top
Küchen, Kanäle und ganz viel Ki
Von Thomas Edelmann | 23.04.2014
Jede Menge Neuheiten auf der EuroCucina 2014: So versah Schiffini die Küche „Pampa“ von Alfredo Häberli mit neuen Add-ons wie dem roten Stehtisch. Foto © Schiffini

Pausenlos neue Möbel auf den Markt bringen, mag ja noch angehen. Aber jedes Jahr technische Errungenschaften, Raumkonzepte und Küchenmodule neu entwickeln, das erscheint, zumindest aus der Perspektive des Beobachters, als Ding der Unmöglichkeit. „Macht langsam“ ist seit langem die Devise des Designers Peter Raacke. Oft schließt er dann ein ebenso entschiedenes „aber macht!“ an. Innovation, ja bitte! Reist man mit dieser Grundhaltung zur EuroCucina nach Mailand, die alle zwei Jahre parallel zum Salone del Mobile stattfindet, wird man überrascht sein, wie viel Neues es doch wieder zu sehen gibt. Messe und Stadt hängen in Sachen Küche eng zusammen, sie sind stärker verwoben als sich dies etwa ein Besucher der Kölner „Passagen“ vorstellen kann. Einige der angesehensten Marken wie Boffi, Bulthaup oder Poggenpohl halten sich traditionell dem Getümmel des Messegeländes fern und sorgen lieber in eigenen Palazzi und Showrooms für Gedränge. Andere, meist einheimische Marken, teilen ihre Aktivitäten zwischen Messe und Fuori Salone auf. Aber auch unerwartete Akteure aus der Erlebniswelt rund um Küche und Essenszubereitung sowie -Präsentation sind an vielen verspielt-versponnenen Außenposten präsent.

Wie ein eingefrorener Blitz: „Sharp“ von Daniel Libeskind für Varenna. Foto © Poliform/Varenna

Beginnen wir auf der Messe und dort mit den Küchenmöbeln. Manche Hersteller wie Varenna, die Küchenmarke von Poliform, geben am Eingang eigene Tickets für Besucher aus, um den Andrang zu kanalisieren. Das Prozedere sorgt zwar für Zeitverlust, aber auch für gesteigerte Attraktivität. Was es dann hinter der Zutrittssperre zu sehen, zu befühlen und vor allem – zu fotografieren gibt, ist oft wenig spektakulär. Die wichtigste Neuheit heißt „Phoenix“, ist so minimalistisch, wie sich das für Varenna gehört, bietet eine große Bandbreite an Materialien und Oberflächen und hat eine 6 Millimeter dünne Arbeitsplatte. Auf dem Stand dominieren dunkle Holztöne und gebürsteter Edelstahl. Die spektakuläre Neuheit findet sich dagegen im Stadtteil Brera, an der Piazza Cavour im gemeinsamen Showroom von Poliform und Varenna. Dort stehen die Küche „Sharp“ und der gleichnamige Schrank von Daniel Libeskind. Die Kücheninsel aus Corian mündet in einen auskragenden Tisch, der sich wie ein eingefrorener Blitz durch den Raum zieht. Das Element ist Erkennungszeichen des Architekten, der ansonsten mit bewährten Komponenten arbeitet, etwa den elektronischen Dornbracht-Armaturen „eUnit“ und „Lot“.

Eine ganze Messe voller „Ki“: Die gleichnamige Küche ist von Nendo/Oki Sato für Scavolini. Foto © Scavolini

