Wie lässt sich Neues produzieren, wenn alles schon einmal dagewesen ist, wenn die Einheit von Stilen oder Ismen verloren ist und überall die Vielheit regiert? Es wird kombiniert, verschoben und gemixt, man bedient sich bei der Geschichte und in anderen Kulturen, arrangiert die wildesten Zwitter und lässt Formen und Muster zirkulieren. Wir leben in einer Zeit der Vernetzung und der Hybride - und ein Ende der globalen Verknüpfung von allem mit jedem ist nicht in Sicht. Wie sollte das Design, das sich mit der Dynamik von Prozessen recht gut auskennt, da abseits stehen können? Nicht länger nur im WorldWideWeb, sondern auch in der Wohnung entfaltet sich heute ein wildes, schizoides Denken. Also prallen in Lounges, Büros und in den eigenen vier Wänden Bruchstücke verschiedener Zeiten und Kulturen aufeinander und - verbünden sich doch in einer friedlichen ästhetischen Koexistenz.
Beim Salone del Mobile in Mailand wird man schon bald die süßen Früchte einer solchen Kultur des Remix bestaunen oder - ist man weniger euphorisch gestimmt - deren Folgen beobachten können. Das große Amalgamieren und Verschneiden, es hat längst begonnen, und nichts vermag ihm derzeit zu widerstehen.
Ob Edward van Vliet seinen Sessel „Juju" wie ein verziertes Petit Four serviert, ob Patricia Urquiola in ihrer Bohemian-Serie englische Klassik mit orientalischen Kissenlagern und Fransendeckchen mischt, ob Doshi Levien das indische daybed neu gestalten oder mit „Principessa" viele dünne Auflagen zu einem Prinzessin-auf-der-Erbse-Lager aufschichten und dabei britische Formstrenge mit der indischen Lust an Mustern kombinieren, ob Stefan Diez die Tradition von Thonet erneuert oder bei seinem Stuhl „Chassis" für Wilkhahn Bleche mit Hilfe einer im Automobilbau eingesetzten Technik formt, ob Jaime Hayon einen Verschnitt aus Rokoko und Minimalismus kreiert oder Hella Jongerius Hase oder Nilpferd in Porzellanschalen setzt und mit „Bovist" das Sitzkissen orientalisierend mit Stickereien garniert - stets mischen sich Stile und Zeiten, werden Formen und Traditionen kombiniert, Muster entliehen und Hybride gebastelt. Es ist die Mischung, die den Effekt macht.
Wie ein Hip Hoper gleichzeitig mit zwei laufenden Platten agiert, einzelne Sequenzen auswählt und diese, in der Geschwindigkeit verändert, vorwärts und rückwärts ablaufen lässt, so jonglieren auch Designer heute mit mehreren Techniken und kulturellen Schichten, reißen hier etwas aus seinem angestammten Kontext und fügen es dort wieder ein. Mal ist es die Designgeschichte, mal sind es Elemente fremder Kulturen, mal vergessene handwerkliche Verfahren oder aus anderen Branchen entliehene industrielle Techniken, die gesampelt, gemixt, hybridisiert werden. Dabei beschränkt sich ein solcher Remix gerade nicht aufs Zitieren. Als erfolgreiche Produktionsform geistiger Mobilität erprobt er sich an unterschiedlichen Formen und Funktionen, und je spielerischer dabei vorgegangen wird, desto entschiedener wird Funktion gegen Performance eingetauscht, werden Objekte angerichtet wie Sushi auf dem Brett oder wie Petits Fours in der Auslage eines Konditors - wobei die „kleinen Stückchen" nicht selten bewusst wie lustige kleine Verrücktheiten wirken.
Immer öfter und immer hemmungsloser wird verschoben und verrückt, gemixt und gescratcht. Wo immer ein Muster, eine Form oder ein Verfahren stammen mag, nun ist es permanent unterwegs, zirkuliert zwischen den Zeiten ebenso wie zwischen den Kulturen und Kontexten. So gebiert ein hybrides Denken, das auf Vielheit setzt und verbindet, was nicht zusammengehört, fortgesetzt Hybride. Und so folgt auf die modernistischen Ekstasen des Neuen und das postmoderne Zitieren der Remix als Versuch, Ordnung in die Ekstase des Vielfältigen zu bringen.
