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Entworfen von Architekt Ludwig Leo: der „Umlauftank" der „Versuchsanstalt für Wasserbau und Schiffbau" in Berlin-Tiergarten, 1967–74, Foto © Kilian Schmitz-Hübsch
Der rosarote Tank an der Spree
von Thomas Edelmann
17.10.2013

Das gebaute Werk des Architekten Ludwig Leo umfasst vergleichsweise wenige Werke, sein Ruf und sein Einfluss in Fachkreisen reichen weit darüber hinaus. Doch war er nie berühmt oder auch nur einer größeren Öffentlichkeit vertraut. „Unter seinesgleichen“ dagegen sei Ludwig Leo ein „geradezu schwärmerisch verehrter Architekt, der unter dem Stichwort Funktionalismus eine bemerkenswert moderne und würdige Figur macht“, befand Manfred Sack 1979 in der Wochenzeitung „Die Zeit“. Nun haben „BARarchitekten“ (Base for Architecture and Research) aus Berlin und der Architekturhistoriker Gregor Harbusch in einer geradezu winzigen, aber höchst sehenswerten Ausstellung Leben und Werk des Gestalters vergegenwärtigt, der im vergangenen Jahr gestorben ist.

Ludwig Leo wurde 1924 in Rostock geboren. Er wuchs unter schwierigen Bedingungen auf, da sein Vater drei Jahre nach seiner Geburt starb und die Mutter keine Anstellung fand, um sich und den Sohn zu ernähren. Magdeburg wurde zu einem wichtigen Kindheitsort. 1942 machte Leo sein Notabitur in Frankfurt am Main, wurde eingezogen und kurz vor Kriegsende an der Ostfront so schwer verletzt, dass ein Bein amputiert werden musste. Leo studierte nach dem Krieg Architektur, zunächst in Hamburg und zu Anfang der 1950er Jahre an der „Hochschule der Künste“ in Berlin. Dabei traf er unter anderem auf den Künstler und Architekten Stefan Wewerka (Nachruf Stefan Wewerka), auf Hardt-Waltherr Hämer, der später die IBA zur behutsamen Stadterneuerung leitete, sowie auf Hans Christian Müller, den prägenden Senatsbaudirektor der 1960er bis frühen 1980er Jahre. Mit Müller arbeitete Leo bei einigen Projekten zusammen, beispielsweise beim Internationalen Studentenheim Eichkamp, in deren Gebäuden zum Teil Studenten wohnten, die sie selbst zuvor entworfen hatten. Unter anderem war er am Entwurf einzelner Gebäude des umstrittenen Märkischen Viertels (1962 - 1967) beteiligt.

Monumente der späten Moderne

Bekannt wurde Ludwig Leo durch zwei spektakuläre Gebäude. Der „Umlauftank“ ist der eine, ein aufgeständerter technischer Funktionsbau zur Erforschung von Strömungsphänomenen. Charakteristisch ist der rohrförmige Tank, der gedämmt mit rosa Polyurethan-Schaum, aus einem blauen Laborgebäude auf Stahlstützen herauswächst und seit seiner Fertigstellung als weithin sichtbares Monument im Berliner Stadtraum präsent ist. Leo realisierte den Bau zwischen 1967 bis 1974 zusammen mit dem Ingenieur Christian Boës für die „Versuchsanstalt für Wasserbau und Schiffbau“ in Berlin. Das einst staatliche Forschungsinstitut wurde Teil der Technischen Universität Berlin. Seit 1998 wird der Umlauftank nicht mehr genutzt, Forschungsgelder gingen seit der Wiedervereinigung vorwiegend an die nahgelegene Schiffbau-Versuchsanstalt in Potsdam. Nun bereitet die „Wüstenrot Stiftung“ die Sanierung des Gebäudes vor, das sie „zum ersten Rang bundesweit schützenswerter Gebäude der Nachkriegszeit“ zählt. Auch die Ausstellung „Ludwig Leo – Ausschnitt“ sowie die lesens- und betrachtenswerte Begleitdokumentation wurden von der Stiftung unterstützt.

