Rückfall in eine Kultur der Mündlichkeit erscheint nichts, was das Arbeiten im Büro und dessen Einrichtung angeht, länger selbstverständlich. In den vergangenen Jahren ist zwar vieles anders, aber nicht unbedingt besser geworden. Der andauernde Ruf nach mehr Effizienz hat ein Übriges getan, um den Veränderungsdruck zu erhöhen.

Arbeiten wie bei Google?

Wollen oder müssen wir angesichts der Verflüssigung selbst bewährter Arbeitsstrukturen tatsächlich alle über kurz oder lang zu digitalen Bohemiens mutieren? Oder sind wir etwa auf die Nerds und ihre Gewohnheiten ebenso hereingefallen wie auf die Versprechen einer Humanisierung der Arbeitswelt durch immer raffiniertere technische Gimmicks? Haben sich Designer und Hersteller, ja wir alle, etwa von Google und anderen Marktführern aus dem Silicon-Valley täuschen lassen? Nicht allein, was die Segnungen elektronischer Systeme, Netzwerke, Geräte und Apps angeht, die doch angeblich unser Leben erleichtern sollen, sondern auch, was die Einrichtung des Büros und die Organisation unserer Arbeit angeht? Es spricht, nicht erst seit den Debatten um Big Data, NSA, Amazon und Google, einiges dafür, dass wir ständig daran mitarbeiten, wenn abermals unsere Wünsche kolonisiert und unsere Bedürfnisse enteignet werden. Hier der schöne Schein, dort die harte, kapitalistische Wirklichkeit. Solange die Gewinne sprudeln, stimmt auch das Betriebsklima – emissionsfrei, demokratisch, spaßorientiert.

Arbeiten wird inszeniert

Firmen und Designer, die Büros planen und ausstatten, inszenieren das Arbeiten in einem doppelten Sinn: Erstens in der tatsächlichen Gestaltung eines funktionalen Arbeitsterrains, die der jeweiligen „corporate culture“ des Auftraggebers anschaulich entgegenkommt. Und zweitens im Kreieren von Vorbildern, die auf die Bedürfnislage des Auftraggebers reagieren, aber weit über diese hinausweisen. Waren Büros in früheren Zeiten streng informationell organisiert, so hat sich ihr Image inzwischen gewandelt, viele narrative und symbolische Qualitäten hinzugewonnen.

Symbolpolitik statt Arbeitserleichterung

Vieles, was an neuartigen Bürokonzepten entwickelt und zum Verkauf angeboten wird, erweist sich deshalb nicht zuletzt als Symbolpolitik. Wobei so manche als innovativ gepriesene Produktlinie Fehler zu korrigieren sucht, die ihre Vorläufer erst verursacht haben. Die Folge ist ein Schaukelkurs, dem so mancher, der ein Büro einzurichten hat, nicht oder nur widerstrebend folgen möchte. Ein Teil der kaum zu übersehenden Orientierungskrise der Branche hat hier seine Ursache.

Ob man sich nun in einem Iglu zurückzieht oder in einer Gondel die Kreativität schaukelt – das Arbeiten muss in der Arbeitswelt inszeniert werden. Foto © Peter Wurmli

Performance zählt mehr als Leistung

Hinzu kommt: Seine Aufgaben als Bürokraft korrekt zu erfüllen genügt heute offenbar nicht mehr. Zu tun, was getan werden muss, reicht nicht aus; es muss auf der Bürobühne dargestellt werden. Die Folge ist: Arbeiten wird zunehmend theatralisch. Einerseits ist jeder Sachbearbeiter, so klar umrissen sein Aufgabenfeld auch sein mag, aufgefordert, sich und seine Tätigkeit anzupreisen. Andererseits wird sein Output ständig mittels Klicks, Tools zur Stundenerfassung oder Excel-Tabellen überwacht, bewertet, kontrolliert, um weiter optimiert werden zu können. Geforderte Kreativität und zu erduldende Kontrolle arbeiten hier Hand in Hand. Das führt unter anderem dazu, dass Performance mit Leistung, Effizienz mit Effektivität und gutes Arbeitsklima mit bunten Lounge-Bereichen verwechselt wird. Wo verkrustete Strukturen aufgebrochen, Hierarchien und Organisationsformen grundlegend verändert werden sollen, steckt der Teufel, wie so oft, im Detail. Ich erinnere mich noch gut daran, wie der Leiter einer großen Zeitungsredaktion schon in den 1990er Jahren erste Einsparungsmaßnahmen mit dem Hinweis parierte, eine Redaktion sei so gut organisiert wie sie eben organisiert sei, daran lasse sich ohnehin nur wenig ändern. Am Ende erweist es sich als vielversprechender, eine gute Balance zwischen den legitimen Ansprüchen des Arbeitgebers (samt den Büroplanern und -ausstattern) anzustreben, statt einer bestehenden Organisation eine abstrakte Neuordnung überzustülpen und jeden auf die Mitwirkung am neuen Spaß- und Gute-Laune-Programm zu verpflichten. Was nicht gelebt, sondern nur vorgespielt wird, kann auf Dauer nicht funktionieren.

