top
Bitte Mattgold!
von Markus Frenzl | 13.08.2009

Manufakturporzellan: Sündhaft teures, dekoratives Zeug für die Vitrine, verstaubte Traditionen, Schälchen, Figurinen... - Und dann findet man sich irgendwie vor dem Nymphenburger Schloss in einem Gebäude des nördlichen Schlossrondells wieder, bei einer Führung durch die Porzellan-Manufaktur Nymphenburg und lernt Herrn Zeus kennen, den Massemüller, einer der letzten seiner Art, der den ganzen Tag in der Massemühle schuftet, wo Kaolin, Feldspat und Quarz vermahlen und zu Porzellanmasse verarbeitet werden, die im Anschluss erstmal zwei Jahre reifen muss. Man lernt in der Dreherei Herrn Färber kennen, der so stolz auf seinen Beruf, seine Fertigkeiten und „sein" Unternehmen ist, wie man das noch bei keinem Web-Designer je erlebt hat. Der einem vorführt, wie aufwändig ein Teller des Designers Ted Muehling hergestellt wird: von Hand auf einer Drehscheibe geformt, die von Wasserkraft angetrieben wird, die erste grobe Form mit einem Draht vom Drehteller abgenommen, auf eine Gipsform gestülpt, die Unterseite mit einer Profilschablone geformt. Unten prägt Herr Färber auf den fertig geformten Teller sein Zeichen ein - manche Sammler legen sogar Wert darauf, ihre Stücke nur von einem ganz bestimmten Handwerker zu erhalten. Man lernt in der Bossiererei Herrn Hörl kennen, der gerade aus Porzellanmasse eine Chrysanthemenblüte erschafft, aus Dutzenden handgeformten Blütenblättern, viel größer als sie am Ende sein wird, weil sein Werk beim Brand noch um ein Siebtel schwinden wird. Oder Herrn Ehrlich, der für die Besucher auch noch dageblieben ist, obwohl es für seine Arbeit längst viel zu dunkel ist und der in der Malerei, in der es nach Terpentin, Nelken- und Lavendelöl riecht, eine Commedia dell' Arte-Figurine mit dem Ornamententwurf des Modemachers Gareth Pugh versieht, der wohl kaum wusste, wie schwer er es den Malern mit seinem Zickzackmuster machen würde.

Man durchläuft einen ganzen Kosmos voller fragiler, weißer Objekte auf derben Holztischen. Voller Holzkisten, die hier wahrscheinlich schon Hunderte von Jahren genutzt werden, auf denen „Feldspat" oder „Kaolin" steht. Tellerstapel mit Farbmustern, Dutzende für den Brand aufgespießte Totenschädel, die Franz Ignaz Günther schon um 1756 für ein Rokoko-Kruzifix entwarf. Eine Armada von Nilpferden, in Reih und Glied ihrer Bemalung harrend. Üppige Tafelaufsätze, die unfertig auf den rohen Holzbrettern ihrer Kinderstube stehen, bevor sie herausgeputzt in die Welt der Damastdecken hinausdürfen. Musterobjekte auf den Holzregalen mitten in der Malerei, die exakte Vorgaben liefern, wie das Endprodukt auszusehen hat, darunter auch die Entwürfe von Hella Jongerius, auf denen sich Farbtests finden oder unter einer fein mit Gold bemalten Porzellan-Schnecke mit Edding die Anweisung „Bitte Mattgold!" steht. Überall Gegenstände, die spürbar beseelt sind von der Arbeit, die in ihnen steckt und dem Stolz der Handwerker.

Und plötzlich merkt man, dass es eine simple Besichtigung geschafft hat, einen für eine fast vergessen geglaubte Produktkultur einzunehmen, für über Jahrhunderte ausdifferenzierte Handwerkstraditionen, die sich wie in einer Zeitkapsel erhalten haben, ja selbst für die Schälchen und Figurinen, denen man mit geschärftem Blick nun ihre Qualität ansieht und die Arbeit, die in ihnen steckt. Sogar als Designer, dem noch immer „Ornament und Verbrechen" im Kopf herum schwirrt, weiß man plötzlich die Qualität des Dekors zu schätzen und die fein aufeinander abgestimmten, eigens im Farblabor entwickelten Farben, die dem Industriedesign doch oft als Übertünchung der reinen Form gegolten hatten. Man wünscht sich, dass all das erhalten bleiben möge und nie irgendeinem Rationalisierungswahn zum Opfer fällt. Und man wünscht sich den kleinen Rokoko-Totenkopf auf seinen Schreibtisch, als Memento mori einer zum Glück noch immer lebendigen Handwerkskultur, oder die aus Dutzenden Einzelblättern geformte Chrysanthemenblüte als ständige Erinnerung daran, dass es möglich ist, der Gestaltung Seele zu geben.


Der Münchner Fotograf Frank Stolle hat die Werkstätten der Porzellanmanufaktur Nymphenburg fotografiert. Eine Auswahl seiner Fotografien ist hier zum ersten Mal öffentlich zu sehen.