Im Gespräch: Karin Schmidt-Ruhland
Es ist nicht leicht, Möbel und Spielzeug für Kinder zu entwerfen. Im Gespräch mit Sara Bertsche erklärt Karin Schmidt-Ruhland, die an der Burg Giebichenstein in Halle Spiel- und Lerndesign lehrt, warum das so ist.
Forschen, experimentieren, spielen: Karin Schmidt-Ruhland lehrt seit 2007 „Design of Playing and Learning“ an der Burg Giebichenstein in Halle. Der Fachbereich Design der Kunsthochschule ist weltweit der einzige, bei dem angehende Industriedesigner den Gestaltungsbereich Spiel- und Lerndesign vertiefen können. Schmidt-Ruhlands Studierende lernen unter anderem, Spielzeug und Möbel für Kinder zu entwerfen – was vor allem eines heißt: Ab ins Getümmel. Das ist durchaus wörtlich gemeint, denn die Entwürfe werden von ihren kleinen Nutzern auf Herz und Nieren geprüft. Und zwar im hochschuleigenen Kindergarten, den der Fachbereich ausstattet und der ihm als „Labor“ dient. Was also gilt es bei der Gestaltung von Möbeln für Kinder zu beachten? Darüber hat Sara Bertsche mit Karin Schmidt-Ruhland gesprochen – und auch, warum sich Designer nicht nur als kreative Gestalter, sondern auch als empathische Vermittler begreifen müssen.
Sara Bertsche: Wie kamen Sie dazu, sich mit Spiel- und Lerndesign zu beschäftigen?
Karin Schmidt-Ruhland: Für Design habe ich mich während meines Betriebswirtschaftsstudiums interessiert – mein großes Vorbild war der Mailänder Designer Achille Castiglioni. Seine funktionale Herangehensweise und die reduzierte Formensprache haben mich so begeistert, dass ich mich an der Universität der Künste Berlin für Industriedesign beworben habe. Nach dem Studium habe ich mich auch mit Produkten für Kinder beschäftigt. Und das hat mir einfach sehr viel Spaß gemacht.
Wenn Sie auf die eigene Kindheit zurückblicken – hat sich das Kinderzimmer im Laufe der Jahrzehnte gewandelt?
Schmidt-Ruhland: Ich bin auf dem Land groß geworden, da hat das Kinderzimmer keine Rolle gespielt und wurde nur zum Schlafen genutzt. Gespielt haben wir woanders. Im Zimmer meines Sohnes steht natürlich mehr drin, als nur ein Bett, weil es als Lebensraum genutzt wird. Generell denke ich, dass heute die Zimmer für die Kleinen mit viel Unnützem vollgestopft werden. Unsere Gesellschaft konsumiert viel mehr als früher und das macht sich auch im Kinderzimmer bemerkbar.
Was braucht denn ein Kinderzimmer?
Schmidt-Ruhland: Im Prinzip nur ein Bett, einen Tisch, einen Stuhl, ein Regal und eine Leuchte. Das sind die Archetypen, die die Grundbedürfnisse der Kinder erfüllen. Meine Studenten werden sich dieses Semester damit beschäftigen diese Möbel als Erstes zu entwerfen und sie dann in allen Variationen „mutieren“ zu lassen. Ein Tisch könnte dann zum Beispiel mit einem Schlitz versehen sein, wo die Kinder Spielsachen einhängen können.
Was gilt es für die Studierenden zu beachten, wenn sie Möbel für Kinder gestalten?
Schmidt-Ruhland: Ich lege ihnen das partizipatorische Entwerfen nahe. Dafür braucht es vor allem eine gute Beobachtungsgabe und Empathie, weil es bei dieser Methode besonders wichtig ist, sich in die Nutzergruppe einzufühlen. Seit September 2014 statten wir an der Hochschule einen eigenen Kindergarten aus, der unser Experimentier- und Forschungsfeld ist. Der Neubau bietet Platz für 50 Kinder, die wir beim Spielen beobachten können. Das ist sehr wichtig, denn nur so können wir lernen, was sie brauchen und was ihnen an Ausstattung fehlt. So können wir Lösungsansätze finden – eben, in Form von Möbeln oder Spielprodukten.
