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Quartier im Quartier

In Tokio haben Masashi Miyamoto Architekten/ mmar einen Wohnungsbau entworfen, der die Struktur des umgebenden Quartiers aufgreift und in seinem Innern fortführt.
von Alexander Russ | 17.03.2022

Der Trend in den Städten geht zur Gemeinschaft. Das hat mit den steigenden Kosten für Wohnraum zu tun aber auch mit der Frage wie Menschen zusammenleben wollen und können. Neue Konzepte setzen sich deshalb mit dem Wohnen im Kollektiv auseinandersetzen – unter anderem in Japan, wo in den letzten Jahren Wohnhäuser entstanden sind, die trotz großer Dichte auch soziale Funktionen beherbergen. Ort des Geschehens ist oftmals Tokio: Während die Privatsphäre hier aufgrund der vorherrschenden Enge bislang als besonders schützenswert galt und die Stadt in Form einer architektonischen Abschottung entsprechend ausgeblendet wurde, suchen die neuen Wohnraummodelle nun einen bewussten Austausch mit der Nachbarschaft.

Ein Beispiel ist der kompakte neobrutalistische Wohnkomplex von Masashi Miyamoto Architekten / mmar, der als verschachteltes Quartier im Quartier konzipiert ist. Das 2021 fertig gestellte Gebäude beherbergt sechs Wohnungen, die mit ihren flexibel bespielbaren Raumkonfigurationen für unterschiedliche Lebensmodelle und BewohnerInnenkonstellationen geplant wurden. Die einzelnen Einheiten verbinden dabei verschiedene Funktionen, was die ArchitektInnen durch eine entsprechende räumliche Neutralität erreichten: So besteht jede Einheit aus einem großen Raum, der durch Vorhänge in unterschiedliche Bereiche wie Wohnen, Arbeiten oder Schlafen unterteilt werden kann. Hinzu kommen Sanitär- und Küchenkerne, die für eine zusätzliche Zonierung sorgen. Im Bauch des Gebäudes befindet sich eine zweiläufige Treppe, mit der die ineinander verwobenen Wohnungen erschlossen werden.

Um das Gebäude in das Quartier einzufügen und eine Balance zwischen öffentlichem und privatem Raum zu finden, arbeiteten Masashi Miyamoto Architekten / mmar mit Gegensätzen: So changiert der Bau zwischen offen und geschlossen und wirkt dabei monolithisch wie auch zergliedert. Trotz des kleinen Grundstücks gelang es den ArchitektInnen, dem kompakten Volumen zusätzliche Terrassen und in die Fassade eingeschnittene Innenhöfe abzutrotzen, die Licht und Luft ins Gebäude bringen. Hinzu kommt ein Gemeinschaftraum im Erdgeschoss und eine gemeinsam nutzbare Dachterrasse im dritten Obergeschoß mit Blick über das Quartier, das durch enge Gassen und eine niedrige Wohnbebauung gekennzeichnet ist. Die komplexe Verschachtelung aus Erschließung, Gemeinschaftsbereichen, Terrassen, Innenhöfen und Wohnräumen greift dabei die umgebende städtebauliche Struktur auf und führt sie im Gebäude fort. Sie bildet sich auch in Form von Öffnungen, Versprüngen und bodentiefen Fenstern auf den Betonfassaden ab, die dem Volumen seine Massivität nehmen.

Die Fassaden werden zudem durch ornamental anmutende Betonsteine aufgelockert, deren Gestaltung auf traditionellen japanischen Bambusflechtmustern beruht. Sie verleihen dem Gebäude eine zusätzliche Porosität und versorgen das Treppenhaus und die Innenhöfe mit Tageslicht. Vor allem nachts, wenn das Licht aus dem Innern durch die Öffnungen hindurchscheint, kommt das florale Muster der Betonsteine voll zur Geltung. Das Leben im Haus lässt sich dann von Außen erahnen, wodurch die Verflechtung von öffentlichem und privatem Raum fortgesetzt wird. Der Gedanke eines Quartiers im Quartier wird zudem in der Gestaltung der Wohnungseingänge sichtbar: Hier ordneten die ArchitektInnen kleine Nischen an, die den BewohnerInnen die Möglichkeit geben, den Vorbereich zu ihren Wohnungen individuell zu gestalten. Sie beleben dadurch das Treppenhaus und finden sich auch an den Eingängen der umgebenden Wohnhäuser wieder, die hier gleichsam in die Gassen des Quartiers hineinwirken.