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Im Licht des Südens
von Thomas Edelmann | 13.12.2011

Palmen in Großaufnahme, Flamingos, schnelle Fahrt übers Wasser, Schönheiten im Bikini, Jai Alai-Spieler in Aktion, Pferde- und Hunderennen. Hauptsache Dynamik, Stil, Glamour und Glanz. So sah das Miami-Bild Mitte der achtziger Jahre aus, weltweit verbreitet durch die Krimiserie „Miami Vice". Sie war nicht nur eine der ersten, bei der die Bösen längst nicht wie üblich am Ende zur Strecke gebracht wurden. Zudem bot „Miami Vice" im Gegensatz zu Serien aus New York und San Francisco einen neuen Lifestyle an, der auch international zur Nachahmung reizte. Don Johnson als Sonny Crocker und Philip David Thomas als Ricardo Tibbs waren zugleich relaxed und standen unter Strom. Und sie taten als verdeckte Ermittler Dinge, die sich damals – zumindest diesseits des Atlantiks – für Polizisten keineswegs gehörten. Zugleich schienen sie von inneren Konflikten zerrissen, ermittelten nicht nur im kriminellen Milieu, sondern anscheinend auch in der eigenen Gefühlswelt. Wer ist eigentlich Räuber, wer Gendarm? Denn auf der Strecke blieben oftmals Freunde, kleine Gangster, Partner, Beziehungen jeder Art. Die deutsche Synchronfassung nervte durch eine oberflächliche Psychologisierung, als sei Derrick-Autor Herbert Reinecker auf Florida-Besuch.

Die Serie war Fiktion und basierte doch auf der damals aktuellen Erfolgsgeschichte von Miami: Der kompletten Neuerfindung einer Stadt durch Geldwäsche der boomenden Drogenindustrie seit den siebziger Jahren. Miamis Skyline etwa ist ein Produkt des Drogenbooms und der Rolle Floridas als Einfallstor und Handelsplatz für die Kolumbianischen Kokainerzeuger. Deren vermeintlich harmlose Anfänge, normale Bürger sahen das Drogenbusiness als perfektes Investment, mutierten Anfang der achtziger Jahre zu einem blutigen Bandenkrieg, was detailliert in der Filmdokumentation „Cocaine Cowboys" dargestellt wird. „Miami Vice" hatte aber noch eine andere Seite: die modisch und kulturell prägende. Dass man unterm Armani-Jacket ein T-Shirt tragen kann, wurde dank Sonny Crocker zum akzeptierten männlichen Modestatement. Auch im realen Stadtgefüge wirkte sich die Serie aus. Moderne Architektur – oft bewohnt von extremen Bösewichten – und eigens hergerichtete Art Déco-Gebäude bildeten ihre Kulisse. Und so zeigte die Fernsehserie den Stadtbewohnern, wie ihre Stadt künftig aussehen könnte: Gepflegt, modern und zugleich traditionsbewusst.

Transformation und Stadtrettung

Mit genau dieser Mischung beschäftigt sich der Immobilien-Entwickler Craig Robins, der, nachdem er die Traditionsorte „South Beach" und „Lincoln Road" verwandelt hatte, ein achtzehn Blöcke umfassendes Territorium auf halber Strecke Downtown zwischen Miami Beach und Flughafen aufkaufte und zum heute offiziell so genannten „Design District" umbaute, einem Standort für Galerien, Luxus-Labels, Einrichtungsläden, Büros wie dem seiner Immobilien-Firma Dacra, aber auch Designschulen. Die sorgsame Mischung von Alt und Neu ließ neue Nachbarschaften entstehen, schuf neue Entwicklungspotenziale. Was mit dem Design District geschah, kann man Gentrifizierung nennen, die Verdrängung der zuvor wenig zahlungskräftigen Akteure durch ein nunmehr an Kauf und Zerstreuung interessiertes Publikum. Man kann es aber auch als Rettung des städtischen Umfelds begreifen.

In einem der historischen Gebäude inmitten des Design District startete 2005 die Messe „Design Miami". Sie entstand auf Anregung von Sam Keller, dem damaligen Direktor der Art Basel. Er präsentierte ab 2002 mit der Art Basel Miami Beach eine Schwestermesse der Schweizer Traditionsmesse in Florida. Seither finden jeweils im Juni in Basel und im Dezember in Miami die Kunst- und die Designmesse parallel statt. Weil die Design Miami wuchs, rückten beide Messen nun näher zusammen. Ihr Publikum allerdings ist nur teilweise identisch.