Als „hybrid" wird dabei gegenwärtig all das bezeichnet, was sich einer Vermischung und Auflösung von Traditionen verdankt, unterschiedliche Realitäten, Diskurse und Technologien verknüpft, sich Techniken wie Remix, Sampling und Collage bedient und uneingeschränkte Flexibilität und Mobilität an die Stelle einer einheitlichen Semantik treten lässt. „Wir brauchen uns", schreibt die Kulturwissenschaftlerin Elisabeth Bronfen, „nichts vorzumachen: Es geht heute nicht darum, ob wir kulturelle Hybridität für erstrebenswert halten oder nicht, sondern einzig darum, wie wir mit ihr umgehen."
Innovation ist somit zu einer Frage des Arrangements geworden. Erfolgreich ist, wer geschickt kombiniert. Was in der Pop-Musik - von Hip-Hop, Techno und Sampling bis zum Rap - schon seit vielen Jahren praktiziert und popkulturell eingeübt wurde, das verbreitet sich nun auch im Design. Heraus kommt dabei eine Kombinatorik, mittels der sich nicht nur ein Gewinn an Dynamik und Spielfreude erzielen lässt; es zeigt sich auch, wie schnell und gründlich die Populärkultur inzwischen die Hochkultur des Handwerklichen aufsaugt. Zwar wird so manches an alter Handwerkstechnik in die Massenproduktion hinübergerettet, und mit dieser auch ein gewisses Maß an Individualisierung geleistet, doch ändert das nichts daran, dass dabei abermals eine Kolonisierung kultureller Ressourcen stattfindet, wie es sie vor hundert Jahren mit der Integration so genannter „primitivistischer" Quellen in die westliche Kunst schon einmal gegeben hat. Freilich mit dem Unterschied, dass es heute nicht im Entferntesten um eine wie immer geartete Sehnsucht nach dem Ursprünglichen und Unverstellten geht, sondern um eine Art kulturellen Recyclings bislang ungenutzter oder aufs Abstellgleis des Historischen geschobener Quellen. Dass sich dabei mitten im avanciertesten Design eine Form kultureller Entfremdung offenbart, kann kaum verwundern, ist der Druck, permanent etwas Überraschendes und Neues hervorzubringen, doch gerade hier besonders hoch.
Gleichwohl erzielt das Remix-Verfahren aber auch positive Effekte. Entscheidend bei diesem Akt der Aneignung oder Verwertung ist, dass er nicht einfach Elemente einer beliebigen Volkskultur ansaugt, aufgreift und in einen neuen Zusammenhang integriert: Kontextwechsel und Aneignung geschehen zumeist unter der Perspektive der Verfeinerung. Wie beim absichtlichen Verschneiden von Bäumen, so muss man bei den gelungensten Beispielen und aus der Perspektive des Marktes, für den produziert wird, von Veredelung sprechen. Klappt es nicht, entstehen unedle Zwitter: Bastarde. Das Fremde, das politisch oft genug als Bedrohlich empfunden wird, hier erscheint es plötzlich als Stimulans. Zumindest für einige Zeit.
Wenn nichts für sich betrachtet neu ist, so ist es allein die Kombination, die zu überraschen vermag. Das darf man sich freilich nicht so vorstellen, als würden einfach irgendwelche Bausteine herumgeschoben. Vielmehr entsteht beim Remix aus Qualität der einzelnen Elemente und der Art ihrer Kombination ein Schub, der Eigenes und Fremdes, Altes und Bekanntes transformiert und dadurch zugleich in die Pluralität einer künftigen Weltkultur einübt. Es geht nicht in erster Linie um die Ingredienzen, die vermischt werden; auch nicht um deren Herkunft. Solche Bindungen sind obsolet. Es geht allein um die Art und Weise, das Heterogene überraschend miteinander zu verbinden.
In dieser Kunst der Übersetzung oder des Wandels durch Verschmelzung überdauert aber nicht nur das Neue nach dem Ende des Neuen. Es entsteht auch ein manieristisches Spiel, in dem es nichts Einfaches oder Schlichtes mehr gibt, dafür aber jede Menge überzuckerte, mit Mustern glasierte und mit raffiniertem Kontext gefüllte Leckereien. Nennen wir das Spiel der Mixturen, weil es am anderen Ende der Skala liegt, die mit dem „Supernormalen" beginnt, also vorläufig das „Superraffinierte".