Das ökologische Prinzip mit dem äußerst unglücklichen Namen „Cradle to Cradle" gewinnt zunehmend an Bedeutung. Die Bezeichnung wurde von dem englischen Terminus „Cradle to Grave", also „von der Wiege bis zum Grab", abgeleitet. „Cradle to Grave" bezieht sich auf die Lebenszyklusprüfung von Produkten, die sich allerdings weniger zyklisch, sondern mehr linear vollzieht. „Cradle to Cradle" im Gegensatz bedeutet kreislauffähige Produkte und Materialien herzustellen. Dabei wird zwischen Materialien unterschieden, die verbraucht werden, also in einen natürlichen Kreislauf zirkulieren, und solchen, die gebraucht werden. Bei der letzteren Materialgruppe, den Gebrauchsgütern, bleibt das Material Eigentum des Herstellers, der es über Rücknahme- und Recylingsysteme in einem technischen Kreislauf hält. Vor mehr als zwanzig Jahren gründete Michael Braungart die Internationale Umweltforschung GmbH EPEA, die das Cradle to Cradle-Konzept weiterentwickelt, umsetzt und betreut. So beurkundet ein spezielles Zertifikat die Verwendung von umweltsicheren, gesunden und wiederverwertbaren Materialien, den Einsatz von Sonnenenergie beziehungsweise anderen regenerativen Energieformen, den verantwortungsvollen Umgang mit Wasser sowie Strategien zu sozialen Verpflichtungen eines Unternehmens. Das Zertifikat wird für ein Jahr vergeben. Die Firmen, die Cradle to Cradle-Design anwenden oder anwenden möchten, laden auch ihre Lieferanten ein, für die Umweltqualität ihrer Materialien einzutreten. Die Firma Backhausen aus Österreich kann für ihren Stoff „Returnity" ein C2C-Zertifikat in Gold vorweisen. Mit „Returnity" gelingt es Backhausen, die Vorteile der flammhemmenden Faser „Trevira CS" mit den Vorzügen eines Cradle to Cradle-fähigen Produktes zu vereinen. Trevira CS-Produkte sind speziell für den Objektbereich geeignet, für die Ausstattung von Hotels oder Konzertsälen, sie können aber natürlich auch im privaten Bereich eingesetzt werden. Herr Backhausen, Sie haben kürzlich ihren Stoff „Returnity" vorgestellt. Welche Rolle spielt die Nachhaltigkeit bei diesem Produkt? Was passiert mit dem Stoff, wenn er zu ihnen zurückkommt? „Returnity" entsteht dadurch, dass umweltbedenkliche Substanzen eliminiert werden. Welche umweltbedenklichen Substanzen sind das? Ist die Extraktion selbst umweltbedenklich? Was überzeugt Sie an dem Cradle to Cradle-Ansatz? Warum, glauben Sie, setzen die ersten Versuche nachhaltig zu wirtschaften, erst so spät ein? Was könnte diesen Prozess vorantreiben? Wer müsste welche Hebel umlegen? Inwieweit sind Sie bei ihrer Produktion unabhängig von Rohstoffen? Sie werden ihre komplette Produktion auf Cradle to Cradle umstellen. Welche Schwierigkeiten erwarten Sie dabei?
Reinhard Backhausen: Wir sind ein Traditionsbetrieb, der seit hundertsechzig Jahren existiert. Bis vor zwei Jahre haben wir uns mit Umweltfragen wenig beschäftigt, aber wir haben ein Grundverständnis dafür entwickelt und heute sind wir überzeugte Returnity- und Cradle to Cradle-Befürworter. Wir stehen hundertprozentig zu diesem Produkt. Wir stellen die gesamte Produktpalette im Laufe des Jahres 2009 auf „Returnity" um. Das zeigt, dass wir es mit diesem Thema sehr ernst meinen.
Backhausen: Wenn der Stoff zurückkommt - und wir schaffen ja auch Anreize, dass er wirklich zurückkommt, indem wir für zukünftige Einkäufe entsprechende Rabatte geben -, dann garantieren wir ein fachgerechtes, den Cradle to Cradle-Richtlinien entsprechendes Recycling, wobei es mehrere Varianten gibt. Wir selbst recyclen natürlich nicht, denn wir sind ein Hersteller von Stoffen. Mit der Firma Trevira haben wir ein Agreement getroffen, dass entweder sie den Stoff recyclen oder wir ihn anderen Recyclingfirmen geben. Das heißt, es muss nicht unbedingt sein, dass daraus wieder ein Stoff wird. Es kann bespielsweise auch ein Möbel daraus werden. Auf jeden Fall wird der Stoff repolymerisiert, das heißt, er wird zu einem Granulat - und aus diesem Granulat kann dann irgendein Produkt entstehen - vorausgesetzt, dass es den Cradle to Cradle-Richtlinien entspricht.
