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Baden mit Verwöhnungs- vorteil
VON Thomas Wagner | 27.02.2013

Willkommen im Thermotop! Hier dürfen wir ganz Körperwesen sein, ohne auf der Bühne der Fitnessstudios unsere Stärke unter Beweis stellen zu müssen, hier dürfen wir uns endlich wohlfühlen. Hier lässt der künstliche Wärmestrom, der in jede Pore eindringt und uns einhüllt, die physische und soziale Kälte vergessen, die uns tagtäglich draußen in der großen, weiten Welt bedrängt. Hier sind wir ganz bei uns, hier fühlen wir uns sicher, hier werden uns Entspannung, gar Heilung versprochen. Hier haben wir es geschafft, zwischen die Mechanismen der Kälte und unser von Auskühlung bedrohtes Leben eine Isolierschicht zu legen.

„Menschen“, sagt Peter Sloterdijk, der Philosoph und Theoretiker des heutigen Verwöhnraums, „sind nicht in einem Land bei sich, sondern in einem Komfort.“ Kein Wunder also, wenn die globale Wellness-Industrie damit zu locken weiß, wir würden mit ihren Angeboten zugleich so etwas erwerben wie einen „Verwöhnungsvorteil“. Während die alten Kurorte langsam aber sicher zu Kulissen einer fernen Vergangenheit verkommen, hat die Sanitärbranche erkannt, dass es – besonders im Bad – um mehr geht als um Rituale der Reinigung.

Der Wunsch nach Wohltemperiertheit

Sloterdijk bezeichnet mit dem Ausdruck „Thermotop“ denn auch den Kreis, in dem die Vorteile der alltäglichen Magie bemerkbar sind. Wer im noch jungen 21. Jahrhundert in vollem Umfang von Wärme und Klimatisierung spricht, der wünscht sich deshalb mehr als überall in Wohnung oder Haus warmes Wasser, Zentralheizung, Klimaanlage, digitale Haussteuerung und auf Effektivität getrimmtes Energiemanagement. Wonach er sich bis in den eigenen Seelenhaushalt hinein stillschweigend sehnt, ist ein wohltemperiertes Leben. „Im Kosmos“, notiert Alexander Kluge, „ist es für Warmblüter (und auch für Saurier, Fische und Schlangen) entweder zu heiß oder zu kalt. Dass es für das Leben geeignete, temperierte Orte gibt, gehört im Weltall zu den seltenen Zufällen.“ Ein solcher temperierter Ort ist in den entwickelten Ländern unseres Planeten zuallererst das Badezimmer.

Das Bad als magischer Pol

Mit dem Badezimmer, das sich in den vergangenen Dezennien immer mehr zu einem kompletten Wellness-Center entwickelt hat, wird der magische Wärmepol unseres Daseins ins eigene Heim implantiert. Im Bad wird aus der wilden, unbändigen Natur eine zweite, fürsorgliche Natur: Duschen, aus denen ein warmer Sommerregen auf unsere geschundene Haut perlt, ausladende Wannen, in denen das Wasser prickelnd und belebend sprudelt, ein beheizter Boden, Materialien, die sich angenehm anfühlen, warme Farben, dem Körper schmeichelndes Licht, helle Spiegel, Fitnessgeräte und allerlei Wohlgerüche sorgen rundum für gute Gefühle.

Vergleichbar ist dieser inszenierte Wohlfühlbezirk allein dem gehegten Feuer in der Küche, das als Hausseele voll sinnlicher Präsenz ebenfalls den Vorteil der Wärme bietet, deren Quelle, das offene Feuer, in archaischeren Zeiten freilich bewacht werden musste. Die Wiederkehr des Kaminofens mitsamt seinem Feuerspiel als Wohnaccessoire gibt davon Kunde, auch wenn dieser – mehr noch als unsre Wohngehäuse – vor allem unsere Seelen erwärmt. Magie, das weiß jeder Marketingfachmann, verkauft sich immer gut.

Wärmepumpe statt Herdfeuer

Gleichwohl sind an die Stelle pyrotechnischer Kompetenzen heute Fragen der Energie und des Verbrauchs getreten. Weniger Energie, weniger Wasser, nur so kann es gehen. Also kaprizieren sich auch die im Design geführten Debatten um die Komfortzone „Bad“ nicht mehr allein auf organoide oder rechteckige Formen aus Porzellan, feine Mosaiken und Erlebnisduschen, in denen das stressgeplagte Ego sich die Zumutungen des Alltags abwäscht. Was es heute zu gestalten gilt, ist mehr: ein auf Dauer gestelltes Wohlgefühl.

