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Das Erlebnis für den Museumsbesucher steht für sie im Mittelpunkt: Uwe Brückner, Sebastian Vivas, Kai-Uwe Bergmann (v.l.n.r.)

Interview
Ein Museum wie ein Drei-Sterne-Restaurant

von Fabian Peters | 07.11.2016

Das aufsehenerregende Museumsprojekt von Audemars Piguet und dem Architekturbüro BIG ist in die nächste Phase getreten. Nun rollen die Bagger in Le Brassus, am Sitz der Uhrenmanufaktur, hoch in den Bergen des waadtländischen Jura. Der Entwurf von BIG ist ein wenig „architettura parlante“ – sprechende Architektur: der Bau hat die Form einer Spirale und erinnert an die Unruh in mechanischen Uhren. Alle Wände des Gebäudes sind aus Glas, auch das Dach wird allein von den Glaswänden getragen. Und diese Transparenz ist auch höchst sinnreich: der Neubau beherbergt nämlich neben dem Museum auch Uhrmacherwerkstätten, die in den Ausstellungsrundgang miteinbezogen werden. Das neue Museumskonzept hat Sébastian Vivas, Heritage  Director bei Audemars Piguet, zusammen mit dem renommierten Ausstellungsarchitekten und Szenographen Uwe Brückner entwickelt. Im Gespräch berichten Sébastian Vivas, Uwe Brückner und Kai-Uwe Bergmann von BIG, wie das neue Museum für Besucher und Firmenmitarbeiter zum Erlebnis werden soll. 

Eine Vision in Glas und Bronze: Das Metallgeflecht soll den Sonneneinfall in den neuen Museumsbau für Audemars Piguet filtern.

Fabian Peters: Herr Brückner, wie wird eine Tour durch das neue  Museum von Audemars Piguet in Le Brassus aussehen? Was erwartet den Besucher?

Uwe Brückner: Die besondere Architektur des Museums zeichnet den Weg für den Besucher ja bereits vor: er folgt dem spiralförmigen Weg durch das Gebäude. Er erlebt die Anfänge und die Geschichte der Uhrmacherei bei Audemars Piguet und dann, im Zentrum der Spirale, erwarten ihn die absoluten Meisterwerke der Uhrmacherkunst, die Grandes Complications. 

Wie vermitteln Sie dem Besucher die Faszination der Uhrmacherkunst?

Uwe Brückner: Das Besondere an dem Rundgang werden die Zwischenspiele, die Intermezzi, sein. Sie sollen den Besucher bestimmte technische Dinge spielerisch verdeutlichen. Wir haben zum Beispiel mit dem Künstler François Junod zusammengearbeitet, der zufälligerweise ganz in der Nähe von Le Brassus lebt. Für das Museum hat er eine Apparatur entworfen, an der die Besucher die mechanische Kraftübertragung erforschen können. Ich will nicht zu viel verraten, aber alle Zwischenspiele werden den Menschen in den Mittelpunkt stellen. Wir wollen, dass die Besucher so unmittelbar wie nur eben möglich die Faszination dieser unglaublichen Ingenieursleistungen, dieser unfassbaren Präzision der Uhrmacherkunst erleben können. Und in den Zwischenspielen haben sie die Möglichkeit, diese komplizierten mechanischen Vorgänge selbst auszuprobieren.

Will die Faszination der Uhrmacherkunst vermitteln: der Szenograph Uwe Brückner.

Wird es auch Multimedia-Anwendungen geben?

Sébastian Vivas: Wir versuchen nicht mehr Multimedia zu verwenden, als wirklich nötig ist, weil eine mechanische Uhr das absolute Gegenteil von Multimedia ist. Sie ist ganz real. Sie macht tick-tack. Sie bleibt manchmal stehen. Sie ist mechanisch. Alles, was sie tut, geht mit einer Bewegung, einem Geräusch einher. Das ist sichtbar, hörbar, fühlbar. Und auf diese Weise wollen wir unsere Geschichte erzählen und die Leute begeistern.

Das Museum zeigt ja auch die Historie von Audemars Piguet. Wie lassen sie diese lebendig werden?

Sébastian Vivas: Natürlich indem wir sie unseren Besuchern erzählen! Das beginnt eigentlich schon, bevor sie das Museum überhaupt betreten haben. Schließlich müssen die Besucher zunächst auf der Straße bis auf 1400 Meter hinauf ins Gebirge, ins Vallée de Joux fahren. Dann sehen sie schließlich diesen herrlichen See, diese unglaubliche Landschaft. All das ist schon Teil der Entdeckungsreise. Die Besucher wissen es nicht, aber sie befinden sich bereits mitten in der Ausstellung. Und dann beginnen wir, ihnen unsere Geschichte zu erzählen: warum wir gerade hier sind, was diesen Ort so besonders macht. Das Vallée de Joux ist die Wiege zahlreicher Uhrenfirmen, denn hier gab es das Know-how. Die Leute mussten hier schon vor Jahrhunderten ideenreich sein, um zu überleben, weil die Winter so lang waren.

