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Die drei Forschungshäuser wurden jeweils komplett aus Mauerwerk, Holz oder Leichtbeton gebaut.

NACHHALTIGKEIT
Drei Mal einfach

Bauen wird immer komplizierter. Die Forschungshäuser in Bad Aibling wollen zeigen, dass es auch einfacher geht. Wir sprachen mit Architekt Florian Nagler über die Intention des Modellvorhabens.
von Alexander Russ | 03.08.2021

2020 wurden drei Forschungshäuser in Bad Aibling fertiggestellt, die auf ein Forschungsprojekt der TU München zurückgehen und nun auf der Shortlist des DAM-Preis stehen. Darin beschäftigen sich mehrere Lehrstühle an der Architekturfakultät mit der Frage, wie man auf die immer komplizierter werdenden Bauprozesse planerisch reagieren kann. Ihr Ansatz nennt sich "Einfach Bauen" und soll als Gegenentwurf zur gegenwärtigen Entwicklung dienen.

Alexander Russ: Was bedeutet "Einfach Bauen"?

Florian Nagler: Das lässt sich ehrlich gesagt gar nicht so leicht beantworten. ArchitektInnen verstehen etwas anderes darunter als HandwerkerInnen. Worum es uns aber geht ist, dass wir in den letzten Jahrzehnten gemerkt haben, dass die Ansprüche an das Bauen steigen und unsere Antworten darauf immer komplizierter werden. Dadurch wird die Planung so aufwendig, dass wir die verknüpften Prozesse und Ergebnisse teilweise gar nicht mehr kontrollieren können – und damit meine ich nicht nur die Planer, sondern auch die ausführenden Firmen und die NutzerInnen des fertigen Gebäudes.

Sie haben mit Ihren drei Forschungshäusern in Bad Aibling gerade vorgemacht, wie es anders gehen könnte. Was hat es mit dem Projekt auf sich?

Florian Nagler: Das Ganze ist ein mehrstufiges Forschungsprojekt an der TU München. In der ersten Stufe haben wir mit Hilfe unterschiedlicher Raummodelle untersucht, wie ein einfaches Haus aussehen kann, dass sich im Sommer nicht unnötig aufheizt, im Winter wenig Energie benötigt und unabhängig vom jeweiligen Nutzer gut funktioniert. Wir haben in diesem Zusammenhang auch einen Leitfaden für das einfache Bauen erstellt, der sich an ArchitektInnen und BauherrInnen richtet und die Grundprinzipien dahinter erklärt.

Welche Grundprinzipien sind das?

Florian Nagler: Dazu zählen unter anderem die Verwendung einschichtiger Wand- und Deckenkonstruktionen, der Verzicht auf Hilfsstoffe und materialfremde Sonderbauteile, eine konsequente Trennung von Gebäude und Techniksystemen, die Nutzung der klimatischen Trägheit durch Bauteile mit großer thermischer Speichermasse und angemessene Fensterflächen, bei denen kein weiterer Sonnenschutz erforderlich ist. Ich fand es dann aber schade, dass es am Ende nur einen Forschungsbericht mit einem entsprechenden Ergebnis gibt, der wieder in der Schublade verschwindet. Deshalb haben wir jemanden gesucht, der bereit war, mit uns richtige Häuser zu bauen, die das Ganze in der Anwendung demonstrieren.

Forschungshaus Nr. 1: Das Betonhaus

Mit der B&O Gruppe, einem technischen Dienstleister in der Wohnungswirtschaft aus Bad Aibling, haben Sie dann tatsächlich einen Bauherren gefunden.

Florian Nagler: Ja, ich kannte die B&O Gruppe bereits durch ein gemeinsames Projekt einer Parkplatzüberbauung in München, das ich mit meinem eigenen Architekturbüro umsetzen konnte – ein kostengünstiger Wohnungsbau mit einer vorgefertigten Holzkonstruktion. Auf dem Parkgelände der B&O Gruppe in Bad Aibling haben wir dann die drei Forschungshäuser mit monolithischen Wandaufbauten verwirklicht, bei denen eines komplett aus Holz, eines aus Mauerwerk und eines aus Leichtbeton ist.