Taucht man dagegen ein in die Welt von Nendo, dem japanisch-kanadischen Designer Oki Sato, der sein Büro in Mailand hat, stößt man in der kontemplativen Atmosphäre der Modemarke Cos (einem Ableger von H&M) auch auf den neuesten Entwurf der Küche namens „Ki“, die Nendo für die italienische Marke Scavolini entworfen hat. Hier ist sie im Modell zu sehen, auf der EuroCucina in originalem Format. Im Japanischen, so erklärt Sato, hat „Ki“ verschiedene, fast schon gegensätzliche Bedeutungen. Es bedeutet ebenso „Holz“, „Funktion“,„Technologie“ oder auch „Container“ und letztlich – man könnte es nicht besser ausdenken – auch „Gefühl“ und „Emotion“. Eine ganze Messe voller „Ki“ also! Letztlich besteht Nendos Küche aus „Untertasse und Tasse“ wie er es ausdrückt. Hölzerne Regale und ein organisch geformtes Element, das verschiedene Funktionen aufnimmt: Es kann als Kochstelle dienen, als Bassin – vergleichbar den Starck-Bädern für Duravit. Oder als Stauraum für Utensilien, die leicht zugänglich sein sollen. Zugleich bedeuten die offenen Stauräume und Rundungen, die auf gerade Regalböden treffen, eine hohen Reinigungsaufwand. Der Designer verspricht sich vor allem visuelle Leichtigkeit von dem Konzept, das ein wenig an die veredelte Version einer improvisierten Studentenküche erinnert. Auch fürs Bad hat Sato „Ki“ durchgespielt. Dank der Zusammenarbeit mit dem Hersteller Scavolini soll das Programm erschwinglich sein.

Auf dem Freigelände des Triennale-Gebäudes wurde die Outdoor-Küche „Open“ von Piero Lissoni für Boffi gezeigt. Foto © Thomas Edelmann

In anderen Sphären bewegt sich Boffi. Auf dem Freigelände hinter dem Triennale-Gebäude steht ein zum Himmel offener Pavillon, in dem bei schönstem Mailänder Frühjahrswetter die Outdoor-Küche „Open“ von Piero Lissoni zu sehen ist. Die meistdiskutierte Küche der Messe ist allerdings nicht hier, sondern im weit verzweigten Boffi-Showroom der Via Solferino zu sehen. Es ist nicht der breite Schrank mit Türen aus „natürlich gealtertem Fichtenholz“, ebenfalls von Lissoni, auch nicht seine anderen durchdachten Neuheiten für die Traditionsmarke, sondern es ist das Programm „Salinas“ von Patricia Urquiola, das Küchenexperten umtreibt. Die Küche – für die Wand und als Insel konzipiert – besteht aus einer sichtbaren Rohrstruktur, die mittels eines Technikkanals alle elektrische Versorgung aber auch Wasserver- und Entsorgung zentral organisiert.

„Salinas“ von Patricia Urquiola für Boffi war das Highlight der Messe: Die Küche besteht aus einer Rohrstruktur für Elektrik und Wasser. Foto © Boffi

Die Fronten mit Rahmen aus Aluprofilen haben unterschiedliche Füllungen und wurden in der Ausstellung mit eindrucksvollen Metalllacken präsentiert. Als zu gefällig wurden vor allem die abgerundeten Halbinseltische (wahlweise Olivesche oder Nussbaum) diskutiert. Die dekorierten Partien der Küche, die Urquiola besonders wichtig waren, erregen Kontroversen. Dabei ist der Herstellungsprozess sehr aufwändig, wie Boffi-Vorstand Roberto Gavazzi betont. Denn Abriebfestigkeit und Unempfindlichkeit der durchgängig dekorierten Arbeitsplatten konnte nur ein besonderer Materialmix sicherstellen. Dabei wird ein Granulat aus gemahlenem Glas von Bildschirmen auf den Platten aus Vulkanstein aufgebracht und eingebrannt. Die erhabene Struktur, die entsteht, ist ungewöhnlich aber reizvoll. Schwierig wird’s, sobald in die Fläche etwa ein Induktionskochfeld bündig eingelassen wird. Denn das rautenförmige Dekor wird so unschön unterbrochen. Jedenfalls ist es Urquiola mit ihrer ersten Küche gelungen, neue Akzente zu setzen, auch wenn die unvermeidliche Sinnfrage sich ebenso stellt, wie die nach dem Reinigungsaufwand. Allerdings sind das Debatten, die wohl in einer gewissen Preiskategorie nicht mehr geführt werden. Ohnehin ist die Küche auf dem Weg vom Gebrauchs- zum Plaudergegenstand. Man redet darüber und das ist fast schon besser als Kochen.

