Kogohi Onsen in Atami von Kengo Kuma All photos © Daici Ano
In der heißen Quelle des Herrn Ueda
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von Ulrich Schneider
15.03.2009 Wer weiß, wie schwierig es vor fünfundzwanzig Jahren in Japan war, an anständigen Champagner zu kommen, der mag erahnen, welch beglücktes Gefühl mich damals im Landhaus des Tokyoter Galeristen Ueda in Yugawara beschlich, als der freundliche alte Herr einen riesigen eisgefüllten Kühler heranschleppte, aus dem eine erkleckliche Anzahl von Krug-Flaschen die Hälse reckte. Auch klapperte es viel versprechend in der Küche und feine Düfte durchzogen das schöne Haus in den Bergen, von dem man den herrlichsten Blick auf den Pazifik hat. Wochenende in der Nähe Tokyos. Etwas befremdlich schien uns die Frage Uedas, ob wir vor dem Mittagessen noch baden wollten. Zu unserem Erstaunen geleitete er uns nicht an den Swimmingpool im Garten, sondern in einen sachlich hell gekachelten Raum mit feinen Holzhockern, Holzbütten, köstlichen Seifen und Shampoos. Ganz selbstverständlich zog er sich dort aus und bat uns unbefangen desgleichen zu tun. Im nicht unterbrochenen Gespräch ging es weiter um Künstler und ihre Arbeiten, man seifte sich ein, wusch sich die Haare, schrubbte sich gegenseitig die Rücken, als würde man dies seit Jahren immer wieder tun. Überrascht von so viel Natürlichkeit sahen wir zu, wie Ueda eine hölzerne Schiebetür zum Nachbarraum öffnete und uns damit die Welt des „onsen", der japanischen Badekultur, erschloss. Der Raum von etwa zwanzig Quadratmetern war ganz mit sandfarbenem Stein ausgeschlagen und barg in seiner Mitte ein Becken, in das aus einer langen schwarzen Marmorrinne maßvoll heißes Wasser rann. Ueda besaß seine eigene heiße Quelle! Alles in diesem Steinraum war Wärme: der Boden, die Wände, vermutlich auch die Decke. Alles war Wasser: das Geräusch, der Duft nach Eisen, der Dampf. Alles war Ästhetik, die Farben, der Blick auf einen herbstlichen Wald, den ein schmales Fensterband freigab. Den Einstieg in das Becken erinnere ich als schmerzhaft. Die Wassertemperatur betrug fast vierzig Grad. Während der alte Herr bereits bis zum Hals und wohl gelaunt, ein kleines Handtuch auf dem Kopf, untergetaucht war, blieb mir nur zentimeterweise Quälerei. Doch einmal auf gleichem Niveau, stellte sich überraschend ein schwebendes Entspannungsgefühl ein, das sich noch steigerte, als die Scheibe des Fensterbandes versank und würzig frische Herbstluft den Steinraum flutete. Da ohne Uhr und bald schon des Zeitgefühls verlustig, weiß ich nicht wie lange das nunmehr schweigende Sitzen dauerte. Wohl nach einer Stunde erhob sich Ueda und wir folgten, bedurften nicht des Abtrocknens, da die gespeicherte Hitze das Wasser sofort verdampfen ließ. In baumwollenen Yukata nahmen wir dann das Mittagessen ein, das beinahe mein letztes werden sollte. Hatte ich bereits nach dem ersten Glas Champagner eine gewisse Unruhe verspürt, so machte sich bald eine fast schon hysterische Hektik in mir bemerkbar. Der Blutdruck geriet in extremis, aus meiner Stirn quollen die Adern wie Taue hervor, das Herz pochte in den Ohren, der Schlaganfall war nahe. Ein rasch herbeigerufener Arzt verabreichte einen stärkenden Extrakt, nach vier Stunden schließlich fühlte ich mich wieder als Mensch. Baden in Japan will gelernt sein. Natürlich haben alle modernen Häuser und Wohnungen in Japan ein Badezimmer. Diese Baderäume sind gekachelt, zumeist mit einem Holzrost ausgelegt und immer in Wasch- und Badebereich aufgeteilt. Ein Holz- oder Plastikhocker, ein Wasserhahn in 30 Zentimeter Höhe und eine Waschschüssel dienen zur Körperreinigung, zum Haarwaschen, zum Zähneputzen und Rasieren. Hier erfrischt man sich morgens und reinigt sich abends vor dem Bade. Dafür gibt es eine meist würfelförmige Wanne von 90 Zentimeter Höhe, in der das Wasser über eine Umwälzheizung erhitzt wird. Sie hält die Wassertemperatur nach Wunsch konstant, denn oft hockt man eine Stunde in dem Kubus. Da das Wasser von der ganzen Familie und über mehrere Tage benutzt wird, kann die Wanne bei Nichtbenutzung mit einer Abdeckplatte verschlossen werden. Freilich ist das öffentliche Bad, „sentō", ein viel schönerer Ort. Ein sentō, wie es sie in