16.08.2013
Die Chinesisch-Deutsche Kunstakademie (CDK) in Hangzhou, kooperativ getragen von der Chinese Academy of Arts (CAA) Hangzhou und der Universität der Künste (UDK) Berlin, hat ihren Studienbetrieb im Herbst 2006 aufgenommen. Seitdem können dort chinesische Studierenden ein zweijähriges Masterstudium in bildender Kunst (Fächer: Malerei, Medienkunst, Bildhauerei) und Gestaltung (Visuelle Kommunikation, Industrial Design, Architektur) absolvieren. Zwei Drittel der Lehranteile obliegen der UDK, ein Drittel der CAA. Vor Beginn der Masterarbeit liegt ein dreimonatiger Studienaufenthalt in Berlin. Die Masterthesis wird in deutscher Sprache verteidigt. Die Studiengebühren betragen 50 000 Yuan, etwa 6000 Euro pro Jahr. Im ersten Jahr wurde die CDK durch den DAAD mitfinanziert. Seitdem trägt sie sich selbst. Egon Chemaitis, Designer und bis 2011 Professor für Design-Grundlagen an der UDK in Berlin, der selbst seit 2007 an der CDK unterrichtet und Vorsitzender der gemeinsamen Prüfungskommission ist, hat mit CDK-Präsidentin Yang Xiuqing über die Kooperation gesprochen.
Egon Chemaitis: Frau Yang, nach einigen Jahren an Verhandlungen hat die Chinesisch-Deutsche Kunstakademie im Herbst 2006 ihren Studienbetrieb aufgenommen. Hat sich die CDK entwickelt wie geplant?
Yang Xiuqing: Das Projekt ist ein unerwarteter Erfolg geworden. Ursprünglich hatten wir nur einen Studiengang mit Malerei, Medienkunst und Bildhauerei geplant. Plötzlich mussten wir drei weitere Fächer anbieten, nämlich visuelle Kommunikation, Architektur und Produktdesign – das hatten wir nicht erwartet. Diese Fächer sind sehr aktuell, wir brauchen diese Fächer in China.
Halten Sie das Konzept, in China ein Masterprogramm mit deutschem Abschluss zu installieren, nach wie vor für eine attraktive und wichtige Option, auch als Alternative zu einem Studium in Deutschland?
Yang Xiuqing: Keine Frage, natürlich ist das ein wichtiges Programm! Dieses Projekt richtet sich vor allem an zwei Zielgruppen. Zum einen an die Mittelschicht mit einem Jahreseinkommen von 15.000 bis 20.000 Euro. Die zweite Zielgruppe sind Arbeiterfamilien, die ohnehin einen Aufenthalt in Deutschland kaum finanzieren können. Für ein Auslandsstudium müssen sie einen Betrag von 40.000 Euro nachweisen und bereitstellen. Für ein Studium an der CDK müssen sie nurrund die Hälfte aufbringen.
Es gibt zwei weitere Argumente, die ich von Bewerbern häufiger gehört habe. Erstens, sie wüssten gar nicht, ob das Studium im Ausland wirklich besser sei. Und zweitens könnten sie ihre Entscheidung im Falle einer Enttäuschung hier leichter korrigieren.
Yang Xiuqing: Ja, es ist keine Frage, dass die CDK eine reale Alternative darstellt zu einem Studium in Deutschland. Wie gesagt, es ist vor allem die Mittelschicht, für deren Kinder wir interessant sind. China lebt ja von dieser Mittelschicht, und sie wollen, dass ihre Kinder eine gute Ausbildung bekommen.
Die Mittelschicht ist auch deshalb eine wichtige Zielgruppe, weil sie dynamischer ist als die Bauern, und weil die, die ihr angehören es sind, die Chinas Entwicklung aktiv beeinflussen. Es ist wichtig, dass diese jungen Menschen gut ausgebildet werden und die Veränderungsprozesse vernünftig steuern.
Yang Xiuqing: Unsere Studierenden sind überwiegend Kinder von Beamten, kleineren oder mittleren Unternehmern, Ärzten, Anwälten usw. Die Studiengebühren von 6.000 Euro sind relativ gesehen nicht so hoch, selbst ein Bachelor-Studium kostet etwa 7.000 Euro.