„Solitäre“ bei Bulthaup: Kreuzförmige Scheren aus Aluprofilen sind „Vorbereitungselement“, „Präsentationselement“ oder „Wandregalelement“. Foto © Thomas Edelmann

Ebenso verhält es sich mit den „Solitären“, die Bulthaup in seinem Showroom in der Via Durini präsentiert. Ausgangspunkt ist eine kreuzförmige Schere aus Aluminiumprofilen. Je nach Öffnungsgrad können daraus Küchen- und Einrichtungselemente für unterschiedlichste Zwecke werden. Entwickelt wurde die Serie von Inhouse-Designern, die nicht genannt werden. Die Abdeckung des Scherenkreuzes ist rund und nimmt den Bulthaup-Schriftzug auf. Wahlweise können etwa ein „Vorbereitungselement“ oder ein „Präsentationselement“ (vulgo: eine Vitrine) entstehen. Die präzise verarbeiteten Strangpressprofile nehmen Tablare aus Aluminium, Nussbaum oder Eiche mit Glasaufsatz auf. Seitliche Führungsflügel bestimmen, in welche Richtung sich die Elemente öffnen lassen. Auch ein „Wandregalelement“ gehört zum neuen Solitärprogramm. Es wächst – unten schmal, nach oben hin immer breiter – gleichsam aus der Wand und teilt konstruktive Details mit den Solitären. Diese nehmen das vor zwei Jahren neu vorgestellte Bulthaup-Ordnungssystem auf. Alles in allem zeigt sich hier ein vergleichsweise hoher Materialaufwand für alle, die gern mit wenigen Dingen leben, diese aber umso besser zur Geltung bringen möchten. Ein weiterer Höhepunkt ist der „Kochtisch“ mit Induktionskochfeld und analogen Bedienelementen. Vergleichbare Konstruktionen sind bekannt, allerdings nicht in der hier gezeigten Kombination aus Holz, Aluminium und Beton. Wie analoge Reize in einer digitalen Welt weiter entwickelt werden können, ist ein Thema von Bulthaup-Geschäftsführer Marc O. Eckert. Ihm geht es um Werte und Bedürfnisse, vor allem aber auch um Haltung. Das bislang bekannte Bild der Küche werde mit den Solitären aufgebrochen, sagt Eckert.

Bäckermeister Ingo Rasche, Vorreiter des „Slow Baking“, am Stand von Gaggenau. Foto © Gaggenau

Auf der Messe geht Gaggenau einen Schritt weiter. Das Team um Chefdesigner Sven Baacke ist in die Kommunikation einbezogen. Die Produkte erscheinen auf dem Messestand, der diesmal als großer Innenhof gestaltet ist, eher beiläufig. Sie werden ohnehin von einem Großteil der Branche in die Luxusküchen eingebaut. Gaggenau ist es gelungen in dieser Markt-Kategorie zum Standard zu werden. Umso lässiger kann man sich präsentieren. Die Top-Marke der Bosch-Siemens-Hausgeräte hat sich „kulinarische Botschafter“ eingeladen: Die Winzerin Elisabetta Foradori, die mittelalterliche Teroldego-Reben anbaut, den Bäckermeister Ingo Rasche, einen Vorreiter des „Slow Baking“ und den Meisterkoch Cesare Casella.

Klopf, klopf: Bei Miele öffnet sich die neue Spülmaschine der 6000er-Serie nach Anklopfen. Foto © Miele

Je eine Seite des Standes bespielen die Botschafter, auf der vierten werden neue Gaggenau-Kühlschränke präsentiert, die schon durch ihre Wandintegration unauffällig wirken. All das vermittelt Anziehungskraft und Gelassenheit zugleich, nicht häufig in der Küchenbranche 2014. Ebenfalls selbstbewusst präsentiert Miele die Varianten seiner neuen 6000er-Serie. Eine Spülmaschine zum Anklopfen (dann öffnet sie sich am Ende des Spülvorgangs) und ein Induktionskochfeld mit eingebautem Wok gehören zu den wichtigsten Neuheiten.

