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Spuren im Beton

Wie baut man auf dem flachen Land einen Eyecatcher, der gleichzeitig eine gewisse Zurückhaltung aufweist? Bei seinem Neubau für ein Brückenkontrollzentrum löst das Studio finishing dutch retail design diesen Widerspruch mit einer Materialkombination aus Aluminium und Sichtbeton. Näherkommen lohnt sich.
von Jeanette Kunsmann | 30.01.2020

Wir befinden uns auf einer Schnellstraße etwas außerhalb von Heerhugowaard, einer mittelgroßen Gemeinde in Nordholland. In diesem flachen Nirgendwo besetzt ein ungewöhnliches Gebäude eine Kreuzung. Verbirgt sich hinter der gewellten Aluminiumfassade eine Werkstatt, eine Garage oder ein Büro? So speziell, wie der zweigeschossige Solitär aussieht, ist auch seine Nutzung: Aus dem neuen Kontrollzentrum werden die Brücken der Region überwacht. Auch die Instanthaltung der lokalen Straßen wird von hier aus organisiert und durchgeführt.

Zur Errichtung des Baus wurde 2015 ein Wettbewerb ausgelobt das Büro finishing dutch retail design gewann. Architektin Gertrud Topper und Designer Günter Bauer hatten es zum Bauplatz gar nicht weit. Ihr Büro sitzt in der Käsestadt Alkmaar, keine 15 Minuten Autofahrt entfernt. Dass finishing dutch retail design den Auftrag bekommen hat, obwohl der Schwerpunkt des Studios eigentlich – wie der Name verrät – auf der Gestaltung von Ladenflächen liegt, hat mit Vorgängerprojekten von Topper zu tun. Weil der Bauherr ihre Entwürfe immer sehr schätzte, lud er das junge Büro zum Wettbewerb ein. "Wir haben versucht, einen Solitär zu schaffen, mit dem sich beide Nutzer – Brücken- und Straßenverwaltung – gleichermaßen identifizieren können", erinnert sich die Architektin. finishing dutch schlug vor, die Doppelfunktion dadurch abzubilden, dass sich der Bau in zwei aufeinandergestapelten Volumina gliedert, deren Fassaden jeweils aus einem anderen Material gestaltet sind.

Im Sockelgeschoss des Neubaus sitzt die örtliche Straßenmeisterei. Darüber überwachen die Mitarbeiter des Brückenkontrollzentrums in drei Schichten, 24 Stunden am Tag, 40 umliegende Brücken. Für eine optimale Planung hat die Projektarchitektin zuvor alle Beschäftigten an ihren Arbeitsplätzen besucht und nachgefragt, wie sie sich ihren Neubau wünschen. Was sie brauchen – und was nicht. Jede Stimme erhielt Gehör. Eine gemütliche Atmosphäre und warme Materialien waren allen Mitarbeitern wichtig.

"Die Büroplätze im Obergeschoss fokussieren extrem auf die Bildschirme, auf die Arbeit“, erläutert Gertud Topper. "Die transluzente Aluminiumfassade filtert das Tageslicht ins Innere und schirmt gleichzeitig die Schreibtische ab." Während die leichte Hülle mit ihren Wellen das Bild einer bewegten Wasseroberfläche abstrahiert, zeigt die Betonfassade im Erdgeschoss, wo sich die Gemeinschaftsräume, Umkleiden und Toiletten für die Angestellten der Straßenmeisterei befinden, ein anderes Muster: Statt den Abdrücken einer Holzschalung bilden hier Reifenspuren ein Relief im Beton.

Damit die Fassadenteile nicht in Konkurrenz treten, spielen die Architekten mit der Betrachterwahrnehmung. Dominiert aus der Distanz die Wellenfassade, sieht man aus der Nähe nur den Betonsockel. Der obere Part verschwindet. "Die Entwicklung der Betonoberflächen erforderte einige Tests und Mock-Ups, damit die Rillen nicht zu tief, aber auch nicht zu flach werden", sagt Topper. "Aber mit dem Ergebnis sind wir alle sehr zufrieden." Und wieso sieht der Nutzbau so ambitioniert aus? "Der Betreiber wollte ein Statement bauen: einen Eyecatcher ", antworten die Architekten. Deshalb vereinfachten finishing dutsh die Konstruktion so weit wie möglich, um ausreichend Budget für die Gestaltung der Fassaden zu haben. Das Erdgeschoss bleibt im Grunde eine simple Box, nur das auskragende Obergeschoss erzeugt einen Bruch mit dem Kubus. Das Studio finishing dutch retail design hat übrigens 2018 den Wettbewerb für ein weiteres Kontrollzentrum in der Nähe von Delft gewonnen. Vielleicht müssen Gertrud Topper und Günter Bauer ihren Büronamen bald ändern.