Der zweite markante Bau Ludwig Leos, der ebenso wie der „Umlauftank“ eine einzigartige Fernwirkung entwickelt, ist die „Bundeslehr- und Forschungsstätte der DLRG“ am Spandauer Pichelssee, die beinahe zeitgleich zwischen 1967 und 1973 entstand. Der elfgeschossige Baukörper in dreieckiger Form und mit markanter 44-Grad-Schräge diente unter anderem dazu, Rettungsboote über eine Stahlkonstruktion an der Westfassade entlang in die Höhe zu befördern und sie – verteilt über ausgewählte Stockwerke – im Winter einzulagern. Aber auch Unterrichtsräume mit klappbaren Tribüneneinbauten in einem doppelgeschossigen Saal, eine Küche sowie Kajüten zur Übernachtung enthielt der Bau.

Vor allem in England und dort im Umkreis der „Architectural Association School of Architecture“ in London wurden diese beiden Werke bereits kurz nach ihrer Entstehung zur Kenntnis genommen und euphorisch diskutiert. Archigram-Mitgründer Peter Cook brachte den „Umlauftank“ 1975 auf dem Titel seiner Zeitschrift „Net“. Und kurz darauf würdigte Leon Krier in der gleichen Zeitschrift den DLRG-Bau als einzigartig. Es sei, schreibt er, „nicht aus einem spezifischen kulturellen Kontext hervorgegangen, seine heroische Geste ist weder Reaktion auf eine direkte funktionelle Notwendigkeit noch auf ein Anliegen nach Selbstdarstellung dieser Institution.“ Heinrich Klotz, Gründungsdirektor des „Deutschen Architektur-Museums“ und des „Zentrums für Kunst und Medientechnologie“ (ZKM) in Karlsruhe nannte Ludwig Leo in einem Atemzug mit Rem Koolhaas und Haus-Rucker-Co, die allesamt am „Mythos des Konstruktivismus“ weiter gedichtet hätten. Ludwig Leo selbst war an solchen Qualifizierungen seiner Arbeit wenig interessiert. „Zwischen ihm und seiner Zeit, der Zeit des Kalten Krieges, lag stets ein Zwischenland, eine Trennschicht aus Herkunft, Krieg, deutscher Geschichte, und den Unmöglichkeiten der Gegenwart“, schrieb Dieter Hoffman-Axthelm 2004 anlässlich des 80. Geburtstags des Architekten.

Mythos und Beharrlichkeit

Eigenheiten und Widersetzlichkeiten in Werk und Persönlichkeit arbeiten die Kuratoren der Ausstellung, die Gruppe BARarchitekten und Leos Biograph Gregor Harbusch sorgfältig heraus. Nicht mit Essays oder Thesen beteiligte sich Ludwig Leo am Architekturdiskurs, sondern mit großenteils eigenhändig angefertigten Bauzeichnungen für Wettbewerbe und Entwurfsprojekte. Nicht wiedererkennbare Stilelemente, sondern die grundsätzliche „Problematisierung der Aufgabe“ war sein zentraler Ansatzpunkt. Da dies den Kern seiner Arbeitsweise tangierte, konnte es für ihn auch bei der Umsetzung seiner erfolgreichen Wettbewerbsbeiträge keine Kompromisse geben.

Ausstellung und Begleitheft dokumentieren vier ausgewählte Projekte – neben der DLRG-Zentrale, die ebenfalls realisierte Sporthalle Charlottenburg und zwei Projekte, die über das höchst intensive und detaillierte Planungsstadium nicht hinauskamen. Beides sind Schulbauten. Das eine, die „Laborschule Bielefeld“ (1971/72), nach pädagogischen Konzepten von Hartmut von Hentig entwickelt, wurde später nach veränderter Planung von der Berliner Architektengruppe „Planungskollektiv 1“ realisiert. Leo setzte sich in seinem Entwurf kritisch mit dem damals neuen Typus der Großraumschule auseinander und schlug einen natürlich belichteten und belüfteten Großraum vor. Neben großen Feldern, in denen Schülergruppen parallel unterrichtet werden sollten, konzipierte er schmale Rückzugsbereiche.

