Planung mit Weitblick
Als ich von Ulrike Brandis neuem Buch hörte, freute ich mich sehr darauf, es zu lesen. Denn bereits der Titel "Licht Natur Architektur" ließ vermuten, dass es um mehr gehen würde als um eine rein technisch orientierte Lichtplanung. Dieser vermittelt sehr klar ihren holistischen Ansatz, also Licht und Lichtplanung absolut ganzheitlich zu sehen. Mit ihrem Hamburger Büro Ulrike Brandi Licht realisiert sie seit 1986 Projekte in den Bereichen Kunstlicht-, Tageslicht- und Masterplanung sowie in der Leuchtenentwicklung und im Design. Zu ihren Referenzen zählen die Elbphilharmonie in Hamburg und die Royal Academy of Music in London ebenso wie die Masterpläne für Rotterdam und die Hamburger HafenCity.
Der Umfang der Publikation hat mich zunächst erstaunt. Bei solch einem weitgreifenden Fachgebiet hätte ich durchaus mit viel mehr Seiten gerechnet. Doch Ulrike Brandi gelingt es mit einer souveränen Leichtigkeit, die komplexen Inhalte auf gut 140 Seiten sehr verständlich und kompakt zu vermitteln. Mit ihrem Buch möchte die Autorin und seit vielen Jahren sehr erfolgreiche Lichtplanerin verdeutlichen, “dass Licht ein ganz essenzieller Teil unseres Lebens ist und Lichtplanung soziale und politische Arbeit“ bedeutet. Daher richtet sie sich mit ihrer Publikation keineswegs nur an Fachleute oder angehende LichtplanerInnen beziehungsweise ArchitektInnen. “Licht Natur Architektur“ zeigt deutlich auf, dass die Lichtplanung nicht isoliert gesehen werden kann und nicht so gesehen werden sollte. Ulrike Brandi weist schon in der Einleitung auf die Multidisziplinarität ihres Fachgebiets hin und hat ihr Werk in zehn Kapitel aufgeteilt: Natur, Evolution, Wahrnehmung, Kultur, Nachhaltigkeit, Gesundheit, Dunkelheit, Dynamik, Komposition und Atmosphäre, Magie. Wie sie ihre Arbeit mit Licht versteht, konnte ich bereits 2007 bei einem Workshop des Vitra Design Museums in Boisbuchet, Frankreich selbst erfahren. Als Dozentin ermutigte sie uns dort eine Woche lang, Licht zu beobachten, Veränderungen wahrzunehmen und ein Gefühl für verschiedene Lichtstimmungen zu entwickeln.
Das Tageslicht als Vorbild
“Das Studium der natürlichen Lichtphänomene steht am Anfang jedes Lichtentwurfs“, schreibt sie in der Einleitung zum Kapitel Natur. Diesen Lichteffekten liegen physikalische Gesetze zugrunde, die Ulrike Brandi sehr anschaulich erklärt und sie anhand von Zeichnungen und Fotos von realisierten Projekten verdeutlicht. Sie zeigt damit eine besondere Stärke, diese Zusammenhänge zu schaffen und sie plausibel darzustellen. Als Expertin verwendet Ulrike Brandi in ihrem Buch Fachbegriffe wie Beleuchtungsstärke und Tageslichtquotient oder Reflexion und Transmission. Doch innerhalb des Kontextes verstehen auch NeueinsteigerInnen diese Bezeichnungen problemlos. Ein ausführliches Glossar listet zudem alle Fachwörter zum Nachschlagen auf.
Für PlanerInnen stellt die Autorin praxisorientierte Leitfäden zu unterschiedlichen Themen zur Verfügung, diese Seiten sind gelb abgesetzt. Im Kapitel Natur, wo es unter anderem um die Tageslichtnutzung in Gebäuden geht, gibt sie zum Beispiel Tipps für die “Untersuchung der Tageslichtbedingungen im Innenraum“. Sie verweist auf Normen und Richtlinien und darauf, dass durch Energieeinsparverordnungen der Länder durchaus Diskrepanzen in Bezug auf die Nutzung von Tageslicht in Gebäuden entstehen können. Was kommt vom Tageslicht und dessen spektraler Zusammensetzung durch verstärkte Dämmung und einen massiveren Fensteraufbau noch im Innenraum an? In den Kapiteln Nachhaltigkeit und Dunkelheit geht sie auf weitere, kritische Fragen näher ein: “Wir machen Licht, um mehr zu sehen, aber wir sehen immer weniger“, heißt es dort. Sie bezieht sich damit auf das Übermaß an künstlichem Licht in der Nacht, das vielerorts herrscht. Maßnahmen, um den Nachthimmel zu erhalten und das Wohlbefinden von Mensch und Natur zu schützen, werden unter der Bezeichnung ‘Dark Sky‘ angeregt und initiiert. Sie sollen Lichtverschmutzung vermeiden. “Statt den Vorteil der Energieeffizienz zu nutzen und weniger Strom zu verbrauchen, machen wir die Welt zu ihrem und unser aller Schaden heller“, fügt sie hinzu.
