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Kurator mit Herz
Im Gespräch: Sebastian Bergne
26.09.2013
„Die Leute sollten sich ihrer Meinung über Produkte bewusster bilden.“ Rechtes Bild: Sebastian Bergnes „Curl“ für Luceplan. Foto © Studio Sebastian Bergne

Lampen, Stühle, Schneidebretter. Sebastian Bergnes Portfolio ist vielfältig, seine Entwürfe überzeugen oft durch Cleverness. In letzter Zeit macht der in London ansässige Designer allerdings mehr und mehr als Design-Kurator von sich reden. Daniel von Bernstorff, Stylepark, sprach mit dem Multitalent über seine neue Rolle als Kurator der „Solutions“-Sonderschau auf der Konsumgütermesse Ambiente in Frankfurt, für die Ausstellung „Design with heart“ anlässlich der Design-Biennale in St. Etienne und über sein Faible für traditionelle Manufakturen.

Daniel von Bernstorff: Was ist der Hintergrund der “Solutions”-Ausstellung? Und warum sind Sie in die Rolle des Kurators geschlüpft?

Sebastian Bergne: Die Idee ist in einem Gespräch mit Nicolette Naumann (Vizepräsidentin der Tendence und Ambiente der Messe Frankfurt, Anm. d. Red.) entstanden: Es gibt viele Manufakturen, die für ihren Markt produzieren und von den herkömmlichen Designpreisen nicht erfasst werden, weil in ihrem speziellen Markt oder in ihrer Kultur Design nicht so viel bedeutet. Daher haben wir diese Auswahl getroffen. Es ist kein Preis, und jeder der berücksichtigt werden will, kann seine Arbeit einreichen. Es muss nur ein im letzten Jahr entwickeltes Produkt sein. Der Schwerpunkt liegt weniger auf Ästhetik. Es geht um Funktionalität, um Praktikabilität und die Verwendung von Materialien.

Die Ausstellung wirkte sehr heterogen, die Filme spielten jedoch eine wesentliche Rolle. Es war erstaunlich, wie die Leute von den Filmen in den Bann gezogen wurden.

Bergne: Wir haben uns überlegt: “Okay, wie präsentieren wir das?”. Die meisten Leute betrachten Design als eine funktionale oder praktische Optimierung. Daher kamen mir diese TV-Home-Shopping-Kanäle in den Sinn, man geht in den Supermarkt und Leute demonstrieren bestimmte Produkte. Die Filme sind außerordentlich wichtig, wirklich entscheidend. Jeder Film ist auf die genau gleiche Weise aufgenommen, wie eine Art Standardformat.

Jedes Produkt soll das Alltagsleben oder bestimmte Tätigkeiten erleichtern.

Bergne: Es ist ganz demokratisch. Jedes Produkt wird auf die gleiche Weise präsentiert, für jedes gab es einen Film. Eine ziemlich geradlinige und gleichberechtigte Angelegenheit. Die Leute kommen dann und urteilen selbst. Einige sagten zum Beispiel “Das funktioniert garantiert nicht”. Das ist gut so, denn ich finde es wichtig, dass die Leute eine klare eigene Meinung über Produkte haben. Häufig haben die Konsumenten zu wenig Selbstvertrauen, wenn es darum geht, Dinge auszuwählen.

Wie ist das mit den anderen Projekten, bei denen Sie als Kurator beteiligt waren?

Bergne: Wir haben kürzlich eine große Ausstellung mit dem Titel “Design with heart” kuratiert, das war im März zur Design-Biennale in St Etienne. Ich wollte zeigen, warum und auf welche Weise Dinge wertvoll sind. In diesem Fall habe ich ein breites Spektrum von 80 Objekten präsentiert, die ich aus unterschiedlichen Gründen für wertvoll erachte.

Was haben Sie für "Design at heart" ausgewählt?

Bergne: Auf der einen Seite wurden Projekte zum Thema "Gemeinsamkeit" präsentiert. So gab es zum Beispiel einen Ehering, dessen Innenseite mit einem Abdruck der Haut des Partners versehen war. Das traditionelle Symbol der Ehe, aber ganz zeitgemäß. Überdies haben wir Flaggen von Ländern gezeigt, die erst in den letzten Jahren entstanden sind. Die Flagge ist das stärkste Symbol einer Gemeinschaft, das es gibt. Maarten Baas hat eine Tischdecke für einen nationalen Feiertag in Amsterdam letztes Jahr hergestellt. Jeder in Amsterdam war zu einem Essen eingeladen und auf der Tischdecke stehen die Namen aller Einwohner. Sie ist riesig! Auf der anderen Seite des Spektrums gab es Sportartikel und Spiele. Außerdem intelligente Koch- und Tischobjekte.

