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Matthias Sauerbruch und Louisa Hutton

Blickpunkt: Architektinnen – Louisa Hutton

In unserer Serie "Blickpunkt: Architektinnen" stellen wir Ihnen in regelmäßiger Folge das Werk von Architektinnen vor – wie das von Louisa Hutton, deren Bauten vielfach Manifestcharakter haben. Sie sind Statements für die topologische, gesellschaftliche und zeitliche Situation.
von Falk Jaeger | 16.06.2025

Louisa Hutton ist ein weltläufige Architektin, der man schon wegen ihrer distinguierten Sprache, ein gepflegtes UK English, gerne zuhört. Ihr entsprechend gefärbtes Deutsch hat den gleichen Charme, doch die Bürosprache ist, auch wegen des hohen Anteils an internationalen MitarbeiterInnen, ohnehin meist Englisch. Dass sie in Deutschland leben und arbeiten würde, war ihr nicht in die Wiege gelegt. Gebürtig 1957 in Norwich, studierte sie zunächst an der Universität Bristol und anschließend an der renommierten AA School of Architecture in London. Es war die Hohe Zeit der AA, in der sie mit LehrerInnen wie Peter Cook, Zaha Hadid, Rem Koolhaas, Elia Zenghelis und Peter Wilson international die größte Ausstrahlung hatte. Louisa Hutton traf an der AA auf Matthias Sauerbruch (Jahrgang 1955), der später Partner von Elia Zenghelis im Büro OMA (Rem Koolhaas u.a.) wurde, während Louisa Hutton bei Alison & Peter Smithson tätig war. 1989 gründeten die beiden in London das gemeinsame Büro sauerbruch hutton, das vier Jahre später seinen Sitz nach Berlin verlegte.

ADAC Zentrale, München
Franklin Village, Mannheim

In London spielte sich das Leben der beiden zwischen der Hochschule und dem Büro ab, in dem hauptsächlich Wettbewerbe bearbeitet wurden. Da sie nur kleinere Aufträge hatten, war viel Zeit zu reflektieren und zu zeichnen, und so wurde damals ihre unverwechselbare Handschrift entwickelt. Realisiert haben sie, neben anderen kleinen Projekten, den Umbau eines viktorianischen Hauses 1990/92 zum eigenen Büro, beziehungsweise Wohnort. Die kuriose Zeichnung davon, eine axonometrische Darstellung der Dachzone aus gleich zwei Blickwinkeln, von unten und von oben, ist vielfach publiziert worden. Auch wegen der Farbigkeit, die schon den Weg des Büros weist. Farbe spielt dann bei fast allen späteren Projekten eine entscheidende Rolle. Im UK gab es nicht viel zu tun und so nahmen sie an Wettbewerben im Ausland teil.

Schon der zweite, für die Hauptverwaltung der Wohnungsbaugesellschaft GSW im Berliner Zeitungsviertel, war ein Volltreffer. Der Gewinn dieses Wettbewerbs und die Aussicht auf Realisierung boten zudem Anlass für den Umzug des Büros 1993 nach Berlin. Der gegen Westen in verschiedenen Rottönen erscheinende GSW-Büroturm gilt noch immer als schönstes Hochhaus der Stadt. Gleichzeitig entstand das Photonikzentrum in Berlin-Adlershof, zwei vollverglaste Institutsbauten mit amöbenförmigem Grundriss, deren Sonnenschutzlamellen in allen Spektralfarben leuchten.

Experimenta, Heilbronn
Museum Brandhorst, München

Wie wenig anderen Teams ist es ihnen gelungen, einen eigenen Stil zu kreieren. Es sind die fließenden und runden Formen, die Baukörper und Mobiliar charakterisieren, es ist der unverwechselbare künstlerische Stil der Darstellung. Und es ist die fröhliche Farbpalette, mit denen die Pläne koloriert sind. Doch nicht nur die Zeichnungen sind farbig. Der Einsatz kräftiger Farben ist geradezu zu einem Markenzeichen der beiden geworden – bei fast jedem Bau findet sich eine andere aparte, künstlerische Farbzusammenstellung. Nun ist es in den heutigen Zeiten silbergrauer Stahl- und Glasarchitektur einfach, mit Farbe im Stadtbild aufzufallen. Diesbezüglich agieren sie jedoch seit jeher unvoreingenommen und beschreiten neue Wege. Ihre schon in der Großform schrille "Experimentelle Fabrik" in Magdeburg von 2001 sieht gar aus, als sei sie mit einer rosa-orange-silbrigen gestreiften Decke überworfen.

Berlin Metropolitan School

Mag letztere mit der gewagten Farbkombination die Geschmackstoleranz des Normalbürgers schon überfordern, so treffen sauerbruch huttons Kreationen ansonsten auf allgemeine Akzeptanz. Zum Beispiel das 2005 eingeweihte Umweltbundesamt in Dessau, ein selbstredend ökologisch äußerst vorbildhafter, mit allen möglichen energie- und umweltschonenden Techniken ausgestatteter Bau, der darüber hinaus mit seinem grünen Atrium und einer angenehmen Arbeitsatmosphäre auch architektonisch überzeugt. Die Bauaufgabe lag ihnen besonders, denn ganz nebenbei gehörten sauerbruch hutton zu den Vorreitern ökologischer Bauweisen. Die Farbflächen laufen hier entlang den Fensterbändern des Baus, der sich schlangenförmig um ein Atrium zieht – wobei nach Süden die warmen Rot- und Orangetöne vorherrschen, nach Norden eher die kühlen, blauen.