Noch immer polarisiert der Designbegriff, der hier gepflegt wird, nicht nur bei den Kunstsammlern. Auf den ersten Blick scheint es hier ausschließlich um Vintage-Produkte vergangener Jahrzehnte und um Designkunst, also mehr oder minder funktionale Einzelobjekte für den Luxusbedarf zu gehen. Craig Robins ist nicht nur Mitgründer, sondern er agiert auch geradezu prototypisch als Käufer und Sammler. In den Büros von Dacra im Design District kann man seine Erwerbungen – Kunst wie Design – auf den Fluren und in den einzelnen Cubicals besichtigen. Übliche Büroeinrichtung mischt sich mit unkonventionelleren Einzelstücken. Gleich im offenen Empfangsbereich sind etwa zwei dreißig Jahre alte „Rover Chairs" von Ron Arad und ein Leuchter von Stuart Haygarth von 2004 zu bewundern.

Prouvé als Idealfall

Auf der Messe geraten die Werke mancher Pioniere der Designgeschichte in einen neuen, zunächst verstörenden Kontext. Einst für den Alltagsgebrauch konzipiert, werden sie zum musealen oder privaten Exklusivobjekt. Und sie wandern wie sich in Robins Büro zeigt, ab von Europa in andere Weltgegenden. Ein Wandel, der von den Galeristen womöglich befördert, aber selten initiiert wurde. Nutzung und Gebrauch von Räumlichkeiten ändern sich, die ursprüngliche Einrichtung erscheint dann überflüssig.

Trotz ihrer spröden Formen, die mit heutigen Komfort-Ansprüchen wenig gemein haben, sind Möbel von Jean Prouvé geradezu ein ideales Beispiel. Nur in einer begrenzten Zeit seines Schaffens stellte er Möbel her. Ein roter Direktionsstuhl aus den fünfziger Jahren dient der Messe als Plakatmotiv. Wenn es nicht Kriegszeiten verhinderten, nutzte er zur Konstruktion Metall, das er zu stabilen Strukturen – vom Stuhl bis zum Schuldach – verformte. Prouvé arbeitete für befreundete Architekten und Designer wie Le Corbusier, Pierre Jeanneret und Charlotte Perriand, woraus gelegentlich gemeinsame Projekte entstanden. Obwohl Prouvés Entwürfe formale Gemeinsamkeiten aufweisen, schuf er stets eher kleine Stückzahlen für einzelne Gebäude oder Räume. Geradezu ideale Voraussetzungen für den heutigen Designmarkt.

Neben den Pariser Galerien Patrick Seguin, Jousse Enterprise oder Galerie Downtown hatte auch die New Yorker Galerie Magen H Möbel von Prouvé im Angebot. Und die sechs kleinen Holzstühle aus dem Jahr 1945, die einst in einem Restaurant in Longuyon nahe Nancy standen, waren bereits am dritten Messetag vom Stand verschwunden: verkauft für rund 85.000 US-Dollar. Länger zu sehen waren die beiden „Visiteur"-Sessel, die zusammen 145.000 US-Dollar erbringen sollten.

Wer sich die überschaubare Design Miami genauer ansieht, entdeckt Oberflächliches ebenso wie anregende Gedankenexperimente, die sich dreidimensional manifestieren. So etwa bei Murray Moss, der nach einigen Jahren Abstinenz auf die Design Miami zurückkehrte und Haresh Lalvani präsentierte. Lalvani ist Mathematiker und Architektur-Professor am Pratt Institute. Seit Jahrzehnten sucht er Formprinzipien in Natur und menschengemachter Umgebung zu entschlüsseln, so etwas wie ihr gemeinsames Design-Gen. Serielle Folgen von Abweichungen sind sein Thema. Durchgespielt anhand eines leichten, durchbrochenen Musters. Kein Stück der flachen weißen Metallschalen, die Moss präsentierte gleicht dem anderen. Jedes der durchnummerierten Objekte steht mit seinem Vorläufer und Nachfolger in der schier endlosen Folge in Beziehung, was Moss und Lalvani als „Mass customization of emergent designs" bezeichnen.

Und wie kann man zugleich die handwerkliche Arbeit von Elisa Strozyk und Sebastian Neeb aus Berlin verstehen, die im Eingangsforum der Messe eine offene Werkstatt präsentierten? Aus Leder, das in der Produktion der Luxus-Modemarke Fendi normalerweise übrig bleibt, schufen sie nach historischen Möbeln dreidimensionale Strukturen, die als Gebrauchsgegenstände untauglich, aber als formale Etüde höchst reizvoll sind und das Interesse von Sammlern erregten. Mit ihrer Inszenierung von Wand und Bodenelementen zitierten die beiden vielfach geehrten Designer zudem abstrahierte Elemente, die sie in der Fendi-Zentrale in einem Palazzo in Rom vorfanden.

Im Umfeld des eher banalen Convention Centers, dem heutigen Messestandort, wurde Anfang 2011 das ungewöhnlich kastenförmige Gebäude der amerikanischen Orchester-Akademie „New World Symphonie" von Frank Gehry eingeweiht. Der urbane Raum in Miami wandelt sich. Dazu tragen auch Gebäude wie „1111 Lincoln Road" bei, eine den Maßstab des Umfelds sprengende Betonstruktur von Herzog & de Meuron. „Alles Muskeln, keine Kleidung", sagt Jacques Herzog dazu. Das Gebäude, es gehört mit Robert Wennett ebenfalls einem Immobilien-Entwickler, ist ein Parkhaus mit riesigen Geschosshöhen, dient als begehrte Location für Events und Fotoproduktionen. Ebenfalls von Herzog & de Meuron entworfen, wird 2013 das neue Miami Art Museum eingeweiht.