Sie betreiben quasi „Feldforschung“ …
Schmidt-Ruhland: Genau. Das ist auch meiner Meinung nach das, was Designer immer tun sollten. Wir haben dazu ein eigenes pädagogisches Konzept für den Kindergarten entwickelt und gemeinsam mit dem Architekturbüro Martin Büdel die Inneneinrichtung gestaltet. Die Zimmer sind bereits mit einfachen Möbeln ausgestattet, die wir auf Basis unserer Beobachtungen weiterentwickeln wollen. Und die neuen Prototypen werden dann wieder von den Kindern ausprobiert.
Laut einer Studie von Hans Mogel, der Psychologie an der Universität in Passau lehrt, lässt eine reduzierte Gestaltung von Spielzeugen Kindern mehr Spielraum für Kreativität und Fantasie. Gilt das auch für Kindermöbel?
Schmidt-Ruhland: Natürlich. Ich nenne das „Spielfähigkeit“, sie ist Teil des pädagogischen Konzeptes. Man kann sie dadurch erreichen, dass man so wenig Details wie möglich vorgibt – womit wir wieder bei den Archetypen wären. Überfrachtetes Design begeistert Kinder zu Anfangs zwar schnell, aber das ist nur von kurzer Dauer. Sie verlieren bald das Interesse, weil sie das Objekt in ihrer Fantasie nicht mehr in etwas anderes verwandeln können. Möbel müssen den Kindern die Freiheit zur individuellen Nutzung ermöglichen.
Wie könnte ein solches Möbel aussehen?
Schmidt-Ruhland: Vorletztes Jahr habe ich meinen Studierenden die Aufgabe gestellt, eine Sitzgelegenheit spielerisch zu „manipulieren“, um sie dafür zu sensibilisieren, was das Möbel für ein Kind alles bedeuten kann. Eine Studentin entwarf eine Art Melkschemel, den sie an der Sitzfläche mit Griffmulden ausgestattet hat. Die Kinder konnten sich auf den Hocker setzen, ihn aber auch umdrehen und auf der Rückseite der Sitzfläche im Stehen schaukeln, in dem sie sich an dem Stuhlbein festhielten und kräftig Schwung holten. Die Kinder konnten also selbst entscheiden, ob sie auf dem Hocker sitzen oder lieber mit ihm spielen wollten.
Und was halten Sie von Möbelklassikern, die man auf Kindergröße geschrumpft hat? Ich denke da zum Beispiel an Verner Pantons „Panton Junior“ für Vitra.
Schmidt-Ruhland: Die sehen natürlich toll aus. Ob sie für Kinder funktionieren, weiß ich nicht, da habe ich keine persönlichen Erfahrungen. Oft sind das die Visionen der Erwachsenen, die sich kaum mehr erinnern können, wie sie selbst ihre Möbel im Kinderzimmer genutzt haben.
Was Erwachsene für das Kinderzimmer wünschen, ist nicht immer auch das, was Kinder wollen. Wie gehen Designer mit dieser Diskrepanz um?
Schmidt-Ruhland: Oft machen sie gleich drei Entwürfe: Einen, der auf den Geschmack der Eltern zugeschnitten ist; einen, der den Wunsch des Kindes wiederspiegelt; und einen, der den Hersteller ansprechen soll. Denn manchmal wird das, was Kinder wollen, nicht verkauft, weil es den Erwachsenen nicht gefällt. Die sind aber die indirekte Zielgruppe, weil sie eben das Geld haben. Der finale Entwurf ist dann manchmal ein Kompromiss. Wenn die Studierenden später für Hersteller entwerfen, müssen sie viel Überzeugungsarbeit leisten, damit sich der Entwurf, der am besten für Kinder geeignet ist, auch durchsetzt. Im Kindergarten der Hochschule ist das genauso. Die Erzieher müssen von dem Design überzeugt werden, denn sie werden ja schließlich auch mit den Möbeln leben und haben außerdem ihre eigenen Vorstellungen von Ordnung. Es ist also unsere Aufgabe, alle Nutzergruppen an einen Tisch bringen und ihre Bedürfnisse beim Entwurf miteinzubeziehen.