Effektive Erlebnissteuerung

So hat sich in den vergangenen Jahren rund um das Bad – und wie es technisch ausgerüstet, ökologisch und energetisch optimiert und nicht zuletzt ästhetisch gestaltet werden kann – einiges getan. Der nächste Schritt steht unmittelbar bevor: die umfassende Digitalisierung, sprich, die Steuerung der Technik und des Erlebnisses. Ingenieure und Designer arbeiten an beidem Hand in Hand. Schließlich geht es in den Ländern der Wohlfühlzone nicht mehr darum, einfach zu heizen oder warmes Wasser bereitzustellen. Es geht darum, alles besser zu machen: im Winter besser zu heizen und im Sommer besser zu kühlen, Wasser besser zu erwärmen und weniger davon zu verbrauchen – und zugleich das, was dabei herauskommt, besser, sprich intensiver erlebbar zu machen. Besser bedeutet dabei: effizienter, sparsamer, klimaverträglicher. Aber auch: gefälliger, wohliger, seelenvoller.
Ein Sparwunder, das nicht weniger, sondern noch mehr Komfort böte und überdies so gestaltet wäre, dass es uns unseren Komfortvorteil bis in die müden Knochen empfinden ließe, das ist es, wovon bei steigenden Energiepreisen und Umweltkatastrophen Techniker, Designer und Architekten nicht nur träumen, sondern konkret arbeiten.

Empfindungsqualitäten

Auf dieser Grundlage haben sich die häuslichen Wohlfühloasen, die mit dem, was man einst Bad nannte, nicht mehr allzu viel gemein haben, sukzessive weiterentwickelt, besonders, was die Empfindungsqualitäten angeht. Aus einem kargen Raum zur notwendigen Reinigung des Körpers ist in den Köpfen der Planer und Konsumenten ein zentrales häusliches Areal geworden, das am besten direkt ans Schlafzimmer anschließt und in dem zwischen Körperpflege, Wellness und Fitness nicht mehr unterschieden wird.

Als wärmende Insel im kalten Meer der Gesellschaft ist das Bad ein künstliches Paradies voller angenehmer Gefühle. Befinden wir uns nicht wohl, sprechen wir nicht umsonst davon, wir hätten uns „erkältet“. Auch steigt im Bad, diesem privaten und überschaubaren Weltinnenraum, die Flut selten unkontrolliert. Hier drehen wir selbst den Hahn auf oder zu, überlassen uns sorglos dem domestizierten Element. Was heute Bad heißt, ist mithin eine gefühlte Idylle, in der uns ein Regime umschmeichelt, das suggeriert, wir kehrten wenigstens für eine Weile zurück in jene körperwarme Mutterhülle, die wir bei der Geburt verlassen mussten.

Kälte- versus Wärmeprinzip

Kälte und Wärme sind archaische Größen. Ob wir frieren oder uns wohlig durchwärmt fühlen, hängt, wie jeder schon einmal erfahren konnte, nicht allein von der in Celsiusgraden gemessenen Temperatur ab. Die Welt draußen bleibt kalt. „Wesentliche Eigenschaften, ohne welche die Menschheit nicht überlebt hätte“, schreibt Alexander Kluge im Kapitel „Wer sich traut, reißt die Kälte vom Pferd“ seines letzten Buches, „stammen aus der Eiszeit. So z.B. die für Warmblüter wichtige Unterscheidung zwischen heiß und kalt: Grundlage aller GEFÜHLE. Insofern kann man sagen, dass wir Menschen aus der Kälte stammen.“

Die Erwärmung des Körpers und der Seele, physisch ebenso wie sozial, ist somit ein menschliches Großprojekt. Glauben wir Joseph Beuys, in dessen Kunst Wärme als evolutionäre Grundsubstanz ebenfalls eine zentrale Rolle spielt, so müssen wir, um nicht im Eishauch sozialer Gleichgültigkeit zu erfrieren, eine thermische Kreativität entwickeln. Ein Bad und eine Wärmepumpe reichen nicht, wir brauchen auch eine „Honigpumpe“, die uns an das warme und süße Leben anschließt.