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Kunstwanderpass von Sebastian Meschenmoser

Kunst statt Kuren

Bad Gastein ist an sich schon ein fabelhaft sonderbarer Ort. Leerstand gehört bis heute dazu. Ein Kunstfestival macht sich das Prinzip der Sommerfrische zu Nutze, lädt Kreative ein und lässt ihnen freie Hand. Einige der so entstehenden Werke bleiben nur einige Wochen, andere kann man bis heute zum Beispiel erwandern.
von Katharina Juliana Cichosch | 28.07.2023

Imagegewinn durch Kunst ist heute eine feste Größe im Stadtmarketing, das Bad Gastein eigentlich kaum nötig haben sollte: Tosende Wasserfälle, die mitten durch die Stadt rauschen; hohe Hausberge und tiefe Täler, an deren Hänge sich vielstöckige Bauten wie das berühmte Grand Hotel de l’Europe schmiegen – nirgendwo in der Gegend wurde seinerzeit so hoch gebaut wie hier, was dem Ort schon den Namen "Manhattan der Alpen" einbrachte. Eine Architektur, zu der die wenigen brutalistischen Bauten am Platz übrigens dramatisch gut passen. Und dann die Quellen, die sich unter der gesamten, in Fels gehauenen Stadt befinden: Überall gurgelt das Wasser aus dem Boden, heiß und kalt, in geheimen und öffentlichen Becken kann man darin baden. Sagenumwobenes Radon-Thermalwasser, schwach radioaktiv, dass hier alle erdenklichen Kur- und Wellnessangebote beflügelt. Das deutsche Bundesamt für Strahlenschutz warnt. Hier sieht man das entspannter. Selbst kleine Pensionen haben ihre eigenen Thermalwannen im Keller. Und auf den größeren Hotels steht geschrieben, wer hier einst den Urlaub verbracht hat: Sigmund Freud zum Beispiel, Vater der Psychoanalyse, war regelmäßiger Haus- und Badegast im Hotel Excelsior, von dem ein grün bewachsener Pfad auf verschlungenen Wegen zu weiteren Herbergen führt.

Sagenhaft wäre also noch eine Untertreibung für diesen Ort. Und trotzdem hat sich Bad Gastein, das am Bahnhof wie einst zusammengeschrieben wird, bis heute trotz zwischenzeitlicher Hypes nicht vollständig vom touristischen Niedergang der 1980er Jahre erholt. Ehemals prächtige Hotels und etliche Ladengeschäfte stehen noch immer leer. Der Winter soll zwar fest in Après-Ski-Hand sein, die Sommermonate sind aber deutlich ruhiger. Doch Leerräume sind bekanntlich Gestaltungsräume, und so bespielen seit inzwischen zwölf Jahren Künstlerinnen und Künstler, einige an der Schnittstelle zur Raumgestaltung, andere zum Produktdesign oder zur Architektur, den Ort. "Sommer.Frische.Kunst" heißt das Format, das sie mehrere Wochen lang nach Bad Gastein lädt. Hier wohnen sie in den Pensionen und Hotels vor Ort – wie dem Miramonte, in dessen Neugestaltung alte Midcentury-Kurarchitektur erstaunlich umfassend einbezogen wurde – und arbeiten im Kraftwerk am Wasserfall sowie in den ehemaligen Ladengeschäften, die sich über die Kaiser-Wilhelm-Promenade ziehen.

Pegasus Project: Büroleuchte mit Himalayasalzstein @Taxes&Tantra, Galerie Georg Nothelfer, Berlin, 2021
Pegasus Project: "Dimension Door", Spannplatten und Spiegel, Installation "too close to the church" @PegasusMythischer Garten, Ilkahöhe, Tutzing, Starnberger See, 2020

Von untergegangenem Urlaubsinterieur zeugt hier auch die erste Installation von Pegasus Product, die gerade Eröffnung feierte: Das Künstlerkollektiv nutzt bevorzugt, was es vorfindet – in diesem Fall Material aus einem ehemaligen Berliner Hotel, das sich in Nachbarschaft zum Atelier von Gernot Seeliger, Dargelos Kersten und Anton Peitersen befand. "Power Peckerl" bewirbt ein mehrsprachiger Aufsteller vor der Tür die mystisch aufgeladene Dienstleistung, die drinnen feilgeboten wird. Ein Treatment, Ausdenk-Kur und Kunstperformance in einem. Die Materialquelle Hotel bestimmt die Installation: dreieckige Holzpaneele mit mattem Golddekor zieren nun die Wände, im Nachbarraum hat das Trio eine Liege aus dem Tourismus-Sperrmüll gezimmert. Darauf liegt ein Kunde, der sich gerade einer klandestinen Prozedur unterzieht und hierfür am Schluss eine geheimnisvolle Kette mit Anhänger erhalten wird.