Sebastián Vivas möchte den Besuchern die Besonderheiten des Vallée de Jux, von Le Brassus und natürlich von Audemars Piguet nahebringen.

Was wird das neue Museum in Le Brassus neben der Architektur und den Zwischenspielen zusätzlich von einem herkömmlichen Museum unterscheiden?

Sébastian Vivas: Es wird zwar ein Museum sein, aber eben ein lebendes Museum. Menschen werden dort arbeiten. Und zwar nicht wie in irgendeinem Freilichtmuseum, wo einmal in der Woche der Töpfer kommt, um sein Handwerk vorzuführen. Unsere besten Uhrmacher, diejenigen, die die Grandes Complications und die juwelenbesetzten Uhren fertigen, diejenigen, die die wertvollsten Stücke restaurieren, werden in dem neuen Gebäude arbeiten.

Und Sie haben keine Angst, dass die Besucher die Uhrmacher stören?

Sébastian Vivas: Das wird die große Herausforderung. Wir wollen unsere Mitarbeiter integrieren aber auch schützen. Auch deshalb werden alle Besucher in geführten Touren das Museum besuchen. Dadurch können wir zum einen die Besucheranzahl sehr genau steuern. Aber das ermöglicht uns zum anderen auch, unsere Gäste umfassend zu betreuen. Wir können ihnen die Dinge zeigen und erklären, anstatt ihnen nur einen Audioguide in die Hand zu drücken. Denn die Qualität des Erlebnisses steht für uns bei dem Projekt an erster Stelle. 

Qualität statt Quantität: Sebastian Vivas hat klare Prioritäten für das neue Museum.

Das begrenzt aber natürlich die Anzahl der Menschen, die das Museum besuchen können.

Sébastian Vivas: Wir denken, dass wir vielleicht 6000 Menschen im Jahr das Museum zeigen können. Man wird sich vor dem Besuch anmelden müssen und wir hoffen, dass niemand lange warten muss. Aber wenn Sie in einem berühmten Drei-Sterne-Restaurant essen wollen, müssen Sie vielleicht auch eine Weile warten. Manchmal lohnt es sich eben, auf wirklich gute Dinge zu warten!

Gibt es eine Verbindung zwischen dem Design der Audemars Piguet Uhren und der Architektur des Museums?

Kai-Uwe Bergmann: Für mich liegt die Parallele in der Effizienz. An einer Uhr fügt man nie etwas hinzu, was überflüssig ist und keine Funktion hat. Wir wollten eine Architektur erschaffen, die diese Geisteshaltung widerspiegelt. Als wir uns entschlossen haben, auf Pfeiler völlig zu verzichten und nur die Verglasung das Dach tragen zu lassen, war das für uns eine höchst treffende Analogie zu dieser Effizienz der Uhrmacherkunst von Audemars Piguet. 

Die Uhrmacherkunst hat die Architekten von BIG auch methodisch inspiriert, erklärt Kai-Uwe Bergmann.

Nachdem Sie uns so neugierig gemacht haben: Wann wird das Museum seine Türen öffnen.

Sébastian Vivas: Wir planen, das Museum im Frühjahr 2019 zu eröffnen. Aber wir sind abhängig vom Wetter. Wie gesagt: wir bauen in über 1000 Metern Höhe und die Winter hier sind lang und kalt. 

Ich frage jetzt mal ganz provokant: Ist es denn all diesen enormen Aufwand wert? Wahrscheinlich wird Audemars Piguet doch wegen des Museums nicht eine Uhr mehr verkaufen.

Sébastian Vivas: Das ist der Vorteil eines Familienunternehmens. Wir setzen das Projekt um, weil wir alle von ihm überzeugt sind – weil die Familie überzeugt von ihm ist. Hätte uns damals keiner der Wettbewerbsbeiträge überzeugt und begeistert – wir hätten kein Museum gebaut. Wir müssen eine Sache lieben, sie muss uns begeistern, verzaubern – nur dann machen wir sie. Das ist der Vorteil unserer Unabhängigkeit.   

Wird die Architektur des neuen Museums das Design von Audemars Piguet irgendwie beeinflussen?

Kai-Uwe Bergmann: Ich denke, seine ganze Atmosphäre wird inspirieren. Wir werden ja alle inspiriert von den Dingen die wir sehen, die uns umgeben. Ich hoffe sogar, dass man diesen Einfluss, den das Gebäude ausübt, deutlich wird ablesen können.  

Sébastian Vivas: Ich glaube, die Energie und der Erfindungsreichtum des Gebäudes wird uns alle mitreißen!

Spirale mit Stirnreif: Rendering des neuen Museums in Le Brassus.
Leuchtendes Zentrum: Rendering des Neubaus von BIG mit den bestehenden Gebäuden der Uhrenmanufaktur.