Backhausen: Es gibt in jedem Produkt chemische Substanzen, die nicht ganz unbedenklich sind. Ich möchte jetzt nicht ins Detail gehen, weil das zu technisch werden würde, aber die Internationale Umweltforschungsgesellschaft EPEA hat zwanzig Wissenschaftler in ihren Reihen, die ganz genau wissen, welche Substanzen hier nicht verwendet werden sollten, um diese Zertifizierung zu bekommen. Wir verlassen uns auf diese Wissenschaftler und können heute das Cradle to Cradle-Goldzertifikat vorweisen.
Backhausen: Nein, in keinster Weise. Man sollte versuchen, keine chemischen Produkte einzusetzen, bei denen klar ist, dass gewisse bedenkliche Substanzen enthalten sind, sondern stattdessen versuchen, Ersatzstoffe zu finden. Dennoch sollten die Eigenschaften des Produkts am Ende nicht schlechter sein, sondern verbessert werden. Das ist natürlich immer eine Gradwanderung und es ist die Aufgabe der Forschung, den richtigen Weg zu gehen.
Backhausen: Für mich ist Cradle to Cradle eine Lebensphilosophie, nahezu eine industrielle Revolution. Heute gibt es auf der Erde über sechs Milliarden Menschen und im Jahr 2025 können es neun Milliarden werden. Dann fragt man sich, wie die Ressourcen für diese Menschen ausreichen sollen. Wir wissen heute, dass sie nicht ausreichen werden und deswegen muss sich die Menschheit überlegen, wie man durch Wiedergewinnung, durch technische und natürliche Kreisläufe Ressourcen schonen und Abfall vermeiden kann - und wir müssen heute damit anfangen. Eigentlich hätten wir schon vor Jahrzehnten beginnen müssen. Wir müssen heute die Basis erschaffen, dass die nächsten Generationen nicht vor Probleme gestellt werden, die beinahe unlösbar sind. Deshalb ist Cradle to Cradle für mich geradezu eine Verpflichtung.
Backhausen: Die Frage habe ich mir schon oft gestellt: Warum ist Jahrzehnte lang nichts passiert? Nein, das stimmt nicht ganz, aber es ist zu wenig passiert. Man darf nicht vergessen, es gab zwei Weltkriege, danach hatte man einen wahnsinnigen Nachholbedarf, man hat das erste Mal Luxus erleben und spüren dürfen. Das hat sich in einem fast grenzenlosen Wachstum gezeigt, aber jetzt ist in einigen Teilen der Welt eine gewisse Sättigung zu beobachten. Jetzt geht es darum, einen Schritt zurück zu treten und zu versuchen, an die Ressourcen zu denken. Ich hoffe, dass die richtigen Schritte im Sinne der Umwelt unternommen werden. Das ist das Wichtigste überhaupt und sollte über allem stehen.
Backhausen: Es ist im Grunde eine Aufgabe der Politiker, das sind die einzigen, die wirklich etwas nachhaltig beeinflussen können. Die Politiker müssten von wichtigen Persönlichkeiten unter Druck gesetzt werden, damit ihnen endlich bewusst wird, dass jetzt etwas passieren muss. Die großen Hebel können nur die Politiker umlegen. Aber alle müssen ihren Beitrag leisten.
Backhausen: Trevira CS ist ein rein synthetisches Material. Es sind flammhemmende Grundsubstanzen, ein modifiziertes Polyester. Wir beziehen diese Trevira CS-Faser, wir färben sie, wir rüsten sie aus. So gesehen haben wir keinen Naturstoff, sondern es ist ein technisches Produkt und da sind wir natürlich von unseren Lieferanten abhängig, in dem Fall von der Firma Trevira. Aber da Trevira ein Global Player und eine erstklassige Marke ist und weltweit sehr erfolgreich operiert, vertrauen wir auf diese Zusammenarbeit, genauso wie auf die Kooperation mit EPEA.
Backhausen: Ich erwarte überhaupt keine Schwierigkeiten, weil wir schon in der Vorphase sehr viel erledigt haben. Das heißt, wir haben mit den Färbern, den Farbstoffherstellern, den Ausrüstern und der Firma Trevira intensive Gespräche geführt und wir sind alle auf einer Linie. Wir ziehen das einfach weiter durch. Da neunzig Prozent unserer Produkte Trevira CS haben, lässt sich die Produktion relativ leicht umstellen, wir können trotzdem dieselbe Qualität, dieselben Muster und weitesgehend dieselben Farben herstellen. So gesehen ist die Umstellung bei uns vielleicht leichter als in anderen Betrieben, etwa in Großbetrieben, wo riesige Produktionsketten dranhängen. Die kann man natürlich nicht von heute auf morgen umstellen. Aber in unserem Bereich ist eine Umstellung 2009 realistisch und ich hoffe, dass wir durch das Lizensierungssystem möglichst viele andere Hersteller begeistern können, auch auf das Cradle to Cradle-Prinzip zu setzen.
Eine industrielle Revolution
von Nancy Jehmlich | 05.01.2009
Reinhard Backhausen
Reinhard Backhausen