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Zukunftsmodell

MVRDV hat den Pavillon "Fuggerei NEXT500" als Reminiszenz an die Fuggerei in Augsburg entworfen, die das Konzept der ältesten bestehenden Sozialsiedlung in die Gegenwart trägt.
von Alexander Russ | 11.05.2022

Der Bau von bezahlbarem und nachhaltigem Wohnraum ist eines der zentralen Themen unserer Zeit. An guten Ideen mangelt es nicht, wie der Blick in die Gegenwart zeigt. So gewann zuletzt das junge Leipziger Architekturbüro Summacumfemmer den DAM Preis 2022 für einen experimentellen genossenschaftlichen Wohnungsbau in München. Dabei ist das Thema alles andere als neu. Ein Beispiel ist die vom französischen Unternehmer Jean-Baptiste André Godin Mitte des 19. Jahrhunderts entworfene "Familistère", ein Prototyp des sozialen Bauens. Wie alt die Idee dahinter eigentlich schon ist, zeigt eine Siedlung, die bereits ihr 500-jähriges Jubiläum feiert: Die Fuggerei in Augsburg, die älteste bestehende Sozialsiedlung der Welt, wurde vom Kaufmann Jakob Fugger bereits 1521 ins Leben gerufen. Als Stadt in der Stadt konzipiert mit 67 Häusern, 142 Wohnungen und eigener Kirche, stellt sie seitdem bezahlbaren Wohnraum für 150 bedürftige Menschen für eine Jahreskaltmiete von 0,88 Euro zur Verfügung.

Als Reminiszenz an die Bedeutung der Fuggerei hat das niederländische Architekturbüro MVRDV nun einen hölzernen Jubiläumspavillon für den Augsburger Rathausplatz entworfen. Unter dem Motto "Fuggerei NEXT500" bildet der geschwungene und spektakulär auskragende Holzbau den Mittelpunkt eines fünfwöchigen Programmfestivals, das sich vom 6. Mai bis 12. Juni mit dem Erbe der Sozialsiedlung beschäftigt. Der Einladung der Fuggerschen Stiftungen, der Bayerischen Staatsregierung und der Stadt Augsburg zur Einweihung des Jubiläumspavillons folgten rund 450 Gäste. "Wir eröffnen heute ein Gebäude, welches den Geist der Fuggerei in die Welt trägt und die Debatte fördert", sagte Alexander Erbgraf Fugger-Babenhausen, Vorsitzender des Fuggerschen Familienseniorats, bei der Einweihung. "Die Fuggerei gehört gefeiert! Sie trägt seit einem halben Jahrtausend zum gesellschaftlichen Zusammenhalt bei."

Für die Architektur des Jubiläumspavillons ließen sich MVRDV von der baulichen Struktur der Fuggerei inspirieren: So nimmt der lange schmale Bau mit Satteldach Bezug auf die zeilenförmigen Reihenhäuser der Sozialsiedlung, wobei er mittels einer ausladenden Kurve vom Augsburger Rathausplatz auf ihren Standort verweist. Gleichzeitig wölbt er sich in Form einer 8,50 Meter hohen Auskragung in den Himmel und bietet einen Blick auf das Augsburger Rathaus. Am höchsten Punkt des Pavillons befindet sich eine Tribüne, die für Vorträge, Präsentationen und andere Veranstaltungen im Rahmen des Festivals genutzt werden kann. Bei der Materialwahl entschieden sich die ArchitektInnen für Brettsperrholz, das unverkleidet das Äußere wie auch Innere des Jubiläumspavillons prägt und dem Bau einen skulpturalen Charakter verleiht.

Im Innern zeigt der "Fuggerei NEXT500 Pavillon" eine Ausstellung mit Fotos von Daniel Biskup. Darin wird der "Fuggerei-Code", der für das 500-jährige Stiftungsjubiläum erstmals formuliert wurde, anhand von sieben gesellschaftlichen Herausforderungen illustriert. Dessen Grundgedanke beruht auf der Idee, dass Stifter ihr soziales Handeln mit den Kerngedanken der Fuggerei verbinden können. Gleichzeitig bietet ein von MVRDV entwickeltes Fuggerei-Baukastenprinzip konkrete Inspirationen für zukünftige Fuggereien – darunter drei Entwürfe für Litauen, Sierra Leone und Augsburg. Für eine Weiterführung des Fuggerei-Kerngedankens machte sich auch die Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen stark, die als Gast bei der Eröffnung anwesend war. Dabei kam sie auf den Krieg in der Ukraine zu sprechen und machte den Vorschlag für ein neues Partnerschaftsprogramm, bei der auch zukünftige Fuggereien in der Ukraine denkbar wären.

Bis zum 12. Juni 2022 finden in Augsburg verschiedene Veranstaltungen statt, die sich mit dem Erbe und der Zukunft der Fuggerei beschäftigen.

Ursula von der Leyen bei der Besichtigung der Fuggerei in Augsburg