Forschungshaus Nr. 1: Das Betonhaus

Das heißt, die Wände kommen ohne zusätzliche Dämmung aus. Von diesem Ansatz dürfte der ein oder andere Hersteller nicht unbedingt begeistert sein. Wie können Sie Ihre Vorstellungen vom einfachen Bauen in der Industrie implementieren?

Florian Nagler: Natürlich hat die Produktwahl und deren graue Energie eine Rolle gespielt, aber am Ende ging es uns nicht darum, irgendjemand vorzuführen oder zu zeigen, dass manche Produkte schlechter sind als andere. Uns hat als Planer einfach genervt, dass wir teilweise Gebäudehüllen mit elf Schichten planen müssen, von denen jede einzelne Schicht ein eigenes Fehlerpotenzial aufweist. Deshalb wollten wir beweisen, dass es auch einfacher geht und uns dabei für die gängigen Materialien im Wohnungsbau entschieden – und das sind nun mal Mauerwerk, Holz und Beton.

Wie hat sich die reduzierte Materialität auf den konkreten Bauprozess ausgewirkt?

Florian Nagler: Bei unserer Baustelle in Bad Aibling gab es beim Mauerwerkshaus zum Beispiel nur einen Typ Stein, der verbaut wurde und der in vier Teile geteilt auch als Fensterbogen verwendet werden konnte. Das ist für diejenigen, die das Haus am Ende bauen, eine enorme Erleichterung. Und um ganz ehrlich zu sein: Auf Baustellen ist das Fachpersonal eher rar gesät. Die meisten sind keine gelernten Zimmerer oder Maurer, sondern eigentlich Metzger oder Bäcker. So sieht die Realität nun mal aus und da hilft es natürlich, wenn die Prozesse nicht allzu kompliziert sind.

Die Baustelle: ganz rechts das Mauerwerkshaus und in der Mitte das Holzhaus
Längswand des Betonhauses

Sie verfolgen das Thema auch innerhalb eines Verbunds aus Architekten und Ingenieuren. Was hat es damit auf sich?

Florian Nagler: Für das Forschungsprojekt haben sich mehrere Lehrstühle an der TU München zusammengetan. Neben meinem eigenen Lehrstuhl für Entwerfen und Konstruieren sind das der Lehrstuhl für Gebäudetechnologie und klimagerechtes Bauen von Thomas Auer, der Lehrstuhl für Holzbau und Baukonstruktion von Stefan Winter und der Lehrstuhl für Werkstoffe und Werkstoffprüfung im Bauwesen von Christoph Gehlen. Jeder Lehrstuhl übernimmt dabei bestimmte Aufgaben: Der Lehrstuhl von Thomas Auer hat das Messkonzept entwickelt, mit dem wir die Forschungshäuser seit Beginn des Jahres evaluieren. Mittlerweile sind die Häuser ja bewohnt. Wir haben aber in jedem Haus eine 1-Zimmer-Wohnung freigehalten, die für Messzwecke genutzt wird. Die Idee dahinter ist, das Raumklima, den Energieverbrauch und das Nutzerverhalten der Gebäude über einen Zeitraum von zwei Jahren zu messen und über die Daten entsprechende Rückschlüsse zu ziehen.

Forschungshaus Nr. 2: Das Holzhaus

Geht Ihr Ansatz des einfachen Bauens auch über die bloße Materialität hinaus? Welche Rolle spielen die Form und die räumliche Anordnung eines Gebäudes?