Zu viel Fassadenkosmetik?

Natürlich ist keineswegs nur schlecht, was Büros heller, fröhlicher, ergonomischer, das Arbeiten leiser, das Licht blendfreier und energieeffizienter, das Raumklima angenehmer und Video-Konferenzen erträglicher macht. Die Frage muss aber erlaubt sein: Haben Designer und Büromöbelhersteller in den vergangenen Jahren und in gutem Glauben womöglich zu sehr auf eine schöne, bunte, erfolgversprechende Fassade geschaut – insgeheim aber die dahinterstehende Ideologie kopiert? Wurde oft mit einem Arbeitsplatz auch noch eine neoliberale Ideologie möbliert, das Ganze zudem optimistisch grün und gern auch etwas anarchisch-alternativ angestrichen?

Es ist an der Zeit, sich darüber klar zu werden, dass ein Arbeitsplatz nur selten, und nur für die gerade erfolgreichen Branchen der sogenannten Kreativwirtschaft, eine Spaßmaschine und ein Spielplatz sein kann. Wir alle – von der Politik über die Gewerkschaften und Arbeitgeber bis hin zu Designern und Künstlern – müssen darüber debattieren, was Arbeit heute bedeutet und wie sie human gestaltet werden kann. Konkret sollten Architekten, Innenarchitekten, Designer und Büroausstatter damit beginnen, ihre Orientierung an Werbeagenturen, Literatur- und Kreativwerkstätten, IT- und Start-up-Unternehmen als Modell und Maßstab für „das Arbeiten“ ganz allgemein zu überdenken. Individuelle, auf vorhandene Räume, die jeweilige Tätigkeit und die Bedürfnisse der in die Planung einbezogenen Belegschaft zugeschnittene Lösungen müssen beides, Standardprogramme und Vorzeigeexperimente ersetzen. Kann es sein, dass viele Büros gar nicht als Mischung aus Maschine und Wohlfühlinsel funktionieren, nicht jeder Mitarbeiter andauernd seine Kreativität unter Beweis stellen muss, vielleicht sogar nur widerwillig dem neuen, angeblich alternativen Konformismus zu huldigen bereit ist?

Ob man sich nun in einem Iglu zurückzieht oder in einer Gondel die Kreativität schaukelt – das Arbeiten muss in der Arbeitswelt inszeniert werden. Foto © Peter Wurmli

Arbeiten Sie doch, wo Sie wollen!

