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Italienisches Kunsthandwerk: Emilio Pasquini fertigt in seiner Werkstatt in Ripalta Arpina, Lombardei, die Wanduhr „Turi" aus Kupfer an.

SALONE DEL MOBILE 2017
Avanti Artigiani!

Mit seiner kleinen, aber feinen Linie Interno Italiano will Giulio Iacchetti eine Alternative zu den großen Marken bieten. Typisch italienische Produkte vom Stuhl übers Tablett bis zur Vase.
von Martina Metzner | 31.03.2017

Giulio Iacchetti ist selten um eine Antwort verlegen. „Ich finde es falsch“, sagt er, „über innovative Materialien zu sprechen. Innovative Materialien werden in solch einer Geschwindigkeit alt, die Angst macht.“ Oder: „Der Designer ist jemand, der sich oft in Dinge verliebt, ganz gewöhnliche Dinge.“ Oder: „Man muss sich um die Details kümmern, um die Unternehmen, um die Wörter.“

Man darf den in Mailand ansässigen, 1966 geborenen Designer durchaus als Ausnahmeerscheinung betrachten. Denn er entwirft nicht nur schöne und auch erfolgreiche Objekte etwa für Alessi, Danese, Fontana Arte, Foscarini oder Magis, er hinterfragt auch sein Metier und denkt über dessen Tellerrand hinaus. So kam es dazu, dass sich der Mann, der gar nicht mal typisch italienisch ausschaut, aber immer wieder neue Brillen trägt (sehr italienisch!), im Jahr 2012 hinsetzte und auf einem Blatt Papier eine kleine Kollektion von Möbeln und Accessoires entwarf, die für ihn persönlich eine typisch italienische Einrichtung verkörpern. So wurde Interno Italiano geboren, eine kleine, feine und ihm höchsten Maße „artigianale“ Linie, die Stühle, Tische, Regale, Garderoben und viele kleine nützliche Alltagshelfer vom Besen, über einen Klebeband-Roller bis hin zu Schere umfasst.

Typisch italienisch: Giulio Iacchetti möchte mit seiner neuen Linie die Aufmerksamkeit auf das italienische Kunsthandwerk lenken.

Dass Iacchetti nicht irgendeine Linie zu Papier gebracht hat, untermauert er mit einem „Manifest“, das man sich auf der Internetseite von Interno Italiano als Video ansehen kann. Zentraler Punkt der Idee ist demnach die „Italianità“ – ein Wort, das mit „typisch italienisch“ nur unzureichend übersetzt werden kann. Iachetti, der unter anderen Alberto Meda, Alessandro Mendini, Enzo Mari und Ettore Sottsass als seine Vorbilder nennt, ist daran gelegen, den Kern der italienischen Designkultur und vor allem die italienischen Kunsthandwerker mehr in den Blickpunkt der Öffentlichkeit zu rücken.

Anders als bei anderen Marken werden daher auf der Webseite die einzelnen Kunsthandwerker und ihre Betriebe detailreich beschrieben, oft auch per Video vorgestellt. Für die Designer der Marke reichen hingegen oft ein paar Worte aus. Womit Iachetti das übliche Verhältnis auf den Kopf stellt und die Menschen hinter den Produkten in den Vordergrund rückt. Denn seiner Meinung nach liegt in der ausgewogenen und sich gegenseitig Respekt zollenden Zusammenarbeit zwischen talentierten Designern und nicht minder talentierten Kunsthandwerkern die Besonderheit italienischen Designs.

Der Klebeband-Roller „Naro" ist aus Mahagoni gefertigt.
„Turi" erinnert an antike Küchenpfannen aus Kupfer.
Durch die Trichteröffnung fängt die Gießkanne „Idro" Regenwasser auf.
Dreht man am Rad, so schiebt sich die Mine von „Neri" hervor.

Iacchetti hat aber noch mehr zum Design-System zu sagen: „Ein Designer muss sich den Überlegungen des Marktes anpassen, sollte sich aber einen Grad an Freiheit bewahren, um nicht zum reinen Aushängeschild des industriellen Systems zu werden.“ Diese Freiheit nimmt sich Giulio Iachetti, der ikonische Produkte wie die Obstschale „Tuttifrutti“ für Alessi, das modulare Regal „Eur“ für Magis oder die Leuchte „Magneto“ für Foscarini gestaltet und bereits zweimal den Compasso D’Oro gewonnen hat, im Rahmen von Ausstellungen. So brachte er 2009 „ungehorsame Objekte“ in die Mailänder Triennale, Objekte, die sich seiner Meinung nach nicht massenhaft verkaufen lassen, aber nachdenklich und humorvoll zeigen. Wie zum Beispiel der kleine Beistelltisch, der auf einem Bücherstapel ruht, der durch einen baumarktüblichen Spanngurt zusammengehalten wird.

