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Das Bauhaus in Kalkutta

Eine aktuelle Ausstellung im Bauhaus Dessau zeigt ein wenig bekanntes Kapitel der Institution als „eine Begegnung kosmopolitischer Avantgarden“. Denn schon 1922, gar nicht so lange nach der Gründung des Bauhauses, wurde Johannes Itten gebeten, Arbeiten von sich, anderen Bauhaus-Meistern und -Schülern nach Kalkutta zu schicken. Geplant war dort eine Ausstellung der „Indian Society of Oriental Art“. Vermittelt hatte sie Stella Kramrisch, eine Österreicherin, die Itten zuvor in Wien kennengelernt hatte. Die Meister des noch jungen Bauhauses, das noch in seiner Findungsphase und für spirituelle oder esoterische Einflüsse offen war, sahen durchaus Vorbilder in indischer Architektur, Handwerk und Philosophie. Auch Gropius war zu dieser Zeit inspiriert von gotischen und indischen Bauten. Er sah sie als nicht von einzelnen Spezialisten entworfene Bauten sondern als Vorbild für zukünftige Gemeinschaftsarbeiten des Bauhauses.

Wichtigster Vermittler zwischen Indien und Europa war der Dichter Rabindranath Tagore, der nach seinem Literatur-Nobelpreis international viel reiste, Vorträge hielt und seine Bücher über eine Million Mal in Deutschland verkaufte, wodurch er zum Vermittler der Indienbegeisterung wurde. Er – oder zumindest sein asketisches Auftreten – wurde gerne als prophetenhaft wahrgenommen, wie Karikaturen in der Ausstellung zeigen. Tagore war aber auch in Indien – genauer: in seinem Heimatland Bengalen – politisch und künstlerisch nicht ohne Einfluss. Schon 1901 gründete er 150 Kilometer von Kalkutta entfernt auf dem Land eine Schule. Die Großstadt war ihm zu international geprägt und dominiert von der Kultur der Kolonialherren. Ihm ging es darum, mit der Schule Srinitekan lokale Kunst- und vor allem Handwerkstraditionen wiederzubeleben und damit das Leben auf dem armen Land wirtschaftlich zu fördern. Dazu gehörte – wie bei der Arts and Crafts-Bewegung in England – eine Erneuerung mittels Orientierung auf die eigene Vergangenheit.

Im Jahr 1919 gründete Tagore dann nicht weniger als eine Weltuniversität: die Visva-Bharati University in Santiniketan, Westbengalen. Als Gegenentwurf zum britischen Erziehungssystem gehörten Tanz, Theater und spielerisches Lernen zum Programm, zumeist im Freien. Alles spielte sich ganz malerisch „im Schatten der Mangobäume“ ab. Aber die Schule öffnete sich auch Einflüssen von außen: Asien und besonders Japan wurden zum Vorbild, aber auch der Westen mit seiner kontinentalen Avantgarde. Deswegen unterrichtete Stella Kramrisch dort indische und europäische Kunstgeschichte und holte für die Ausstellung im Jahr 1922 Arbeiten – hauptsächlich Druckgrafiken – der Bauhaus-Künstler nach Kalkutta. Andere europäische Künstler waren in einer weiteren Sektion mit Reproduktionen vertreten, während indische Künstler in einer separaten Abteilung präsentiert wurden. Es war eine Verkaufsausstellung, in der man ein Aquarell von Kandinsky noch für zehn oder fünzehn Pfund erwerben konnte, was aber niemand tat. Bis auf eine Arbeit einer Schülerin gingen sämtliche Arbeiten zurück nach Dessau.

Regina Bittner und Kathrin Rhomberg, die Kuratorinnen von „Das Bauhaus in Kalkutta“, haben bei ihren Recherchen nur einen gedruckten Katalog der Ausstellung auffinden können, aber keine einzige Abbildung. Für ihre Präsentation in Dessau vermischen sie nun indische und deutsche Werke, die vorher getrennt gezeigt wurden und zeigen eine Auswahl, die der damaligen Ausstellung angenähert ist. Dabei fanden sie Ähnlichkeiten der Formensprache, etwa bei Lyonel Feininger und Abanindranath Tagore, einem Neffen des Schriftstellers, der sich neben seiner künstlerischen Karriere auch als Gründer der „Indian Society of Oriental Art“ einen Namen machte. Seine und die Arbeiten der Maler Sunayani Devi und Nandalal Bose wirken dabei erst einmal recht traditionell, betont flächig gemalt und eher einfach, beinahe naiv in der Auswahl historischer Motive. Vor dem Hintergrund der Emanzipationsbewegung erweisen sie sich jedoch als Rückgriffe auf historische indische Vorbilder. Abgelehnt wurde der akademische, „britische“ Realismus, gesucht hingegen wurde nach den eigenen Wurzeln und einem Anschluss an eine universal gesehene Moderne. So ist in Dessau, was das Verständnis des Bauhauses anbetrifft, gar nicht so viel Neues zu sehen. Entdeckt werden aber kann eine weitere internationale Reformschule mitsamt ihren Künstlern.

Das Bauhaus in Kalkutta

Vom 27. März bis 30. Juni 2013

Bauhaus Dessau

www.bauhaus-dessau.de

Der Katalog, erschienen bei Hatje Cantz, kostet 35 Euro