Das Zitat verdeutlicht, dass der Umgang mit Licht ein gesellschaftliches Thema ist und uns alle betrifft. Ulrike Brandi beleuchtet auch die unterschiedlichen Aspekte, wie sich Licht nachhaltig gestalten lässt. Sie stellt in den Raum, dass Tageslicht CO2-frei vorhanden ist und dieser Aspekt beim Bauen nicht genügend berücksichtigt wird. Anstatt das vorhandene Tageslicht zu nutzen und mit Kunstlicht in der Planung wirkungsvoll zu ergänzen, wird der Fokus oftmals zu sehr auf die Beleuchtung mit LEDs gesetzt. Ulrike Brandi sieht den Grund dafür auch darin, “weil die energieeffizienten LEDs Licht vermeintlich gut, ausreichend und billig in Räume bringen“. Sehr aufschlussreich sind auch ihre Ausführungen zur Kreislaufwirtschaft, Reparatur- und Recyclingfähigkeit von LED-Leuchten und LEDs. Sie gibt eine Übersicht der Umweltzertifikate und nennt als Planungshilfe Bewertungskriterien für Lampen und Leuchten, nach denen sie auch in ihren eigenen Projekten entscheidet.
Was ist gesundes Licht?
Dieser Frage geht die Autorin nach und sagt: “Das gesündeste Licht ist ungefiltertes, spektral reichhaltiges Licht“. Sie erläutert die nicht-visuellen, biologischen Wirkungen von Licht auf den Menschen und den direkten Bezug zu unserer inneren Uhr, deren Taktgeber die Sonne ist: Der Tag-Nacht-Rhythmus, auch zirkadianer Rhythmus genannt, steuert wesentliche Abläufe in unserem Körper. Wie lässt sich dieses Wissen sinnvoll in ein Lichtkonzept mit einbeziehen und umsetzen? Im Abschnitt Dynamik geht sie auf Systeme der Lichtsteuerung ein und informiert, dass sich Lichtsituationen an den jeweiligen Bedarf damit anpassen lassen. Hier spannt sie wieder den Bogen zur Nachhaltigkeit von Licht: “Lichtsteuersysteme können Prinzipien der Kreislaufwirtschaft wie Cradle to Cradle unterstützen“, so die Autorin.
Ulrike Brandi legt mit ihrem Buch eindrücklich dar, wie sehr die Lichtplanung übergreifend mit mehreren Disziplinen vernetzt ist. Sie umfasst ökologische, ökonomische und soziale Aspekte. Wie gestalten wir den Raum, in dem wir leben und arbeiten? Welche Auswirkungen hat eine künstliche Beleuchtung auf den Menschen und die Umwelt? Für die Autorin beeinflussen sich die Felder Ökologie, Ökonomie und Gesellschaft gegenseitig und bilden eine Schnittmenge, die sich am Ende in drei Begriffen ausdrückt: Leben, Schönheit und Sinn. Sie plädiert daher für mehr Austausch zwischen Forschung und Anwendung und sensibilisiert für das Medium Licht auch durch literarische Zitate, die sie punktuell mit einbaut und den LeserInnen somit einen weiteren, emotionalen Zugang eröffnet. Erwähnen möchte ich auch das Vorwort des britischen Architekten Ian Ritchie, einem vertrauten Weggefährten von Ulrike Brandi. Er lädt zu einer philosophischen Betrachtungsweise ein, die in positivem Sinne nachdenklich macht: “Wir haben unsere physische Welt so weit illuminiert, dass es heute fast unmöglich ist, Dunkelheit im Freien zu erfahren. Wir haben den Kosmos aus den Augen verloren, unsere Rotation darin, unsere Bewegung durch ihn hindurch, und vielleicht in mancherlei Hinsicht auch uns selbst“, so seine einleitenden Worte.
Vom Polarlicht über Glühwürmchen bis hin zu tageslichtdynamischer Steuerung, insektenfreundlichem Licht und schließlich Klimawandel – Ulrike Brandi setzt alles in Verbindung und macht damit das Licht als eigene “Dimension“ wesentlich greifbarer. Das hat mich an ihrem Buch am meisten fasziniert. Die Kapitel bauen aufeinander auf und lassen sich gut einzeln lesen – und das immer wieder aufs Neue.
Licht, Natur, Architektur
Ganzheitliche Lichtplanung verstehen und anwenden
Ulrike Brandi
Sprache: Deutsch
Birkhäuser Verlag, 2023
160 Seiten, 110 farbige Abbildungen
ISBN: 978-3-0356-2408-3
52 Euro