Pegasus Product borgen sich beim Design nicht nur den Namen aus, sondern auch manche Strategie: das Vokabular für ihre Performances und Installationen, die spekulative Formfindung. Umgekehrt ist die Arbeit mit Übriggebliebenem, der weitgehende Verzicht auf neue Materialien, ja längst in der Kunst wie im zeitgenössischen Design beliebte Praxis. Ihre bespielte Installation erscheint als Karikatur der Kur- und Wellnessästhetik– oder vielleicht doch eher eine künstlerische Hommage?

Wasserfall in Bad Gastein
Danni Pantel: "Kurt Kjulaby", Acryl, Ölstift und Kohle auf Leinwand, 180x120 Zentimeter

Im nahe gelegenen Radon Pavillon ist ein weiteres Kollektiv eingezogen. Wobei man eher von Freundeskreis sprechen müsste: Dennis Buck, Conny Maier, Michael Günzer und Andi Fischer sind allesamt einzeln künstlerisch tätig, Maiers großformatiges Panorama-Gemälde konnte man zuletzt in der Unlimited-Sektion der Art Basel bewundern. Unter dem Namen "Dorf" treten sie nun mit wechselnden Gästen gemeinsam in eben solch dörflicher Umgebung auf: Buck zeigt Schriftzüge, die als erweiterte Malerei mal aus Silikon gegossen, mal von der Sonne aufs Textil geblichen werden. Fischers scheinbar naiv-kindliche Malerei schlägt direkte Schneisen zu kunstgeschichtlicher Referenz, und Maier präsentiert figurative Bilder von malerisch leicht entrückt wirkenden ProtagonistInnen. Das Prinzip Sommerfrische bringt sehr unterschiedliche Ansätze zusammen, die sich hier mit dem spektakulären Panorama und der Patina des Kurortes messen können. Oft sind Residenzprogramme ja an ganz bestimmte thematische Inhalte und kuratorische Erwartungen geknüpft. Hier eilt der Ruf der Freiheit, zeigen zu können, was man mag, dem Kunstfestival ein bisschen voraus. Manche KünstlerInnen wollen schlicht an ebendiesem spektakulären Ort den Urlaub verbringen und dabei ihre Kunst präsentieren. Einige kommen wieder: Helga Schmidhuber beispielsweise war vor Jahren selbst Gast mit eigenem Sommer-Atelier, heute werden ihre Werke auf der gleichnamigen Kunstmesse ausgestellt. Das Programm wird jedes Jahr neu gemischt; 2023 kommt zum Eröffnungswochenende noch eine Kunstmesse hinzu.

Möbeldesign von Victor Foxtrot

Bei Tageslicht und mit Blick auf den Wasserfall werden hier Einzelstücke und Editionen von hauptsächlich österreichischen und deutschen Galerien präsentiert. Neben Kunst gibt es ausgewähltes Design zu sehen, darunter das Tee-Service "The Bowser" von Coco loves Clay. Die Keramikerin hat dieses für die Ausstellung der Architektin Marie Aigner in der Galerie Rossana Orlandi anlässlich des Salone del Mobile 2023 entworfen. Die gleichnamige Computerspielfigur aus Super-Mario stand Pate für die stachelige Kanne. Im Erdgeschoss präsentiert das Hamburger Duo von Victor Foxtrot – Florian Vogel und Carolin Kreidel – unter anderem seinen "Double U Armchair", der hier in Bonbonrosa getaucht wie aus einem Guss geformt erscheint. Tatsächlich wird er aus gepresstem Buchenholz und Stahlrohr zusammengesetzt, den monochromen Anstrich von Blutorange bis Salbeigrün erhält das Sitzmöbel erst im Nachgang. Aus Wien angereist ist der Verlag für moderne Kunst (VFMK), der Produkte und Auflagen im Grenzgebiet zwischen Kunst und Design entwickelt.

Nach dem Messewochenende ziehen weitere Künstlerinnen und Künstler in die Ateliers im Kraftwerk, Resultate ihrer Arbeit wird es im August zu sehen geben. Neben der klassischen Ausstellungsfläche wird Bad Gastein selbst bespielt. Ausstellungen und Performances aus den letzten zehn Jahren ergeben manch gute Anekdote, die man sich bis heute erzählt: Zum Beispiel die Arbeit des österreichischen Künstlers Clemens Wolf, der in einer Nacht- und Nebelaktion sämtliche Bauzäune im damals noch heftig im Umbruch befindlichen Ort Gold anmalte. Während von seiner temporären Aktion nurmehr Fotos existieren, dürfen andere Werke dauerhaft bleiben. Eine eigens in diesem Jahr produzierte Wanderkarte mit Tuschezeichnungen von Sebastian Menschenmoser führt zu den großformatigen Skulpturen – beispielsweise von Kazunori Kura oder Olaf Holzapfel, die sich als hölzerne, licht- und luftdurchlässige Architekturen vor den grünen Hügeln abzeichnen.

Bis 2. September 2023
Mittwoch bis Samstag, 14 – 18 Uhr

Art Weekend
11. bis 13. August 2023
Einige Dauerinstallationen sind rund um die Uhr zu sehen.

Ausblick auf das View of the Grand Hotel de l’Europe Bad Gastein