Das Spiel mit den Positionen
von Zimmermann Jörg
23.10.2012 Darf man Kunst einfach so in Gebrauch nehmen? Noch dazu im Alltag, im Büro? Cedric Bomford hat die Frage für sich und seine Kunstwerke mit einem kräftigen „Ja“ beantwortet und in der Stuttgarter Christophstraße seine erste permanente Installation in ein Büroloft gesetzt. In den Räumen der Markenagentur Dorten haben die Einbauten des kanadischen Künstlers die Atmosphäre radikal verändert. Meetings finden heute in der „Aula“ statt, und wenn die Mitarbeiter aus einer neuen Perspektive auf die gestellten Kommunikationsaufgaben blicken wollen, begeben sie sich auf die „Kanzel“. Als „absoluten Glücksfall“ bezeichnet Dorten-Inhaber Christan Schwarm die erste Begegnung mit Cedric Bomford in Berlin. Gemeinsam mit seinem Partner Robert Zwettler hatte er bei einem Ausstellungsbesuch im Künstlerhaus Bethanien die Arbeit „Das Amt“ des Stipendiaten entdeckt. Kupferfarbene, Metall bedampfte Spiegelscheiben, die auch am Berliner Palast der Republik verbauten worden waren, hatte Bomford dort als zentrale Elemente für seine irritierende Installation verwendet. Die Raumkonstruktion aus gefundenen und gebrauchten Materialien, die im vergangenen Jahr in der Berliner Dependance der Agentur als Dauerleihgabe ihren Platz gefunden hat, lässt sofort beklemmende Gedanken und Gefühle aufsteigen, (staatliche) Kontrolle und Bürokratie scheinen darin materialisiert. Erst der Wechsel der Blickrichtung, das Eintauchen in das halbdunkle Innere der Installation löst die Irritation für einen Moment wieder auf, um sofort in die Gegenrichtung auszuschlagen. Aus der Position des Beobachteten, des Überwachten, ist man nun in die Rolle des Überwachers geschlüpft. Die Spiegelscheiben, die von außen jeden Blick nach innen verweigern, fassen von innen die Außenwelt scharf ein. Bomfords Materialcollage verstärkt von beiden Positionen aus die eigenen Vorurteile und Erfahrungen. Es ist das naheliegende Spiel mit den Positionen, das Bedienen des Unbewussten und das unwillkürliche Infrage stellen, welches dem „Amt“ seine künstlerische Kraft gibt. In den Stuttgarter Räumen hat Cedric Bomford im Winter 2010 eine permanente Installation eigens für diesen Ort entwickelt. Ganz ohne vorgefertigten Plan hatte der Kanadier zum Jahreswechsel – die Agenturinhaber hatten das vorhandene Mobiliar und die Technik verpacken lassen und die Mitarbeiter in den Urlaub geschickt – in den 400 Quadratmeter großen Räumen zu arbeiten begonnen. Bomford hatte viel Material im Gepäck, als er in der baden-württembergischen Landeshauptstadt ankam und zunächst für drei Wochen eine Mietwerkstatt in den Wagenhallen bezog. Zum Beispiel die Unterkonstruktion einer Holztreppe aus den Anfängen des 20. Jahrhunderts, die in einem Berliner Hotel der anstehenden Renovierung zum Opfer fallen sollte. Grün lackiert und mit Ornamenten versehen, haben die Balken über viele Jahrzehnte den Treppenstufen Halt gegeben. Nun sind sie integraler Bestandteil einer offenen Konstruktion, die als halbrundes Auditorium den Mittelpunkt der Installation bildet. Es sind die gebrauchten Materialen, mit denen Bomford Substanz in seine Arbeit bringt. Gezielt gesuchte Fundstücke, die eine Geschichte mitbringen, die manchmal offen liegt, bisweilen auch nur erahnt oder imaginiert werden kann. Es wurde also gemessen, gesägt und geschraubt in der Mietwerkstatt und direkt vor Ort, im Loft. Der Künstler hatte freie Hand und schließlich eine Situation geschaffen, die passender kaum sein könnte. „Cedric Bomford ist ein Künstler mit einem klaren politischen Anspruch“, sagt Christian Schwarm. In seinen Arbeiten gehe es um die Verdeutlichung von „Power Structures“, von Hierarchien, deren Einfluss sich – bewusst und unbewusst – auch in Gebautem wiederfindet. Christian Schwarm: „Uns war dieser Ansatz der Arbeit extrem wichtig, denn eine rein dekorative Veränderung des Büros hätte uns nicht gereicht. Statt eines Re-Design der Arbeitssituation ist es gelungen, mit der Installation unsere Haltung und Verfassung neu zu definieren.