„Arbeiten Sie doch wo sie wollen“, versprach eine Werbekampagne von Apple schon in den 1980er Jahren. Und ja, wir haben die Freiheiten genossen, die Vernetzung, neue Maschinen und Netzwerke eröffnet haben. Gelitten aber haben unser eigener, selbstbestimmter Arbeitsrhythmus und eine klare Trennung von Arbeit und Freizeit. Soll man es etwa als konservativ, gar als rückwärtsgewandt abtun, wenn Arbeit wieder Arbeit genannt wird? Wollen wir alle uns tatsächlich weiterhin in der Illusion wiegen, Arbeit sei das bessere Leben – möglichst rund um die Uhr, überall und jederzeit? Hilft es wirklich weiter, wenn wir so tun, als sei die Rede von der „Work-Life-Balance“ zwar ganz nett, im Grunde sei Arbeit aber nichts als ein Spiel für große Kinder, die allein über den Rohstoff verfügen, der die schöne neue digitale Wohlfühlwelt der Wissensgesellschaft antreibt: Kreativität? Wer, wann, wo und unter welchen Bedingungen „kreativ“ wird, lässt sich ohnehin nur schwer ausmachen. Auch ist es schön, wenn Mitarbeiter motiviert sind, weil sie sich zwischen zwei Meetings bewegen oder zwischendurch entspannen können. Vieles von dem, was zum Wohle der Angestellten eingerichtet wird, dient am Ende trotzdem nur der Effizienzsteigerung und läuft auf noch mehr Überstunden und Selbstausbeutung hinaus. Ein erster Schritt, Arbeit und Nicht-Arbeit miteinander zu versöhnen besteht also darin, die Differenzen wieder deutlich hervorzuheben – Arbeit wieder Arbeit zu nennen und sie auch als solche zu begreifen.

Individuelle Lösungen statt schöner Bilder

Ob metaphorisch gemeinsam an einer „Workbench“ herumgeschraubt, kommunikative Vernetzung samt Rückzug in „Net ’n’ Nest“ zusammengezogen wird, als sei das Büro eine stummgeschaltete Rock ’n’ Roll-Bühne, oder ob Ruheinseln inmitten zwanghaft-hysterischer Dauerkommunikation wenigstens für etwas Konzentration sorgen sollen – vieles, was heute gängige Büroeinrichtungen auszeichnet, ist durchaus als Reaktion auf Probleme entstanden, die – wieder einmal – von technisch-medialen Umbrüchen oder den damit verbundenen Missverständnissen verursacht wurden. Neuerdings wieder aufgeflammte Diskussionen über Sinn und Zweck des Arbeitens im Home-Office belegen – ganz gleich, welche Position man dazu einnimmt – zumindest, dass wir uns, was die Neuorganisation der Büroarbeit angeht, noch immer im Stadium des Experiments befinden.
Auch wir, die Nutzer, die Büroarbeiter, haben uns mit hübschen, mit bunten Stoffen bezogenen Standardlösungen abspeisen lassen, statt unsere tatsächlichen Bedürfnisse zu artikulieren und auf spezifischen Lösungen zu bestehen. Sicher, keiner hat uns gefragt, darin liegt ein Teil des Problems. Aber auch die Designer haben zu selten und zu halbherzig über die Nutzer, konkrete Bedürfnisse, Anforderungen und Wünsche nachgedacht, wenn sie mal wieder ein neues „System“ entwickelt haben.

Fairer Interessenausgleich

Ein möglicher Schluss, der aus all dem zu ziehen wäre, könnte lauten: Die Zukunft, die uns die schöne neue Bürowelt verspricht, ist bereits eine vergangene. Das Pendel schwingt zurück und es wird Zeit, andere Akzente zu setzen. Was nicht heißt, dass Büros deshalb wieder trist und grau, Mitarbeiter wieder in kleine öde Zellen eingeschlossen werden müssen. Sich allein an den Spaßbedürfnissen einiger weniger zu orientieren wird jedenfalls nicht ausreichen, um unter den veränderten Bedingungen einer kommunikativ und digital geprägten Arbeitswelt vernünftige Lösungen zu entwickeln. Am Ende geht es doch um einen fairen Ausgleich unterschiedlicher Interessen – und das heißt: um tatsächlich nutzerorientiertes Design und darum, Arbeiten und Leben tatsächlich in ein vernünftiges Gleichgewicht zu bringen.

Zwischen Teppichfliesen und abgehängter Decke wachen Pinguine über die Performance der Mitarbeiter. Foto © Peter Wurmli
Zwischen Teppichfliesen und abgehängter Decke wachen Pinguine über die Performance der Mitarbeiter. Foto © Peter Wurmli
In den Büros der Vergangenheit war Raum für Architektur. Links: Der „Johnson Wax“ Bürokomplex von Frank Lloyd Wright aus dem Jahr 1939. Rechts: Arbeiten in Reih und Glied in den Räumlichkeiten des Pharmakonzerns Boehringer Mannheim von 1960. Foto links © Wikipedia, Foto rechts © Quickborner Team