Gerne entwerfen sie für freie, solitäre Orte. In Henningsdorf bei Berlin etwa, wo sie eine elliptische, zweigeschossige Scheibe zum Schweben bringen: Das Rathaus als neuer Fixpunkt in der weitläufigen, allzu disparaten Stadtmitte. In Köln auf der Rheinaue, wo sie ein Bürozentrum mit zwei wiederum amöbenförmigen Baukörpern realisierten. In Heilbronn, wo sie das Science Center Experimenta auftürmten. In München, wo sich der ADAC als stolzes Wahrzeichen ein signifikantes Hochhaus auf fünffingrigem Sockelbau errichten ließ. Auf ADAC-Wunsch selbstredend in einer Familie aus Gelbtönen gehalten, die im Entwurf aber um zahlreiche grau-lila Töne ergänzt wurden, die den Bau strahlen lassen. Im venezianischen Mestre ist das M9 Museo del ´900 allerdings ein mit aller Sorgfalt in die vorgefundene Innenstadtstruktur eingefügtes Implantat. Der Neubau mit einer changierenden Keramikfassade in den Farbtönen der Ziegel- und Putzfarben Mestres, verknüpft mit den sensibel renovierten Altbauteilen, ließ ein lebendiges, vielfältig nutzbares Kulturzentrum entstehen, das von den BürgerInnen offenkundig sehr gut angenommen worden ist.

Die Projekte werden im Büro gemeinsam bearbeitet. Louisa arbeitet mehr intern, während Matthias die BauherrInnen betreut, vor allem bei den Projekten in Deutschland. Ihre Position als Frau im Bauwesen sieht sie nüchtern. Es gebe viele Vorurteile gegen Frauen, doch es werde langsam besser. "Man muss einen starken Durchsetzungswillen haben, sowieso in unserem Beruf." Eine gewisse Arbeitsteilung im Büro ergibt sich auch daraus, dass Matthias eher konzeptionell entwirft und Louisa mehr ins Detail geht – inklusive ständiger gegenseitiger Kritik. Das betrifft auch die bei ihnen so wichtige Farbgebung, deren Paletten sie gemeinsam diskutieren.

Immanuelkirche und Gemeindezentrum, Köln
Two New Ludgate, London

Louisa hat sich bei ihren Lehraufträgen für Wahrnehmungsphänomene interessiert. Wie man sich in der Welt positioniert, wie man Architektur erlebt. Sie liest gerade Erich Fromm und überhaupt AutorInnen abseits der Architektur oder solche, die Architektur nur am Rand behandeln. Sie sei nachdenklicher geworden und versuche, die Fäden des Lebens zusammenzuführen. "Jemand hat gesagt: Du musst dein Leben vorwärts leben, aber es ergibt nur Sinn, wenn du zurückschaust." Wichtig ist für mich heute das Leben, nicht nur die Architektur." Für sie ist auch die Arbeit im Büro eine Art Lehrtätigkeit, wenn es gilt, den richtigen Weg zu finden, laut darüber nachzudenken.

Architekturbüros aus Deutschland sind im Ausland durchaus erfolgreich, jedoch eher in Investmentkreisen als in der schillernden Szene der internationalen StararchitektInnen. Das hängt mit Kommunikationsdefiziten zusammen, auch vielleicht mit dem Mangel an einem gewissen Glamour-Faktor, denn die solide deutsche Architektur und ihre ProtagonistInnen vermissen lassen. Die Marke sauerbruch hutton hingegen ist international präsent, wobei ihnen naturgemäß die Signifikanz und Unverwechselbarkeit ihrer Bauten zugutekommt. Louisa Hutton hat mit der internationalen Präsenz einen großen Anteil daran, mit ihren GastprofessurInnen an verschiedensten Hochschulen, Vorträgen, Symposien und Jurys. Berlin als neuer Standort erwies sich als nicht unproblematisch. Drei Monate nach dem GSW-Wettbewerb kam Senatsbaudirektor Hans Stimmann an die Macht, Vorkämpfer für das "steinerne Berlin" und erklärtermaßen kein Freund der sauerbruch hutton-Architektur, die Symmetrien und Lochfassaden meidet. Die GSW konnte er nicht verhindern, aber öffentliche Senatsaufträge waren fortan nicht mehr zu erwarten. Das zwang die beiden, sich national und international zu orientieren, was durchaus gelang. Das Büro agiert seitdem europa- und weltweit.

Die Bauten von sauerbruch hutton haben vielfach Manifestcharakter, sie sind Statements für die jeweilige topologische, gesellschaftliche und zeitliche Situation. "Bauten sind wie Manifeste einer Architektur", sagt sie, stellen etwas dar, sind ablesbar und kommunizieren. Und dies an jedem Ort anders. Deshalb gibt es keine vielerorts anwendbaren Standardlösungen.

Hauptsitz von Médecins Sans Frontières, Genf

Dennoch haben sie eine Art Individualstil entwickelt, die ihre Bauten erkennbar machen. Um die Kontinuität aber auch Weiterentwicklung dieses Stils zu sichern, wurde in einem langangelegten Prozess der Büronachfolge die Führungsstruktur auf ungewöhnlich viele Schultern verteilt, nämlich auf 16 PartnerInnen und 14 Assoziierte. Für Louisa Hutton ist das Büro, in der man so viel Lebenszeit verbringt, auch eine große Gemeinschaft – fast wie eine Familie.

GSW Hauptverwaltung, Berlin