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Experimentierfeld: Auf Tischen im Zentrum der Ausstellung werden Frei Ottos verschiedene Forschungsarbeiten ausgebreitet.

Frei Otto Retrospektive
Gelungene Lastenverteilung

„Denken in Modellen“ heißt die erste große posthume Ausstellung zum Werk des im vergangenen Jahr verstorbenen Architekten Frei Otto. Die Schau im Karlsruher ZKM schwelgt dabei leider zu sehr in den Archivalien des großen Baumeisters.
von Fabian Peters | 19.12.2016

Frei Otto war ein systematischer Planer. Ein Termin-Fiasko wie bei der Elbphilharmonie oder dem neuen Berliner Flughafen hätte er sich bei seinen beiden berühmtesten Bauten nicht erlauben können – dem deutschen Pavillon auf der Weltausstellung in Montreal 1967 und den Dächern des Münchner Olympiastadions. Die unglaubliche Zahl von 25.000 Arbeitsstunden benötigte für den deutschen Pavillon dabei allein die Arbeit, alle Maße von den Entwurfsmodellen abzunehmen. Noch unglaublichere 50.000 Arbeitsstunden dauerte das für das Münchner Stadion. Letzteres entspricht mehr als der durchschnittlichen jährlichen Arbeitsleistung von 30 Leuten. Dennoch waren beide Bauten pünktlich am Eröffnungstage des Ereignisses, für dass sie geplant wurden, fertiggestellt.

Zeltdächer für die heiteren Spiele

Wie wenige andere hat Frei Otto die Architektur der Bonner Republik verkörpert. Passten doch die leichten Zelt- und Dachkonstruktionen, die sein Markenzeichen waren und die er sein Leben lang weiterentwickelte, hervorragend zum Selbstbild der jungen BRD: demokratisch, anti-monumental, technologisch führend. Es waren seine transparenten, das Münchner Olympiastadion überspannende Zeltdächer, mit denen sich der Westen Deutschlands 1972 der Welt präsentierte und die zum Sinnbild der „heiteren Spiele“ wurden. Dabei ist es allein Frei Ottos Beharrlichkeit und seinem intensiven publizistischen Werben für die „leichten Flächentragwerke“ zu verdanken, dass seine Entwürfe mehr sein durften als ephemere Bauwerke auf Messen und Ausstellungen. Seine Bauten „verfestigen“ sich im Laufe der Jahrzehnte, auch wenn sie stets ihre fast schwerelose Anmutung behielten. Dennoch: Viele seiner Entwürfe entstanden für Veranstaltungen wie Bundesgartenschauen und – gleich zweimal – für Weltausstellungen: Neben Montreal war Otto auch an Shigero Bans japanischem Pavillon zur Expo 2000 in Hannover beteiligt. Eine lange Reihe von Bauten sind deshalb nicht erhalten. Umso erschütternder ist es, dass seine Multihalle, die er zur Bundesgartenschau 1975 in Mannheim errichtet hat, nach wie vor vom Abriss bedroht ist. 

Modellbahn: Die Präsentation in Form der sogenannten „Modelllandschaft“ ist nicht besonders informativ, dafür aber ästhetisch ansprechend.

Frei Ottos Leben endete mit einem Tusch: 2015 richtete die Verleihung des Pritzker-Preises noch einmal das Scheinwerferlicht auf den damals 89 Jahre alten Architekten und Entwickler, dessen bekannteste Arbeiten zu diesem Zeitpunkt schon einige Jahrzehnte zurücklagen. Zwar erfuhr Frei Otto noch von der Würdigung, starb jedoch vor der offiziellen Verleihung der Auszeichnung. Seinen Nachlass hütet inzwischen das Südwestdeutsche Archiv für Architektur und Ingenieurbau (SAAI) am Karlsruher Institut für Technologie. Dieses hat nun, etwa eineinhalb Jahre nach Frei Ottos Tod, gemeinsam mit dem Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM) eine Ausstellung zu dessen Lebenswerk organisiert.   