Überhaupt ist Iacchetti Humor wichtig. Er wolle mit Interno Italiano „happy products“ kreieren, Produkte, deren Funktion man sofort erkennt, die möglichst nur aus einem Material gemacht sind und die außerdem ein Lächeln auf das Gesicht des Benutzers zaubern. Wie der Pouf „Bard“, der ausschaut wie ein Betonpoller, aber aus weichem Schaumstoff besteht, damit man in ihn hineinsinken kann. Rund 60 Objekte hat Iacchetti mittlerweile im Programm, die er via Internet vertreibt, aber auch in ausgewählten Läden rund um den Globus. Rund 80 Prozent der Objekte hat Iacchetti selbst gestaltet.

Hervorzuheben ist da das Regal „Nepi“, das aus Bögen aus massivem Nussbaum zusammengesetzt wird, dadurch beliebig erweiterbar ist und das ebenso an das Kolosseum wie an den Palazzo della Civiltà Italiana (Palast der italienischen Zivilisation), das „Colosseo Quadrato“ auf dem ehemaligen Gelände der Weltausstellung von 1942 erinnert. Iachetti ist es wichtig, dass die Objekte von Interno Italiano auch einen Hauch der römischen Klassik vermitteln und Archetypen darstellen. So wird aus einer metallenen Ölkanne eine Gießkanne mit überzeugender Wassergewinnungsfunktion, aus dem klassischen Griff eines Regenschirms kurzerhand ein Garderobenhaken. Es sind vorwiegend solch kleine Alltagshelfer, die Interno Italiano im Programm hat. Vielleicht auch, weil bei solchen Produkten die spielerische Geste mehr zum Vorschein kommen kann, was auch Iachettis Produkte für Alessi unterstreichen.

Der römische Rundbogen für's Heim: das modulare Regal „Nepi" aus massivem Nussbaumholz.

Dem Konzept Iacchettis entsprechend muss an dieser Stelle aber auch von den Handwerkern gesprochen werden, die einen nicht unerheblichen Anteil an der Herstellung der Produkte haben. Zu nennen wäre etwa die Glasbläserei Parise Vetro, die seit den 1970er Jahren in Marostica in der Provinz Vicenza mundgeblasenes Glas aus Borosilikat herstellt und für Interno Italiano die sanft geformte, matt-grüne Glasflasche „Gela“ und das Trinkglas „Goro“ produziert. Oder die Keramiker von Giuseppa Mazzotti, 1903 in Albisola gegründet, die bereits für Filippo Tommaso Marinetti und Bruno Munari Objekte aus Ton geformt haben und heute – noch immer in Familienhand – die Tradition der ligurischen Keramik weiterführen.

Für Iacchettis Kollektion stellen die Keramiker diverse Vasen her, darunter auch eine in der Form von stehenden Fischen, deren Schlund die Vasenöffnung bildet. Zu nennen wäre auch noch Nino Ciminna aus Palermo, vielleicht einer der typischsten Vertreter dieser Gattung von Kunsthandwerkern in Italien. Ciminna arbeitete seit seiner Kindheit als Blechschmid und unterhielt eine kleine Werkstatt in der Via Calderai in Palermo, die vollgestopft war von Behältern, Körben, Sieben und Werkzeugen. Das Video über Nino Ciminna verrät: Er ist 2015 gestorben. Giulio Iacchetti gibt ihm die Ehre, auf seiner Website weiterhin als Teil seiner Artigiani zu erscheinen. Auch das ist Interno Italiano.


Zur Milan Design Week hat Interno Italiano einen Temporary Store eingerichtet:

Via Palermo 5, Mailand, Brera Design District
4. bis 9. April

In den 1970er Jahren gegründet: Die Glasbläserei Parise Vetro hat sich auf Borosilikat spezialisiert.
Präzision bis ins Detail: Der Druckbleistift „Neri S" wird von Parafernalia in Mailand gefertigt.
Bleibt in Erinnerung: Nino Ciminna aus Palermo fertigte die Gießkanne „Idro" an.