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Aus dem Wörterbuch einer Möbelmesse
von Thomas Wagner | 09.01.2012

Bitte ordnen Sie die folgenden Wörter in der richtigen Reihenfolge: Pure, Pure Village, Prime, Comfort, Smart. Sagen Sie bloß nicht, das falle Ihnen schwer. Haben Sie etwa Probleme, sich auf diesem Planeten zurechtzufinden? Und kommen Sie mir bitte nicht mit der Ausrede, alles werde immer komplexer, die lassen wir nämlich nicht gelten. Suchen Sie lieber das Besondere im Allgemeinen und denken Sie an die rheinische Dialektik, die täglich praktiziert wurde, als Bonn noch Bundeshauptstadt war. Sie geht so: Nun stimmen wir ab – und dann schauen wir mal weiter. Also bitte, ich warte! – Bedenken Sie, es ist Januar, auch im Rheinland ist das alle Jahre der Fall. Na? Immer noch keine Idee?

Aber klar! In Köln rüstet man sich wieder einmal für die „imm cologne", die Internationale Möbelmesse. Am 16. Januar geht's los. Das ist die gute Nachricht. Die schlechte ist: Sie müssen noch ein paar Vokabeln lernen, um in Köln nicht ganz dumm dazustehen, mit oder ohne Kölsch. Eine Lektion in praktischer Designkunde kann keinem schaden. Nein, Living Kitchen hat nichts mit dem aus dem Rotwelsch kommenden deutschen Wort „Kittchen” zu tun und gehört nicht dazu. Die Messe gleichen Namens findet nämlich nur alle zwei Jahre und deshalb erst 2013 wieder statt.

Merken sollten Sie sich hingegen eine andere Verbindung mit dem neudeutschen Wort „living": Living Interiors Lektion gelernt? Okay. Trotzdem, Sie müssen noch mal tapfer sein und sich konzentrieren. Ihr Lernwillen wird im folgenden nämlich mit einer Bedeutungsverschiebung konfrontiert, wie sie nur in hoch entwickelten Gesellschaften vorkommt, in denen die Ausdifferenzierung der Wertsphären bereits zu einer recht kleinteiligen Struktur geführt hat. Bei der „Trendinstallation in menschlichem Maßstab", die auf den Namen Das Haus getauft wurde, handelt es sich gerade nicht um ein Haus, sondern nur um die Vision eines solchen. Ausgedacht hat sie sich auch nicht der Creative Director der Messe, sondern das Londoner Designstudio Doshi Levien, das er zu diesem Zweck eingeladen hat. „Das Haus", das keines ist, aber doch eines sein könnte, steht also schon bald als „so etwas wie eine schlüsselfertige Vision von den Möglichkeiten des Wohnens" mitten in der „Pure Village". Wir werden genau nachschauen, ob „Das Haus" wirklich „das Beste aus ganz verschiedenen Welten" kombiniert und „überall auf der Welt stehen" könnte, wo es doch gar kein Haus, sondern nur ein „Haus" ist.

Die „Pure Village" in Halle 3.2 wiederum, erfunden im Jahr 2010, ist ihrerseits – entgegen anders lautender Vermutungen – kein Dorf, in dem die Musikgruppe „Pur" auftritt, sonst wäre sie ja falsch geschrieben. Schon in den vorangegangenen Jahren bedeutete „pure" in der Kombination mit „village" nicht unbedingt „echt" oder „unverfälscht". Lernen müssen Sie das Wort trotzdem, sogar wenn es Ihnen rätselhaft erscheint, dass auch das nicht echte Dorf ein „lebendiger Rahmen" sein soll „für neuartige Marken- und Produktinszenierungen". Aber so ist es eben mit der Marketingsprache. Schon Wittgenstein wusste, dass erst der Gebrauch die Bedeutung eines Wortes bestimmt.

Wenn wir schon dabei sind: Merken Sie sich im Zusammenhang mit Pure Village bitte auch [D³]. (Die Klammer müssen sie nicht mit aussprechen.) Die jungen „Design talents" mussten, nachdem sie in den letzten Jahren zwischen verschiedenen Hallen herumgeschoben worden waren, nun nämlich auch aufs Dorf ziehen. Was wirklich ernste Fragen einer Metaphorologie für Kreative nach sich zieht. Etwa die, ob sie aus der Stadt vertrieben wurden oder freiwillig gegangen sind, und ob „Talent" wirklich ein positiver Begriff ist, der mehr aussagt als auf junge und begabte Menschen zu verweisen, denen etwas verheißen wird, das sich zumeist nicht erfüllt. Aber sei's drum, es wird so oder so zu beobachten sein, wie „belebt" sich das Pure Village im dritten Jahr seines Bestehens präsentiert, wo diesmal doch Firmen wie Thonet, Gandia Blasco, Mocoba, e15, Kaldewei, Bugbad, Grohe, Création Baumann, Parador, Carpet Concept und Loewe in den Häuschen untergebracht werden, die, wie „Das Haus", auch nur so tun, als ob sie Häuschen wären. Haben Sie das verstanden?

Ich merke, Sie sind etwas erschöpft. Sie haben schon lange keine Vokabeln mehr gepaukt? Nun gut, ich erspare Ihnen den Rest, sprich „Pure" (ohne Village), „Prime", „Comfort", „Smart" und wie die Abteilungen sonst noch heißen, die sämtlich angefüllt sein sollen mit Premium-Anspruch, Top-Design, hochkarätigen Ausstellern, kompletten Wohnphilosophien – und vielen Neusprech-Vokabeln mehr.

Bleibt nur noch festzuhalten: Die Kenntnis des Wortes Passagen, das in keinem imm-Wortschatz fehlen darf, setzen wir voraus, wo diese Begleitveranstaltung sich doch auch dieses Mal mit rund 190 Stationen über das gesamte Stadtgebiet ausbreitet. Ob sich, wie recht selbstbewusst behauptet wird, in der Kölner Bucht deshalb gleich die „Crème de la Crème der internationalen Designszene" mit „Projekten und Inszenierungen" tummeln wird, man weiß es nicht genau! Und zu guter Letzt: Dass das Museum für angewandte Kunst Köln nun makk heißt und charakteristische Architektenmöbel aus den letzten hundert Jahren, von „Aalto bis Zumthor", wie es im Untertitel der Museumsschau heißt, präsentiert, ist sicher schon längst Teil Ihres Wortschatzes, ebenso wie der Titel „Vor dem Gesetz". Der stammt zwar nicht von Kasper König, dem Direktor des Kölner Museums Ludwig, sondern von Franz Kafka, verweist aber trotzdem auf eine sehenswerte Ausstellung – voller Kunst, aber ohne Design, ohne „Pure" und „Village".

Nun denn, wir sehen uns in Köln. Und bitte, das Vokabelheft nicht vergessen! Pure Grüße? – Ach was! Okey dokey!

www.imm-cologne.de
www.voggenreiter.com/passagen2012
www.makk.de
www.museum-ludwig.de

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