allen japanischen Städten gibt, kann man leicht am hohen Blechschornstein erkennen. Und sommers wie winters sieht man in den Abendstunden Menschen in Yukata und Holzsandalen, ein Kosmetiktäschchen in der Hand, in diesen geselligen Ort huschen. Nach Geschlechtern getrennt, schrubbt man sich in gekachelten Reinigungsräumen, ehe man sich zu zehnt, selten zu zwanzigst in das große, heiße Becken setzt. Das ist viel bequemer als zu Hause und bietet die Möglichkeit zum leisen Plausch mit dem Nachbarn. Aber bitte ruhig und ohne Hektik: auch das öffentlich Bad im Wohnviertel ist Ort der kontemplativen Ruhe und der absoluten Entspannung. Und ein Ort des Wärmespeicherns im Winter, denn japanische Häuser und Wohnungen kennen auch heute nur wenig Heizkomfort. In diesen Alltagsbädern zählt Sauberkeit mehr als Luxus, pure Entspannung mehr als Styling. Gelegentliche geschmackliche Entgleisungen, wie sie die japanische Stadtgesellschaft massenhaft meistert, etwa Panoramamosaiken mit tropischen Sonnenuntergängen, werden auch hier übersehen. Gerade im sentō wird die dörfliche Struktur der Stadtviertel auch in der Megalopolis Tokyo spürbar. Jeder kennt jeden und Gäste, zumal Ausländer, sind geduldet. Ungleich eindrucksvoller zeigen sich die Thermalbäder mit ihren oftmals heilkräftigen Quellen, die „onsen". Hier reicht die Spanne von grausigen Badefabriken bis hin zu einsamen, ja verwunschenen Orten von nie erahnter Schönheit. Als Gast sollte man diese Orte unter der Woche und außerhalb der Ferienzeiten besuchen, wenn sie relativ leer sind. Tagesabläufe in diesen Bädern und Hotels zu schildern, würde Bücher füllen. Aber vom Frühstück mit Fischsuppe und Räucheraal bis nach dem stilllebengleichen Nachtmahl dreht sich alles um Wärme, Wasser, Wohlbefinden und Entspannung. Gipfelpunkt der Badeästhetik, die in Japan seit Jahrhunderten gepflegt wird, scheint mir das Kogohi onsen in Atami, das der Architekt Kengo Kuma 2003 fertig gestellt hat. Er lässt hier eine minimale Architekturzeile an einem Hang schweben, eine zedernduftende Struktur aus Holz, Stahl und Kunststoff. Während die Reihe von Umkleide, Waschraum und riesigem Holzbecken tags in sanftem Baumschatten liegt, kommt nachts zarte, indirekte Beleuchtung zur Geltung. Hier im Zedernbassin über der Landschaft zu schweben, heißt die Erdenhaftung zu verlieren und in unendlich leichter Stimmung zu entschweben. Von großem Reiz sind auch jene „rotenburo", also Freiluftbäder, deren heiße Quellen in kalten Gebirgsflüssen entspringen. Dort ruht man auf kunstvoll geschichteten, glatten Kieseln und kann sich die Temperatur durch die Annäherung an die Quellöffnung einrichten. Diese oft rustikalen „onsen" pflegen auch wieder die gute japanische Tradition des gemeinsamen Badens von Frauen und Männern. Als sensibler Reisender stößt man in Japan ohne Unterlass auf Neues und Rätselhaftes, so auch in der Badekultur. So sollte man nicht verwundert sein, wenn sich das Badebecken schlagartig leert, wenn man als „geijin" hinein gleitet. Hat man sich nicht demonstrativ und gründlich vor aller Augen gewaschen? Man hat doch das Handtuch korrekt um die Stirn gewunden, aber irgendetwas war eben doch wieder falsch... Keine Sorge, die japanischen Gäste im onsen kommen bald wieder. Man badet viel zu gerne, um sich von einem Fremden abschrecken zu lassen. Ob Sommer oder Winter, ob Glutmonsum oder Schnee, erst mal ein heißes Bad, ob todmüde oder nervös, erst mal ein heißes Bad, ob krank oder gesund, erst mal ein heißes Bad. Noch oft bin ich mit Herrn Ueda und seinen Freunden in das wunderbare Steinbad gestiegen, habe mich im Laufe der Jahre der großen Hitze in kleinen Schritten angenähert. Und in der Tat, man freundet sich mit ihr an, ja sie macht sich unentbehrlich. Auch der Umgang mit der schwimmenden Sake Schachtel aus Zedernholz in der kalten Jahreszeit wurde vertraut. Und wenn dann mit der eisigen Winterluft ein rotes Ahornblatt ins onsen segelt und auf dem Wasser schwimmt, dann stellt sich das kimochi ein, ein unbeschreibliches Gefühl von innerer Harmonie, das es nur mit guten Freunden in den heißen Quellen gibt.
Professor Dr. Ulrich Schneider war von 2003 bis 2011 Direktor des Museums für Angewandte Kunst in Frankfurt am Main. |