Messmodelle als Arbeitswerkzeug

Für einige von Frei Ottos wichtigsten Entwürfen, etwa jene für München und Montreal, waren Messmodelle das wichtigste Arbeitswerkzeug. Zu einem Zeitpunkt, da das Computerzeitalter noch in den Kinderschuhen steckte, waren sie die beste Möglichkeit, die kühnen Formen von Ottos Dächern auf ihre statischen Eigenschaften hin zu untersuchen. Anschließend mussten die unregelmäßigen Formen dann vom Modell abgenommen in Zeichnungen übertragen werden. Doch auch für die Grundlagenforschung, die Frei Otto intensiv betrieb, zunächst an seiner privaten Berliner „Entwicklungsstätte für Leichtbau“, von 1964 an dann als Direktor seines „Institutes für Leichte Flächentragwerke“ an der TH Stuttgart, war die Arbeit mit und an Modellen die wichtigste Methode. Es ist also mehr als gerechtfertigt, wenn die Karlsruher Ausstellung Ottos „Denken in Modellen“ in den Mittelpunkt stellt – und das im durchaus wörtlichen Sinn. 

Forschungsfelder aufgeblättert

Im Zentrum der aufgebauten Präsentation sind auf 18 „Tapetentischen“ – sie sollen Bezug nehmen auf Frei Ottos eigene Arbeitstische – verschiedene seiner Experimentier- und Forschungsfelder aufgeblättert. Hier finden sich Ottos systematische Versuchsreihen am Modell dokumentiert, etwa mit Sandschüttungen und Seifenblasen, ebenso seine Hängemodelle mit Seilen und Ketten, mit denen er die Grundlagenforschung für seine Tragwerke unternahm. Schön gelöst ist die Beleuchtung mittels Hängelampen, deren überlange Stromkabel so geführt sind, dass sie an einige der darunter gezeigten experimentellen Hängemodelle erinnern. 

Zweiter Blickfang ist die sogenannte „Modelllandschaft“, ein etwa 50 Meter langer Tisch, auf dem eine Vielzahl von Modellen aufgestellt ist. Angeordnet sind diese dabei nach ihrem Maßstab. Entwurfszeichnungen entlang der Tischkante sollen einzelne Modelle kontextualisieren. Die Fülle von kleinen Meisterwerken ist eine Augenweide. Hier konnten die Ausstellungsmacher aus den über 400 Modellen aus dem Nachlass Ottos schöpfen, die das SAAI aufbewahrt.   

Ein offenes Archiv

Die Aufgabe, das Œuvre vorzustellen, soll das „Offene Archiv“ erfüllen – 18 stählerne Regalkonstruktionen, die umlaufend an den vier Wänden des Ausstellungssaals aufgebaut sind. Die Regale beleuchten in chronologischer Abfolge einzelne Schaffensphasen, Werkkomplexe und Projekte. Zu sehen sind fast ausschließlich Papierexponate, vor allen Dingen zahllose Fotografien. Die Kuratoren vertrauen jedoch fast ausschließlich darauf, dass sich Bilder und Objekte selbst erklären. Hier hätte man sich dringend weitere Erläuterungen zum Ausgestellten gewünscht. Der informativste Bestandteil dieses Teiles der Ausstellung sind einige alte Fernsehausschnitte zum Wirken Frei Ottos, die auf Monitoren in den Regalen gezeigt werden.

Das Fazit fällt also gemischt aus: Fraglos, die Ausstellungsmacher bieten einen umfassenden Blick in den Nachlass Frei Ottos. Die Vielzahl der Fotografien und gezeigten Modelle beeindruckt. Unter ästhetischen Aspekten weiß auch Marc Frohns Ausstellungsarchitektur zu überzeugen. Hauptdefizit der Schau ist, dass sie die Materialfülle nicht immer bändigen kann. Der Besucher wird mit den Exponaten an vielen Stellen alleine gelassen. Zu sehr vertrauen die Kuratoren offenbar darauf, dass er seine eigenen Schlüsse aus Bildern und Modellen ziehen kann und verzichten deshalb auf erklärende Texte an den Objekten. Soll sich die Ausstellung etwa nur an sachkundige Architekten und Ingenieure wenden? Leider ist es bis dato auch nicht möglich, diese Lücken durch die Lektüre des Kataloges zu füllen. Dieser wird wohl erst Anfang Januar 2017 erscheinen. Ein solches Termin-Fiasko wäre Frei Otto nicht passiert.

Ausstellung:

Frei Otto – Denken in Modellen

ZKM Karlsruhe
Lorenzstraße 19
76135 Karlsruhe

Bis 12. März 2017

Ein herausragender Architekt: Frei Otto bei der fotografischen Dokumentation eines Modells.