Chinesische Studenten können also einen deutschen Masterabschluss in China machen. Das hat seinen Preis, nicht nur finanziell: Am Ende muss die Masterthesis auf Deutsch verteidigt werden. Für die CDK bedeutet das, Sprachkurse zu organisieren, Prüfungen abzunehmen, Übersetzer vorzuhalten. Ist der Kosten- und Zeitaufwand nicht zu hoch?
Yang Xiuqing: Internationalisierung bedeutet auch Kommunikation, und dazu brauchen wir bestimmte Fähigkeiten. Ohne Sprachkenntnisse geht das nicht. Englisch als Fremdsprache wollten wir nicht wählen. Englisch wird hier in China methodisch ganz anders gelehrt, die Sprache ist „stinkig“, wie wir sagen. Die Chinesen sind davon genervt, sie haben keine Lust, Englisch zu lernen. Unsere Haltung war: Wenn wir mit Deutschland kooperieren, wollen wir auch die deutsche Sprache miteinbeziehen. Gerade der Deutschunterricht ist eine Schulung in logischem Denken, darin, wie man Sachverhalte klar darlegen kann.
Deutsch lernen heißt auch, sich auf einen viel engeren, stärker abgegrenzten Kulturraum zu beziehen, während das Englische sich beispielsweise auf die Kulturräume Nordamerika, Großbritannien und Australien erstrecken würde.
Yang Xiuqing: Die Englisch-Ausbildung in China ist mangelhaft. Nach vier Jahren Unterricht können die Schüler immer noch nicht kommunizieren. Das führt zu Lustlosigkeit. Die Motivation, Englisch zu lernen, ist gleich null. Wenn sie hören, das sie hier Deutsch lernen müssen, ist die Reaktion dagegen: Oh, das ist was Neues, das will ich mal ausprobieren. Die Motivation ist höher, der Deutschunterricht ist nicht von Anfang an durch schlechte Erfahrungen belastet.
Die Lehrenden unterrichten auf Deutsch. Jedes Wort, jeder Satz, ob geschrieben oder gesprochen, muss übersetzt werden. Die Kommunikation ist immer mittelbar. Das bedeutet: Die Qualifikation der Übersetzer, ihre Fähigkeit in sprachlicher und in fachlicher Hinsicht ist von zentraler Bedeutung – ein Dilemma oder „part of the game“?
Yang Xiuqing: Selbst eine gute Übersetzung erreicht eine originalgetreue Wiedergabe wahrscheinlich nur zu 70 bis 80 Prozent. Das ist einfach so. Selbst wenn sich Merkel und Xi Jinping unterhalten, werden nicht mehr als 80 Prozent erreicht.
Das ist sicher auch von den Sprachen abhängig, die übersetzt werden müssen. Die Frage, Dilemma oder „part of the game“ zielt auf etwas anderes. Was ich meinte ist: Mein Wissen um die Übersetzungsarbeit verlangt, dass ich anders spreche, dass ich die Übersetzungsfähigkeit dessen, was ich sage, mitdenke. Und: Nicht alles ist eine Frage der Übersetzung, ganz besonders nicht zwischen Chinesisch und Deutsch. Es ist nicht zuletzt die Kultur, die übersetzt werden muss!
Yang Xiuqing: Ganz sicher, eine Übersetzung der Kulturen ist kaum zu 100 Prozent zu haben.
Die CDK ist symmetrisch in die Studienbereiche Kunst und Gestaltung mit je drei Fächern gegliedert, sehr klassisch also. Hat sich das bewährt?
Yang Xiuqing: Wir wollen künftig noch mehr Fächer anbieten. Es muss nicht so bleiben wie es ist. Wir müssen alles überprüfen, Fächer abschaffen, neue hinzunehmen, bestehende anpassen. Im Moment haben wir einen klassischen Fächerzuschnitt, doch wenn wir nichts ändern, werden wir entweder langweilig oder von der Realität abgehängt.
Die CDK ist ausgelegt für 40 Graduierte pro Jahr. Die Zahl der Bewerber ist in den letzten Jahren stabil, in diesem Jahr stieg sie sogar. Was kann man tun, um die Zahl der Bewerber zu erhöhen?
