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Kein Rohbau: Gabrielle Hächler und Andreas Fuhrimann haben beim Haus Alder einen Backstein für landwirtschaftliche Bauten verwendet.

Hütten den Palästen

Ein künstlerisches Wagnis, das sich gelohnt hat. Fuhrimann Hächler beziehen sich bei diesem Villenbau in Zürich auf die Ästhetik informeller Architektur.
von Fabian Peters | 11.06.2019

"Es ist schon eine Provokation", gibt Gabrielle Hächler unumwunden zu. Die Provokation – das ist das Haus Alder, das sie mit ihrem Mann und Büropartner Andreas Fuhrimann für einen privaten Auftraggeber in Zürich errichtet hat. Das Provokante liegt in der Materialwahl – und zwar nicht in dem rauen Beton, aus dem Sockel und Dachgeschoss samt Dach gegossen sind, sondern in dem simplen roten Backstein, der eigentlich für landwirtschaftliche Bauten verwendet wird. Fuhrimann Hächler haben aus ihm die Wände des Wohnhauses errichtet. Damit nicht genug: Der Mörtel quillt aus den Fugen, sodass ein erhabenes Gittermuster die Wandflächen überzieht. "Wir hatten eine solche Bauweise schon mehrmals bei Projekten vorgeschlagen", erzählt Gabrielle Hächler. "Die Bauherren wollten es nicht, weil es auf den ersten Blick so unfertig aussieht." Die Eigentümer des Hauses Alder aber waren wagemutiger. Bereits seit Längerem waren sie auf der Suche nach einem Architekturbüro, das für sie ihr Grundstück im Stadtteil Höngg neu bebauen sollte. Dort hatten sie bereits lange Jahre in einem kleinen, ererbten Haus gewohnt. Den Wunsch, neu zu bauen, empfanden sie erst, als auf dem Nachbargrundstück eine große Seniorenwohnanlage geplant wurde. Schnell war klar, dass deren Baumassen den Bestandsbau regelrecht erdrücken würden. Das neue Wohnhaus musste also in der Lage sein, den aufdringlichen Nachbarn optisch auf Distanz zu halten. 

Die Dachschrägen entsprechen der Forderung des Bebauungsplans.
Fuhrimann Hächler haben den Mörtel aus den Fugen quellen lassen, der sich nun wie ein Gitternetz über die Wandflächen legt.

Andreas Fuhrimann und Gabrielle Hächler schlugen vor, den Wohnraum nach oben unter das Dach zu verlegen. Dort bietet sich den Bewohnern nun ein ausnehmend schöner Blick über die Stadt. Durch diese Anordnung des Wohnzimmers im Haus kommt der Treppe automatisch eine hohe Bedeutung zu. Fuhrimann Hächler haben sie als imposante Raumerfindung aus grobem Sichtbeton gestaltet. Zudem übernimmt sie sicherheitshalber eine statische Funktion für das Haus – denn die Baupolizei beäugte die tragenden Ziegelwände anfangs misstrauisch. Das Baumaterial erforderte weit mehr Planungsaufwand, als der fast improvisiert wirkende Eindruck der Mauern erahnen lässt – denn der Stein kann bei extremer Kälte springen. "Alle Bauphysiker haben uns gesagt: Das geht nicht – zu gefährlich", berichtet Andreas Fuhrimann aus den Anfängen des Planungsprozesses. Tragend ist daher auch nicht die äußere Schale des zweischaligen Mauerwerks, sondern die wettergeschützte innere.

Die eindrucksvolle Betontreppe führt in die Wohnräume im Dachgeschoss.

Warum aber nahmen Fuhrimann und Hächler diese Mühe auf sich, um mit Ziegeln zu bauen, wo doch eigentlich Betonbauten ihr Markenzeichen sind – skulpturhafte Formschöpfungen, die mit sichtbaren Unregelmäßigkeiten und klar ablesbaren Verschalungsspuren gebaut sind?  "Wir wollten das Skulpturale des Betons brechen", sagt Andreas Fuhrimann. Deshalb entschieden sie sich auch sehr bewusst für einen roten Stein und verwarfen die Idee, mit grauen Ziegeln zu bauen. Dadurch werden auch die Bezüge deutlich, die die Architekten herstellen wollen. Zu Lina Bo Bardis Bauten, aber auch zu den informellen Architekturen Indiens, wo Gabrielle Hächler im Studium ein Semester verbracht hat. "Das hat natürlich Spuren hinterlassen", sagt sie und es war ihr deshalb auch wichtig, diese völlig uneitle Bauweise auf das Haus in Zürich zu übertragen. Und dies mit aller Konsequenz: Lange haben die Architekten überlegt, wie sie die Ecken des Hauses mauern lassen. "Wir haben darüber nachgedacht, die Steine auf Gehrung schneiden zu lassen. Aber das erschien uns langweilig" erzählt Andreas Fuhrimann. "Letztendlich haben wir uns entschlossen, die Steine einfach abzuschneiden. Wie bei einer Scheune." 

Fuhrimann Hächler verlangen vom Betrachter ihres Baus, dass er sich auf diese Ästhetik des bewusst Imperfekten einlässt. Fast möchte man in dieser Haltung etwas Malerisches, ja Romantisches erkennen – die Schönheit des scheinbar Primitiven, das hier so wohlkalkuliert eingesetzt wird. Wie bei dem Mörtel, der sich wie ein pastoses Relief über die Außenwände zieht. Als eine Art abstrakten Bauschmuck begreifen ihn die Architekten. "Wenn man dieses Mörtelnetz im Streiflicht sieht", sagen sie, "dann wirkt es wie ein Textil, wie ein Boucléstoff." Es ist eine herausfordernde Ästhetik – eine "Arte Povera", hier, in einer der besten Wohnlagen der teuersten Stadt der Welt. Aber Fuhrimann Hächler ging es bei ihrer Materialwahl natürlich nie um Sparsamkeit im finanziellen Sinne. Vielmehr ist der Kontrast das Mittel, aus dem ihr Bau seine Wirkung entfalten soll. Oder in den Worten von Gabrielle Hächler: "Das Nebeneinander von High und Low ist immer sehr wichtig für uns – des Bäurischen und der Raffinesse des Raumes." 

Anders als am Außenbau sind in den Innenräumen die Wände glatt abgezogen.
Fuhrimann Hächler wollten ganz bewusst keine makellosen Betonflächen.
Das Grün der Küche soll den Bezug zur Landschaft herstellen.
Die Dachterrasse.
Das Dachgeschoss haben die Architekten mit Holz auskleiden lassen.
In der Unteransicht zeigt sich die Plastizität des Netzes aus Mörtel.
Durch den gewaltigen Neubau auf dem Nachbargrundstück sahen sich die Eigentümer veranlasst, ebenfalls ein neues Haus zu errichten.