Florian Nagler: Sie spielen eine sehr große Rolle. Ich empfinde es als Sackgasse, klimatische oder baukonstruktive Herausforderungen durch Gebäudetechnik zu lösen. Für diese Herausforderungen gibt es ganz simple Lösungen, die sich über Jahrhunderte bewährt haben und auf die wir eigentlich zurückgreifen könnten. Das wären etwa Vordächer oder Fenster mit tiefen Laibungen, die als Sonnenschutz dienen. Solche Elemente wurden aber aus dem Kanon der modernen Architektur gestrichen. Dabei sind das Elemente, die mit den Mitteln der Architektur auf klimatische und meteorologische Gegebenheiten reagieren.

Wir sprechen hier vom regionalen Bauen gegenüber der Moderne als universellem Architekturstil. Wie reagieren denn Ihre KollegInnen, wenn Sie plötzlich wieder Satteldächer, sichtbare Fallrohre und Rundbogenfenster in die Architektur integrieren?

Florian Nagler: Die KollegInnen haben bislang sehr aufgeschlossen darauf reagiert und viele empfinden es als Befreiungsschlag, sich von bestimmten Formalismen zu lösen. Uns geht es dabei im Übrigen nicht um irgendein bestimmtes Erscheinungsbild, bei dem Satteldächer Teil einer minimalistischen Urhütte sind. Diese archaischen Häuser, die eine Zeitlang in Mode waren, haben nichts mit dem einfachen Bauen zu tun – ganz im Gegenteil. Dort ist die Regenrinne nicht sichtbar und mit entsprechendem Aufwand in die Gebäudehülle integriert. Bei uns sind Regenrinne und Fallrohr sichtbar am Gebäude befestigt, weil das eine einfache und bewährte Lösung ist. Einfach zu bauen heißt also nicht, dass die Architektur am Ende einfach ausschauen soll, sondern dass sie tatsächlich einfach zu bauen ist. Darin steckt aber das Potenzial für einen ganz eigenen architektonischen Ausdruck.

Forschungshaus Nr. 3: Das Mauerwerkshaus

Inwieweit steht die steigende Zahl an Normen und Baugesetzen dem einfachen Bauen im Weg?

Florian Nagler: Als das Forschungsprojekt los ging, dachten wir ehrlich gesagt schon, dass wir viele Ausnahmeregelungen beantragen müssen. Am Ende war es dann aber gar nicht so schlimm. Wir haben schlussendlich Häuser gebaut, die baurechtlich zulässig sind und die geltenden Vorschriften wie für den Wärmeschutz einhalten. Es sind natürlich keine Plusenergiehäuser. Wenn man diese einfach gebauten Häuser dann aber über einen Lebenszyklus von hundert Jahren betrachtet, sieht man, dass sie durchaus mit einem Plusenergiehaus mithalten können – zumindest, wenn man wirklich alles bilanziert. Ein Plusenergiehaus benötigt ja eine entsprechende Haustechnik, die immer wieder ausgetauscht werden muss – und alles was man in ein Haus hineinbaut, kann auch kaputt gehen. Deshalb sind unsere einfachen, aber robusten Häuser durchaus konkurrenzfähig.

Modelle der drei Studentenhäuser für den Campus der TU München in Garching

Mit den Forschungshäusern in Garching planen Sie gerade ein Nachfolgeprojekt. Was ist dort der Ansatz?

Florian Nagler: Dort planen wir gerade drei Studentenhäuser für das Studentenwerk auf dem Campus der TU München in Garching. Der Ansatz ist im Prinzip derselbe wie bei den Forschungshäusern in Bad Aibling, nur dass es sich hier um eine andere Gebäudeklasse mit vier Geschossen und damit um einen größeren Maßstab handelt. Außerdem wollen wir so nahe wie möglich an ein Nullenergiehaus herankommen. Wenn es gebaute Fallbeispiele gibt, bekommt das Thema eine ganz andere Sichtbarkeit. Und das Feedback auf die ersten drei Häuser war enorm – von Rückmeldungen oder Rückfragen bis hin zum Wunsch, dieselben Häuser noch mal zu bauen. Daran haben wir deutlich gesehen, dass es viele PlanerInnen und BauherrInnen gibt, die das Thema umtreibt.