“ Bevor Dorten im Jahr 2005 die Fläche bezog, hatte das Architekturbüro „Behnisch & Partner“ die Räumlichkeiten genutzt. Zurückgeblieben waren einige Einbauten mit geometrischer Strenge. Transparente und transluzente Doppelstegplatten, feinsäuberlich an Raumkanten orientiert, trennen beispielsweise zwei, drei Einzelbüros und einen Gruppenraum von der Gesamtfläche. Cedric Bomford hat seine Arbeit einfach zwischen diese Überbleibsel gesetzt. Da er fast ausschließlich gebrauchtes Material oder neuwertige Materialreste verwendet, entstehen räumliche Collagen, die das Bestehende mühelos visuell integrieren. Dass sich die Installation dann auch strukturell eingliedert und sogar überaus funktional erscheint, ergibt sich aus der intensiven Auseinandersetzung von Bomford mit den Prozessen in der Agentur. Wie überhaupt sein gesamtes Schaffen auf den Prozess ausgerichtet ist. Handeln ersetzt das Planen, „Thinking through building“ nennt der Künstler dieses Vorgehen. Mehrere Collagen-Segmente gliedern nun eine gute 120 Quadratmeter große Fläche im Loft. Die „Bibliothek“ ist ein Raum-im-Raum: Die Beleuchtung ist zurückgenommen, nur durch einen engen Durchgang und die schon im „Amt“ verwendeten Spiegelscheiben fällt Tageslicht ein. Ein Rückzugsort, zum Recherchieren, vertieftem Arbeiten oder Telefonieren. Ähnliche Möglichkeiten der Nutzung, doch nicht so versteckt, eher halböffentlich, ergeben sich bei der „Liftfasssäule“, deren Zylinderform mit gekantetem Blech umkleidet und an einer Seite aufgeschnitten ist. Den Mittelpunkt aber bildet die schon erwähnte „Aula“, ein halbkreisförmiges Auditorium, das Meetings zu Debatten und Präsentationen zu Vorlesungen werden lässt. „Cedric Bomford ist es gelungen, durch seine Installation unser Denken und Handeln andauernd zu beeinflussen“, sagt Christian Schwarm. „An jeder Stelle spürt man sofort, dass in unserer Arbeit der Perspektivwechsel das Entscheidende ist. Die Mitarbeiter haben die Installation von Anfang an ganz selbstverständlich als Arbeitsort angenommen. Und Kunden verstehen den Anspruch der Installation und die Wirkung für unsere Arbeit sofort.“ So wird es auch nicht vorkommen, dass der Geschäftsführer in die „Kanzel“ steigt und große Reden schwingt. Wer den auf Schulterhöhe angebrachten Hochsitz betritt, merkt sogleich, dass Ansagen von oben herab als Kommunikationsform in modernen Arbeitsstrukturen nicht taugen. Da holt man lieber einen Kollegen dazu und diskutiert halb abgeschottet auf Augenhöhe miteinander. Von außen sieht es dann so aus, als ob beide in einem Whirlpool Platz genommen hätten. Das könnte man dann wohl entspanntes Arbeiten und Kommunizieren nennen. Weitere Beispiele für ungewöhnliche Arbeitsumgebungen und Lernsituationen finden sich im Bildband „Learn for Life“ aus dem Gestalten Verlag. „Learn for Life – New Architecture for New Learning“ |
Die Installation „Das Amt“ des Kanadiers Cederic Bomford entstand 2010 im Künstlerhaus Bethanien, Foto © Dorten
Heute hat Bomfords Arbeit als Dauerleihgabe im Berliner Büro der Agentur Dorten ihren Platz gefunden, Foto © Yvonne Vogel
Entspannt recherchieren und nachdenken: Die „Bibliothek“ ist der bevorzugte Rückzugsort im 400 Quadratmeter großen Büroloft, Foto © Manuel Wagner
Die Unterkonstruktion einer Berliner Hoteltreppe gibt den Rhythmus der Sitzstufen in der „Aula“ vor, die den Mitarbeitern auch als „externer“ Schreibtisch dient, Foto © Manuel Wagner
Die „Aula“ ist der zentrale Bereich der Installation: Dort finden Meetings und Präsentationen statt, Foto © Manuel Wagner
Beim Betreten der Agenturräume fällt die „Litfaßsäule“ direkt ins Auge: Durch eine seitliche Öffnung kann die Säule betreten und benutzt werden, Foto © Manuel Wagner
e zu stellen, Foto © Manuel Wagner
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