Learning from Miami

Die Stadt Miami im 19. Jahrhundert von Industriellen und Ölbaronen gegründet, mag mit ihren spezifischen Farben, ihrem Licht und ihrem Klima, mit ihren offenen und abgeschirmten Räumen im Vergleich zu anderen Luxus-Standorten wie Abu Dhabi und Dubai fast schon wie ein lieblicher Traditionsort wirken. Ist sie ein Eldorado nur für Millionäre? Für Europäer eher eine gute Gelegenheit genauer hin zu sehen. Marianne Goebl, die neue Leiterin der Design Miami, mag sich zu Recht über die gute Atmosphäre ihrer wachsenden Messe freuen. Dass sie das, was heute schon funktioniert, ausbauen und vertiefen wird, ist zu erwarten. Womöglich bietet das weltweit vernetzte transatlantische Projekt der Design Miami in Florida und in der Schweiz eine Perspektive, in der das europäische Design diskursiv seine derzeitige Krise inhaltlicher Unbestimmtheit überwinden kann.

www.designmiami.com

Für Autos mit Weitblick: Aussicht aus dem Parkhaus 1111 Lincoln Road auf die Skyline von Miami, Foto © Thomas Edelmann
„Dymaxion Car“ von Richard Buckminster und „Fly's Eye Dome“ als Rekonstruktionen, ausgestellt im „Design District“. Den „Fly's Eye Dome“ erwarb Sammler und Immobilien-Unternehmer Craig Robins. Foto © Thomas Edelmann
„Containers II“ von Studio Job bei Vivid aus Rotterdam, Foto © Thomas Edelmann
lung organisierte. Foto © Thomas Edelmann
Auch Fotostudios werben mit Kunst, Laden in South Beach, Foto © Thomas Edelmann
Venice Projects präsentierte Glasobjekte aus Muranoglas von Patricia Urquiola, Foto © Thomas Edelmann
„Daylight Dome” von Mathieu Lehanneur und „Royeroid Armchair” von Robert Stadler bei Carpenters Workshop Gallery, London und Paris, Foto © Thomas Edelmann
9.000 Besucher eher achtlos vorbei. Foto © Thomas Edelmann
Arbeitsplatz zur Verarbeitung von Leder von Elisa Strozyk und Sebastian Neeb, Foto © Thomas Edelmann
Blick in die Büros von Dacra, des Immobilien-Unternehmers Craig Robins, mit Rover Chair von Ron Arad, Foto © Thomas Edelmann
Klangobjekt, Foto © Thomas Edelmann
Miami downtown, Foto © Thomas Edelmann
Parkhaus und Eventlocation in der 1111 Lincoln Road von Herzog & de Meuron, Foto © Thomas Edelmann
Morris Lapidus schuf nicht nur glamouröse Hotels der fünfziger Jahre. Seine Fußgängerzone Lincoln Road aus den sechziger Jahren wurde in den neunziger Jahren umgebaut und bildet heute den touristischen Kern des Art Déco-Bezirks, Foto © Thomas Edelmann
Entwürfe von Liam Gillick für Pringle of Scotland im „Design District“ , Foto © Thomas Edelmann
Prouvé und die Palmen: Ein Sessel des französischen Ingenieurs und Designers wurde zum Werbemotiv der Design Miami, Foto © Thomas Edelmann
der Messe. Foto © Thomas Edelmann
Sechs Holzstühle aus dem Atelier Jean Prouvé stammten aus dem Bahnhofsrestaurant von Longuyon, hinten Sessel „Visiteur“ bei Magen H Gallery, New York, Foto © Thomas Edelmann
Matali Crasset inszeniert französisches Design: Ausstellung im Wolfsonian Museum in South Beach, Foto © Thomas Edelmann
Stehleuchte „LC VII“ von Le Corbusier für Chandigarh bei Patrick Seguin, Foto © Thomas Edelmann
Elisa Strozyk & Sebastian Neeb aus Berlin mit ihrem Projekt „Craft Alchemy“ für Fendi Design Performances, Foto © Thomas Edelmann
Kreationen aus Lederresten aus der Produktion der Modemarke Fendi von Elisa Strozyk und Sebastian Neeb, Foto © Thomas Edelmann
Vintage-Stühle von Jean Prouvé im Dacra-Büro, Foto © Thomas Edelmann
Installation von Daniel Libeskind bei Zumtobel, Foto © Zumtobel
BIG and Audi realize “Urban Future” at Design Miami 2011