Denken, das Schule macht

Das andere, erstmals publizierte Schulprojekt, ist der Entwurf zur Erweiterung des „Landschulheims am Solling“ (1974–1976), das im Stadium eines Wettbewerbsbeitrags überliefert ist. Statt gemeinsame „Familien-Wohnräume“ von Lehrern und Schülern zu konzipieren, trennte Leo deren Wohnbereiche. Er griff die Dachneigung des burgartigen Bestandsbaus auf und entwickelte einen hoch verdichteten Wohntrakt, der gegenüber den in Berlin Eichkamp realisierten Bauten nochmals diagonal halbierte Räumlichkeiten vorsah. Alt- und Neubau sollten mit einem gewächshausartigen Glasdach verbunden werden.
Nach seiner produktivsten Phase, ab Mitte der 1960er Jahre, hatte er 1975 bis 1982 eine Professur an seiner früheren Hochschule, der HdK Berlin inne. Damit endete seine eigene Entwurfstätigkeit abrupt. Krankheitsbedingt gab Leo die Professur auf.

Verdichtete Räume voller Spielräume

Besondere Bedeutung für Leos konstruktives Verständnis, darauf weist sein Biograph Harbusch hin, spielen die Grundriss- und Schnittzeichnungen seiner Bauten, in die er stets zahlreiche Figuren einzeichnete. Sie machen als bewegliche Schemen deutlich, welche Spielräume und Nutzungsmöglichkeiten seine vorsätzlich verdichteten Räumen bieten könnten. Erkennbar sind dies keine Norm-Größen wie etwa beim „Modulor“ von Le Corbusier, schon gar nicht ergonomische Standard-Wesen, wie sie in Ernst Neuferts Bauentwurfslehre „Abmessungen und Platzbedarf“ definieren. Ihre Vielgestaltigkeit und Entspanntheit beschreibt viel mehr eine recht konkrete Vorstellung des sozialen Zusammenlebens, das Leo abseits aller Thesen und Manifeste mit seinen Entwürfen befördern wollte.
Spannend ist, wie es der Ausstellung auf kaum sechs Quadratmetern gelingt, mit einigen Schlaglichtern in das gestalterische Universum von Ludwig Leo einzuführen. Für Architekten ist die Beschäftigung mit dem Meister kein rein historisches Projekt, sondern trägt Ansätze zu einer Veränderung heutiger Entwurfspraxis in sich. Für den Architekturhistoriker Harbusch bildet das „intensive Nachdenken über Alternativen zum Offensichtlichen, das streng kalkulierte Ordnen der Räume und Formen sowie das Schaffen funktionaler Mehrwerte“ den Kern von Ludwig Leos architektonischem Wirken. Harbusch erforscht dies gegenwärtig als Doktoratsstudent an der ETH Zürich. Von Leo wird also noch zu hören sein.


Die Ausstellung „Ludwig Leo – Ausschnitt“ ist noch bis 27. Oktober, täglich von 10 bis 18 Uhr in der Galerie „die raum“, Oderberger Straße 56, 10435 Berlin zu sehen.
Der Blog www.ludwigleoausschnitt.com informiert über Details, Hintergründe und Rezensionen.

Zur Ausstellung erscheint die Publikation Ludwig Leo – Ausschnitt (48 Seiten, 109 Abbildungen). Die Publikation ist im regulären Buchhandel nicht zu erhalten. Der Verkauf erfolgt im Namen und auf Rechnung der Wüstenrot Stiftung und kann nur per Vorauskasse über das Büro BARarchitekten bezogen werden.

www.bararchitekten.de
www.zkm.de
www.ethz.ch

Ludwig Leo (1924–2012) vor seinem VW-Bus, Foto © Ludwig-Leo-Archiv im Baukunstarchiv der Akademie der Künste in Berlin, Morag Leo
Schnitt durch die DLRG-Zentrale in Berlin-Spandau, 1967–73, Foto © Ludwig-Leo-Archiv im Baukunstarchiv der Akademie der Künste in Berlin, Morag Leo
Foto der DLRG-Zentrale in Berlin-Spandau, 1967–73, Foto © Ludwig-Leo-Archiv im Baukunstarchiv der Akademie der Künste in Berlin, Morag Leo
Schnitt durch die Laborschule Bielefeld (unrealisiert), 1971/72, Foto © Ludwig-Leo-Archiv im Baukunstarchiv der Akademie der Künste in Berlin, Morag Leo
Sporthalle Charlottenburg, 1960–65. Foto © Jan Windszus 2013
Schnitt durch ein Wohnmodul für das Landschulheim am Solling in Holzminden (unrealisiert), 1974–76, Foto © Ludwig-Leo-Archiv im Baukunstarchiv der Akademie der Künste in Berlin, Morag Leo
Ausstellung Ludwig Leo (Galerie „die raum“ in Berlin), Foto © Jan Windszus 2013