top
Engagierte Diskutanten: Nadin Heinich, Jörn Walter, Mathieu Wellner, Julian Nina-Rümelin, Patrik Schumacher (v.l.n.r.)

Meister aller Klassen

Bei der Konferenz „Architecture Matters“ in München ging es kontrovers zu: Patrik Schumacher diskutierte über seine radikal marktliberalen Thesen – ein Spektakel, dass die Zuschauer gebannt verfolgten.
von Fabian Peters | 13.03.2017

Der Hauptkampf der Veranstaltung war für den frühen Abend angesetzt: Ein begnadeter Provokateur trifft auf zwei abgeklärte Altmeister. Der Provokateur heißt Patrik Schumacher, seines Zeichens Großarchitekt, Architekturtheoretiker, Nachfolger von Zaha Hadid im gleichnamigen Büro, und spätestens seit letztem Jahr Enfant terrible der Baumeisterzunft, der auf dem World Architecture Festival in Berlin eine radikal marktliberale Baupolitik gefordert hatte (siehe unseren Artikel „Denken mit der Abrissbirne“ vom 13.12.2016). Das Medienecho war schon vorab gewaltig, ebenso die folgende Anfeindung. Seine Diskussionspartner auf dem Münchner Kongress waren gewichtig: Der Münchner Philosophieprofessor und Kulturstaatsminister a.D. Julian Nida-Rümelin und der Hamburger Oberbaudirektor Jörn Walter, der mit der HafenCity eines der größten städtebaulichen Projekte in Europa koordiniert.

Julian Nida-Rümelin reflektierte über die Bedeutung der urbanen Kultur als Voraussetzung der Demokratie.
War bemüht, seine Thesen auch gesellschaftstheoretisch zu unterfüttern: Patrik Schumacher

Die Rollen waren von Anfang an klar verteilt: Schumacher gab dem Affen tüchtig Zucker, vertrat seine Positionen mit Vehemenz und machte klar, dass seines Erachtens staatliches Handeln in jedem Bereich nur Ultima Ratio sein sollte – privatwirtschaftliches Engagement erzeuge immer die besseren Ergebnisse. Dabei ließ er durchblicken, dass er diese Position durchaus nicht nur in Bezug auf Baupolitik vertritt, sondern auch auf andere Gesellschaftsbereiche übertragen wissen will: Private Rechtsprechung und auch private, nicht demokratisch legitimierte Regierungen, all das sind für Schumacher keine Tabus. Jörn Walter verfocht natürlich das Primat staatlichen Handels und warnte donnernd vor dem drohenden Gomorra entfesselter Märkte. Der dazwischen sitzende Nida-Rümelin versuchte sich zunächst als ausgleichender und einordnender Elder Statesman, begann am Ende jedoch etwas professorenhaft gute Ratschläge an Schumacher zu verteilen, weil ihm dessen Geschichtsausdeutung dann doch allzu eklektisch wurde.

Freek Persyn vom Brüsseler Büro 51N4E präsentierte den Entwurf für den Skanderbeg Platz in Tirana.
Emanuel Christ von Christ & Gantenbein referierte unter anderem über die hochgelobten Museumsanbauten seines Büros in Zürich und Basel.

Auch wenn das Publikum Schumachers Thesen mehrheitlich fremd gegenüberstand, so schien er mit seiner Institutionenschelte zumindest einigen aus dem Herzen zu sprechen. Das Schumachers neoliberales Theoriekonstrukt bei selbstständigen Architekten Widerhall findet, sollte nicht verwundern. Und natürlich ist es sein gutes Recht, Forderungen zu erheben, die ihm ideale Arbeitsmöglichkeiten eröffnen. Mancher wird es als erfrischend empfinden, dass hier jemand unverstellt das einfordert, was er für sich als das Vorteilhafteste erachtet. Schumacher hätte auch nach Ablauf der Gesprächszeit gern noch weiter die Klingen gekreuzt. Die Zuschauer hätte es gefreut, für sie war die vorangegangene knappe Stunde bereits ein höchst unterhaltsames Spektakel gewesen.   

Schon zuvor hatten andere Referenten der Konferenz in ihren jeweiligen Vorträgen interessante Einblicke in ganz unterschiedliche Bereiche im Themenspektrum der Architektur gegeben: Emanuel Christ, die eine Hälfte des derzeit erfolgsverwöhnten Architektenduos Christ & Gantenbein, gab einen unterhaltsamen und informativen Überblick über die Tätigkeit seines Büros. Kyrill Ass, Architekt und Architekturtheoretiker aus Moskau, beleuchte in seinem Referat zwei historische Kontinuitäten der russischen Hauptstadt, die bis heute das Baugeschehen bestimmen: die Selbstbeschränkung breiter Bevölkerungsschichten bei den Ansprüchen an die eigene Wohnung und die unübersehbare Prunksucht des Staates bei öffentlichen Prestigeprojekten. Ass spannte dabei den Bogen vom zaristischen Russland über Lenins Einquartierungs- und Enteignungsmaßnahmen und Stalins Gigantomanie bis zur Restaurationspolitik unter Putin.

Der Australier Liam Young bewegt sich zwischen Kunst, Architektur und Wissenschaft.
In seiner Präsentation zeigte er die bildliche Darstellung der Sensorwahrnehmung eines autonom fahrenden Fahrzeuges.

Vielleicht hätte man die Zahl der Referenten stärker beschränken müssen, denn mit fortschreitendem Abend dünnte sich die Menge der Besucher doch spürbar aus. Das war ein wenig schade für die zuletzt Vortragenden, den belgischen Architekten Freek Persyn vom Brüsseler Büro 51N4E und die videounterstützte Performance des australischen Künstlers Liam Young. Persyn beschrieb in seinem Werkstattbericht eine Arbeitsweise fernab des Großbürobetriebs à la Zaha Hadid Architects. 51N4E gewannen 2005 den Wettbewerb für ein Hochhaus in der albanischen Hauptstadt Tirana. Unter den dort gegebenen Bedingungen erwies sich der von ihnen geplante Stahlskelettbau aber schnell als nicht realisierbar, so dass die Architekten sich gezwungen sahen, ihren Entwurf vollständig umzuarbeiten, um ihn unter den örtlichen Gegebenheiten umsetzen zu können. Diese Erfahrung entmutigte sie aber nicht – in Gegenteil: Vor einiger Zeit gewannen sie einen zweiten Wettbewerb in Tirana – diesmal für die Neugestaltung des Skanderbeg Platzes im Zentrum der Hauptstadt.

Liam Young schließlich „performte“ die mitreißende Lesung eines Textes zu selbstgestalteten Videosequenzen. Gezeigt wurden die sensorischen Informationen, die ein selbstfahrendes Fahrzeug aufnimmt – eine Odyssee durch eine menschenleere Stadtlandschaft, eine Reise zu den Schattenseiten der Smart City, deren Zeitalter gerade anbricht. Wer schließlich kurz vor Mitternacht den Heimweg antrat, hatte Vieles gehört, worüber sich nachzudenken lohnt. Dem eigenen Anspruch, sich mit der „Stadt und Zukunft“ auseinandersetzen zu wollen, ist der Kongress auf jeden Fall gerecht geworden.