Im Ballsaal des Palazzo Clerici zeigt das israelische Designerpaar Raw Edges, was man aus den Mineralplatten von Caesarstone alles machen kann. Foto © Caesarstone

Was gibt es sonst noch? Im Ballsaal des Palazzo Clerici, einem noblen Stadtpalast aus dem 17. Jahrhundert zeigt das israelische Designerpaar Raw Edges, was man aus den Mineralplatten von Caesarstone alles machen kann, außer Zutaten für eine modulare Küche: Unbekümmert frästen die Designer Ausschnitte für Stauräume – vom Schrank bis zum mehrstöckigen Eier-Depot – in das Plattenmaterial oder Kreiselemente für eine Zitruspresse. Das üblicherweise nahtlos verarbeitete Material stückten sie mit sichtbaren Zickzacknähten an. Wer will, kann nebenan Tiepolos Deckengemälde ansehen, oder das Bad-Möbel, das Raw Edges geschaffen hat, mit integriertem Plattenspieler. Armani/Dada präsentiert mit „Slide“, eine Verbindung aus einer riesigen Marmor-Platte, die sich öffnen lässt, um darunter Kochfeld und Stahlarbeitsplatte freizugeben, beziehungsweise zu verstecken. Der deutsche Designer Norbert Wangen hat für vergleichbare Aufgaben elegantere Lösungen gefunden. Hersteller wie Leicht und Alno zeigen verfeinerte Oberflächen. Alno hat die Schweizer Stahlküchen-Marke Forster übernommen, was wieder einmal für rote Zahlen sorgt, aber auch für die neue Marke Alnoinox. Die Mischung aus alten, verwitterten Hölzern und neuen Küchenmöbeln hat wiederum Boffi sehr viel stimmiger in Szene gesetzt als es hier geschieht. Immerhin auch in Deutschland hat man den Reiz der Kontraste entdeckt.

Gulio Iacchetti zeigt eine höhenverstellbare Inselküche für Cleanup. Rechts: die neue „P’7350“ aus dem Porsche Design Studio für Poggenpohl. Foto © Thomas Edelmann

Poggenpohl (traditionell nicht auf der Messe) zeigt im Showroom die neue „P’7350“ aus dem Porsche Design Studio. Die Küche definiere sich über die Horizontale, heißt es. Die seitlich ausgreifenden Linien der im Vergleich zur ersten Porsche Design-Küche etwas bescheideneren Modellreihe, werden durch so genannte „Blades“ –massive Designblenden – „optisch miteinander verbunden“.

Etwas improvisiert, aber durchaus charmant präsentiert sich der von Gulio Iacchetti entworfene Prototyp einer mehrfach höhenverstellbaren Inselküche „Convivio“ für die japanische Marke Cleanup, die er in der Via Garibaldi zeigt. Ein paar Meter weiter bei Valcucine entwerfen und bauen elf Designer in Rahmen eines Workshops vor Ort Verbesserungen für die Küche „Meccanica“ der Subbrand Demode engineered by Valcucine. Das sieht fast schon wie Kochen aus, auch wenn dazu Computer, 3D-Drucker, Granulat und traditionelle Bohrmaschinen gebraucht werden.

Und wer genug von den Küchen hat, der geht auf die Straße und praktiziert am mobilen Stand von „Eataly“ Fastfood der gehobenen und teilautomatisierten Art. Digital wird ein Öko-Burger an einem Touch-Bildschirm ausgewählt. Bar oder per Karte wird über vorbereitete Schlitze bezahlt. Und richtige Menschen händigen einem umgehend das schmackhafte Fleisch-Brötchen aus. Fast wie zu Hause in der Küche.

www.poliform.it
www.scavolini.de
www.boffi.com
www.bulthaup.de
www.gaggenau.com
www.miele.de
www.caesarstone.com
www.leicht.com
www.alno.de
www.poggenpohl.com
www.cleanup.jp
www.valcucine.com


MEHR auf Stylepark:

Von der Leichtigkeit des Kochens: Die alle zwei Jahre parellel zur imm Cologne stattfindende „Living Kitchen“ präsentierte Technik als Hilfe zum besseren Leben.
(22. Januar 2013)

Auf dem Weg zur idealen Küche: Wer innovative Küchen sehen wollte, durfte sich auf der EuroCucina 2012 nicht auf das Mailänder Messegelände beschränken.
(5. Mai 2012)