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Schöner Morden

Ein paar Widersprüche zur „Guten Form“
12.08.2017

Eine Kolumne von Michael Erlhoff 

Zumindest all jene, die Krimis lesen oder dergleichen Filme oder Serien gerne anschauen, wissen, dass Mord und Todschlag oder auch Selbstmord Gerätschaften benötigen. Eben solche, die für diese Taten sehr gut geeignet sind.

Bei genauer Betrachtung stellt sich fatalerweise jedoch schnell heraus, dass fast alle Gegenstände dafür taugen. Autos sind vorzügliche und aufgrund ihrer häufigen Unfälle auch noch unauffällige Werkzeuge, jemanden – und sei es sich selber – zu ermorden; Messer, Äxte, sogar Gabeln sind dafür ebenso eindeutig nützlich wie Flaschen jeglicher Art, alle Gegenstände mit spitzen Enden, aber auch Gläser oder Geschirr, wenn man diese vorab in Scherben zerschlägt. Sogar Computer oder Smartphones wirken als Schlagwerkzeuge leicht tödlich, mit Verkehrsschildern kann man zuschlagen und stechen, Regale und andere Möbelstücke fallen gelegentlich um und zerschmettern Menschen.

Sehr gut, dies ist aus Lektüre und Betrachtung geläufig, funktionieren ebenfalls viele medizinische Instrumente, sie sind geradezu herausragend dafür gestaltet, jemanden zu töten – und in der Medizin reichen oft durchaus kleine Gegenstände dafür aus, man muss sie lediglich mit etwas füllen oder bestreichen, oder sie müssen an Elektrizität angeschlossen sein. Wobei übrigens insgesamt nicht allein harte und feste Dinge in diesem Kontext hilfreich sind, vielmehr die schönsten Schals oder Strümpfe gerne irgendwen erdrosseln, was wahrscheinlich auch mit den Beinen von modischen Hosen, den Ärmeln von Jacken oder mit schicken Röcken möglich sein sollte. Weich sind ebenfalls Kopfkissen und andere Zutaten, und auch sie können den Tod befördern, nun durch Ersticken. Recht unauffällig übrigens.

Doch, womöglich gibt es einige Objekte, obwohl gut gestaltet und an und für sich funktional, die als Mord-Instrumente schwierig einzusetzen sind. Wie mordet man mit einem Fußball oder – im Gegensatz zum Nagel –  mit einer Büroklammer oder dergleichen. Mit einer Lampe problemlos, mit einem Regenschirm auch, mit einem Sofa schon etwas schwieriger, gleichwohl immer noch vorstellbar – da kommt es wieder auf die Gestaltung an. Und auf die Handhabung, denn wahrscheinlich kann ein geübter Kämpfer sogar ein Blatt Papier als Waffe nutzen. Mehr noch: Leicht vorstellbar, dass sogar ein bestimmtes Zeichen oder Symbol als Mordwaffe dann funktioniert, wenn dieses präzise gestaltet ist und bei der betreffenden Person, die umgebracht werden soll, ein bestimmtes Trauma existiert, so dass jenes Zeichen einen tödlichen Herzanfall hervorruft oder diese in den Selbstmord stürzt. Ein Prozess, bei dem einer eventuell notwendigen Kontinuität zuliebe, gut geformte Internet-Auftritte und andere digitale Medien äußerst nutzbringend sind.

Das Pathos der „Guten Form“

Nun, wenn dabei stets die Gestaltung ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückt, dann geht es offenkundig um Design. Was sehr plausibel ist, redeten doch fast alle und sprechen noch heutzutage sehr viele von denen, die mit Design zu tun haben, so gerne von der Funktionalität, die geflissentlich zu gestalten sei. Über Ergonomie und Effizienz, über große Wirkung, Langlebigkeit oder eben auch – häufig genug der Grund für Mord – wirtschaftlichen Nutzen. Und wenn diese Faktoren erkennbar eingelöst sind, dann nennt man das mit unausweichlich moralischem Pathos „Gute Form“ oder „Gutes Design“. Kein Ausweg: Das Wort „Gut“ in diesem Zusammenhang meint zwangsläufig eine moralische Wertung, lobt die Funktionalität und deren Implikationen als gesellschaftlich wertvoll. Einfach so, an und für sich. Nämlich ohne jegliche Rücksicht auf die innere Widersprüchlichkeit dessen, was man als „funktional“ so bezeichnet, und blind gegenüber jeglicher Reflexion der lebendigen Auswirkungen solch funktionaler und noch so „gut“ gestalteter Produkte als höchst ambivalent. Denn Funktionalität läuft nicht einseitig ab, sondern – wie alles andere auch – im offenen Rennen der Gegensätze gesellschaftlicher Intention und Wirkung.
 
Schöner Morden?

Übrigens gilt dies auch für die ansonsten mit Design so gern verknüpft denkbare Kategorie der Schönheit. Denn einerseits hindert die Schönheit nicht daran, die als so schön empfundenen Dinge brutal zu gebrauchen, und andererseits kann man gewiss unterstellen, dass gar als besonders schön geltende Gegenstände umso lieber für Mord und Todschlag benutzt werden. Irgendein Mythos, und sei es der von Schönheit oder der Pragmatismus von Funktionalität, qualifiziert das Produkt eher für die Tat. Zweifellos drängt sich an dieser Stelle die Frage auf, ob man Gegenstände möglicherweise so gestalten kann, dass diese zum Auslöschen von Leben nicht taugen. Doch das ist ebenso spannend wie äußerst schwer zu beantworten. Dazu müsste erst einmal das Problem in den Fokus der Debatte geraten. Wovon wir weit entfernt sind.