Also eine sehr vielfältige Auswahl, kein Design im klassischen Sinne.

Bergne: Wir hatten zum Beispiel einen Stuhl der historischen franzöischen Möbelfirma “Tolix”. In diesem Fall ging es vielmehr darum, dass er die Geschichte des Unternehmens repräsentiert. Vor ein paar Jahren gab es finanzielle Probleme, ein Mitglied der Geschäftsführung hat die Firma dann gerettet. Durch ihre Intelligenz und Zusammenarbeit mit “Normal Studio” haben sie das Ruder herumgerissen. Die Gestaltung des Ortes war ebenfalls sehr wichtig. Alle Exponate wurden auf großen runden Tischen gezeigt. Der runde Tisch hat als Symbol für Gleichberechtigung wesentliche Bedeutung. Außerdem gab es eine runde Bar, an der sich die Leute treffen und diskutieren konnten. Ich hoffe, dass die Ausstellung den Leuten geholfen hat zu erkennen, warum sie bestimmte Dinge mögen oder nicht mögen.

Gab es dort auch Produkte von Ihnen?

Bergne: Nein, keines meiner Produkte war in der Ausstellung zu sehen, das wäre nicht richtig. Meine Ideen und mein gestalterischer Ansatz wurden in einem Einführungsfilm am Eingang der Ausstellung gezeigt.

Ist die Arbeit als Kurator neu für Sie?

Bergne: Ja, völlig neu. Es ist erst zwei Jahre her, dass man mich bat, kuratorisch tätig zu werden und ich muss sagen, dass es mir ziemlich viel Spaß macht. Mit 20 Jahren Berufserfahrung bin ich jetzt vielleicht qualifiziert genug, um meine Meinung zum Besten zu geben. [lacht] Aber ich bleibe natürlich in erster Linie Designer.

Um was geht es bei Ihrer Online-Plattform “Spunique”?

Bergne: Spunique ist ein Online-Projekt, das ich vor ungefähr zehn Jahren ins Leben gerufen habe. Eigentlich wird es bald verschwinden, weil ich nicht genügend Zeit habe, um der Sache gerecht zu werden. Es brachte Designer und Menschen zusammen und bot originelles Design online zum Verkauf an. Dieses Format hat sich seitdem ziemlich verbreitet, daher habe ich meine Energie vor ein paar Jahren in einen Online-Shop gesteckt, über den ich nur Produkte verkaufte, die ich entworfen habe.

Können Sie uns erzählen, was Ihr letztes "Design mit Herz" war?

Bergne: Ich habe kürzlich gesehen, dass ihr “Curl”, die neue Leuchte, die ich für Luceplan entworfen habe auf eure Seite gestellt habt. Das Projekt begann interessanterweise mit der Anwendung von einer LED-Mikrolichtquelle. Der Nutzer kann die Farbe des weißen Lichts anpassen. Obwohl es eine Leuchte für den Tisch ist, weist sie nicht die herkömmliche Typologie der Tischlampe auf. Das Ergebnis ist eine Art selbsterhellende Formgebung. Ich mochte, dass dieses Projekt mir Gelegenheit bot gestalterisch freier und anders arbeiten zu dürfen.

Gibt es ein Unternehmen, mit dem Sie gerne zusammenarbeiten würden oder etwas, was Sie liebend gerne tun würden?

Bergne: Im Moment interessiere ich mich sehr für "High-Technology". Das überrascht vielleicht, da einige meiner jüngeren Arbeiten als sehr analog bezeichnet wurden. Viele neue Produkte dieser Art haben sehr viel zu bieten, es ist jedoch schwierig, sie auf klare und sympathische Weise zu definieren, die menschlichen Werte fehlen. Ich glaube es wäre sehr interessant, zu versuchen, diese Low- und High-Tech-Produkte in zeitgenössischem Design zusammenzuführen.

www.sebastianbergne.com
www.biennale-design.com

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