Yang Xiuqing: Tatsache ist, die Gebühren sind eine finanzielle Hürde. Viele Familien können es sich einfach nicht leisten, ihre Kinder auf die CDK zu schicken. In den wirtschaftlich erfolgreichen Regionen im Süden ist das Einkommen entsprechend hoch. Andere Regionen sind längst nicht auf diesem Niveau. Die Leute sind oft noch sehr arm. Ein weiterer Grund ist, dass die Masterstudiengänge der chinesischen Hochschulen kostenlos sind. Die Studienangebote sind natürlich auch nicht gleichmäßig über das Land verteilt. Rund um Beijing gibt es viele Studienangebote, ebenso in Shanghai oder in Guangzhou. Aus diesen Gegenden kommen daher wenig Bewerber. Aber in der Provinz Zhejiang sind wir die erste Adresse.
Die CDK ist aus meiner Sicht ein ziemlich einmaliges Konstrukt, ein rares und couragiertes Bildungsunternehmen. Was ist das Interessante daran für die CAA und das Ministerium?
Yang Xiuqing: Nun, jedes Jahr müssen die Hochschulen dem Bildungsministerium berichten. Dabei führt die CAA die CDK immer als besonderen Leistungsausweis an und bekommt viel Anerkennung für ihre Aktivitäten im internationalen Austausch. Wir sind wirklich ein Glanzpunkt in der Leistungsbilanz der CAA. Die CDK ist eben nicht eines jener Vorhaben, die selten über den Papier-Status hinaus gelangen. Wir haben die CDK gemacht!
Hat die CDK Modellcharakter oder ist sie eher ein exotisches Studienformat für eine Bildungsnische?
Yang Xiuqing: Nein, die CDK ist wirklich ein Wert im Bildungsangebot der Provinz Zhejiang. Das Bildungsministerium weist immer stolz darauf hin, dass wir den internationalen Austausch längst erfolgreich institutionalisiert haben.
Viele Absolventen arbeiten inzwischen als Lehrende an anderen Hochschulen. Werden sie dort den Kunst- und Gestaltungsstudiengängen einen „CDK-Impuls“ geben können?
Yang Xiuqing: Keine Frage, ich bin davon überzeugt, und ich weiß es aus vielen Gesprächen. Das beginnt schon bei Vorstellungsgesprächen. Unsere Absolventen treten ganz anders auf, sie sind klar und selbstbewusst. Unsere Absolventen werden in ihren Arbeitsfeldern häufig zu zentralen Figuren, sie übernehmen durch ihre vielfältige Kompetenz rasch Leitungsaufgaben. Viele sind inzwischen in der Lehre tätig, unterrichten selbst, und geben ihre Erfahrungen aus der CDK weiter. Es ist ein Zeichen von Qualität, wenn unsere Absolventen besonders für verantwortungsvolle Positionen eingestellt werden.
Welche mittelfristigen Perspektiven sehen Sie für die CDK?
Yang Xiuqing: Es ist so: Wenn ich an die Kombination Deutschland und Design denke, dann ist es keine Frage, dass wir das auf jeden Fall weiter machen. Denke ich aber an Mode- oder Schmuckdesign, dann fallen mir Frankreich und Italien ein. Wenn ich mir über eine Erweiterung Gedanken mache, dann muss ich auch überlegen, wie ich solche Fächer einbauen kann. Jetzt haben wir die Chinesisch-Deutsche Kunstakademie, später einmal soll daraus eine Chinesisch-Europäische Kunstakademie werden. Aber wir werden die CDK weiter als Kern unserer Kooperationen betrachten. Ich möchte Produktdesign, Malerei und visuelle Kommunikation als Kernfächer behalten, alles andere muss man sehen.
Dolmetscherin: Dipl.-Ing. Arch. Xiao Yi Liu-Cuk
In Deutsch erdacht, in und für China gemacht. Foto © Egon Chemaitis
Vielleicht das Volksrad der VR China von morgen? Foto © Egon Chemaitis
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Zhang Ziyi, I hol di mit dem Radl ab. Foto © Egon Chemaitis
Egon Chemaitis (mit Brille in der Hand) und seine Studenten. Foto © Egon Chemaitis
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