Auch Waffen basieren auf Design

Denn das Problem, das hier beschrieben wird, findet ja noch eine ganz andere Perspektive: Auch alle ausdrücklich als Waffen zu nutzenden Gegenstände, Zeichen oder Medien basieren auf Design. Jedes Gewehr, alle Pistolen, sämtliche Bomben, Tretminen und andere solche Dinge, existieren nur aufgrund von Ingenieurswesen und von Gestaltung. Ebenso Militär-Flugzeuge, Panzer, Drohnen und selbstverständlich auch die Instrumente, diese zu steuern. Dies gilt nicht minder für das gesamte Software-Design, das man braucht, diese herzustellen und handeln zu lassen.

Es gehört immerhin zum Allgemeinwissen, dass die Entwicklung von Hoch-Technologie allemal zuerst im militärischen Bereich finanziert, ausgedacht, formuliert und umgesetzt wird. Nur sollte man dies wenigstens gelegentlich angesichts dessen, was als Wirklichkeit wahrgenommen wird, bedenken und in den Konsequenzen analysieren. Selbst noch der mittlerweile von der Automobil-Industrie artikulierte Jubel über die Zukunft selbstfahrender Autos beruht schlicht auf Erfindungen und Gestaltungen, die für das Militär global zuerst entwickelt wurden. Und dabei sind Designerinnen und Designer substanzielle Gewährleister von Qualität und somit ebenfalls von Funktionalität und auch einer gewissen Attraktion, denn „schön“ soll das schon sein, was da töten soll.

Nicht minder ist dies zu berücksichtigen, wenn man bedenkt, dass alle diese Produkte, deren essenzielle Funktion die Tötung von Menschen bedeutet, auch attraktiv verpackt sind und dass dafür Werbung und Verkaufsbroschüren gestaltet werden. Das ist ein völlig normaler Markt mit den üblichen Bedingungen. Also ein großes Feld für Design.

Wozu auch noch gehört, dass sowohl jene Unternehmen, die weltweit das fabrizieren und vermarkten, als auch die Organisationen, die das benutzen – also Armeen, kriminelle Vereinigungen, Terroristen und dergleichen – niemals umhinkommen, sich durch Corporate Design als solche darzustellen und auszuzeichnen. Man muss sie doch voneinander unterscheiden können, und sie, diese Organisationen oder Organe, sind auch noch stolz auf sich, auf ihre Existenz und Taten.
 
Wobei man sogleich eingestehen muss, das in gewisser Weise das Konzept von Corporate Design, heutzutage unausweichlich für Unternehmen zur Selbst-Behauptung und  -Darstellung im Markt, im Militär seinen Ursprung findet. Eben in den Uniformen und Fahnen, mit denen sich die einzelnen Gruppierungen (nationalen Mächte, Organisationen, herumstreunenden Gruppen und dergleichen) untereinander und gegenüber den Feinden kenntlich machen wollten und mussten. Was durchaus schon beizeiten auch dazu führen konnte, gelegentlich mal das Corporate Design einer anderen Gruppe vorübergehend zu klauen, um damit, also mit Branding-Konfusion oder  -Adaption, hinterrücks zuschlagen zu können.

Branding für die Bundeswehr

Gewiss wäre an dieser Stelle von sehr großem Interesse, die Namen jener Design-Studios oder Designerinnen und Designer zu nennen, die an solchen intendiert und ausdrücklich zur Tötung von Menschen gestalteten und produzierten Instrumenten beteiligt sind. Doch leider sind alle Versuche, diese herauszufinden, bisher kläglich gescheitert; lediglich für die italienische Waffenschmiede „Beretta“ konnte vor einigen Jahren der Designer ermittelt werden, und es war fast allgemein bekannt, dass ein ziemlich berühmtes Hamburger Design-Studio, welches ansonsten für Mode-Labels arbeitete, zuständig war für das Branding der deutschen „Bundeswehr“. Tatsächlich passiert in diesem Bereich etwas, das ähnlich aus der Architektur bekannt ist, denn dort findet man kaum die Namen jener Architektur-Büros, die verantwortlich sind für grausame Wohngebiete und hässliche Eigenheime.
 
Denn auch dies ist evident: Jener Widerspruch zwischen offiziell erstrebtem Ansehen und teils grässlicher Wirklichkeit betrifft nicht allein das Design. Nur stößt dies im Design (anders als in der Architektur, wenngleich durchaus vergleichbar) auf das merkwürdige Phänomen, dass dies so gravierende Problem innerhalb von Design ebenso wenig wie in den entsprechenden Magazinen oder auch überhaupt in einer allgemeinen Öffentlichkeit erörtert wird. Dabei wäre so wichtig, endlich auch dieses Design mit all seinen Konsequenzen, Wirkungen und insbesondere aktuellen Erfolgen zu verstehen. Denn erst dann wird es Selbstbewusstsein und kritische Kompetenz generieren.

Michael Erlhoff

Er ist Autor, Design-Theoretiker, Unternehmensberater, Kurator und Organisator; einst CEO des Rat für Formgebung, Mitglied des Beirats der documenta 8 und Gründungsdekan (und dann bis 2013 Professor) der Köln International School of Design/KISD. Erlhoff war Gründer der Raymond Loewy Foundation, ist Gründungsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Designtheorie und -forschung und leitete als Gastdozent Projekte und Workshops an Universitäten in Tokio, Nagoya, Fukuoka, Hangzhou, Shanghai, Taipei, Hongkong, New York und Sydney. Seit 2016 lehrt er als Honorarprofessor an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig.