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Mailand Marginalien
22.04.2015

Blau ist das neue Schwarz, Verlobte treffen sich morgens, Partys enden abrupt, ein Rat wird gesucht – und von Rem Koolhaas gibt es endlich eine Türklinke.

Es ist April, die Sonne lacht, wir sind in Mailand ¬– und es ist wieder Salone! In den Messehallen in Rho werden auf simplen Paletten oder vor marmorierten Stellwänden zahllose aktuelle Entwürfe und neue Kreationen internationaler Topdesigner präsentiert und Geschäfte gemacht. Drumherum aber, an den Rändern, bricht sich Überraschendes Bahn. Man trifft nette Leute und auf seltsame Dinge, es wird gefeiert und es blühen die Gerüchte. Das Stylepark-Team war mittendrin.

Jacke wie Vorhang

Raf Simons hat es vorgemacht: Der belgische Designer setzt die Stoffkollektion, die er für Kvadrat entwirft, auch für seine Mode ein. Klar, dass sich manche davon inspirieren lassen und sich von den Vorbilder lösen. Transferleistung lautet das Stichwort. Es könnte aber auch heißen: Das ist doch Jacke wie Vorhang.

Hirschdenkmal

Wenn Sie bislang nicht wussten, was Sie mit dem bestickten Sofakissen von Omma anfangen sollen, hier ist die Antwort: Der „Embroidery Armchair“ von Johann Lindsten, zu sehen bei Cappellini.

Rat gesucht

Die Österreicher spielten groß auf, die Franzosen fehlten nicht, die Holländer aktivierten ihren „stimuleringsfonds creative industrie“ – und die Dänen zauberten mit Hilfe von GamFratesi in ihrer Mindcraft-Schau gar eine wunderbare Spiegelfläche voller Design und Kunsthandwerk in einen Kreuzgang von San Simpliciano. Nationale Designförderung gab es zuhauf, was im Jahr der Expo kaum überrascht. Auch wenn man das in Frankfurt und Berlin nicht gern hören möchte, so muss die Frage doch erlaubt sein: Wo waren die Deutschen? Was macht eigentlich der Rat für Formgebung? Auf dessen Website ist schließlich noch immer zu lesen: „1953 auf Beschluss des Deutschen Bundestages als Stiftung gegründet, setzt sich der Rat für Formgebung mit seinen Wettbewerben, Ausstellungen, Konferenzen, Seminaren und Publikationen für gutes Design ein.“

Mona und Lisa

Als die große Leonardo-da-Vinci-Ausstellung im Palazzo Reale gleich neben dem „Duomo“ am Montagabend eröffnet wurde, gab es kein Durchkommen. Die Schlange wand sich über den ganzen Platz und nahm kein Ende. Auch wusste keiner, ob überhaupt noch jemand bis in die längst überfüllten Säle vorgelassen würde. Wir haben trotzdem nicht aufgegeben – und sind donnerstagfrüh zurückgekommen, um Zeichnungen zarter Frauengesichter, martialischer Kriegsmaschinen und „Johannes den Täufer“ zu sehen. Als wir dessen gen Himmel gerichteten Zeigefinger wiedersahen, fiel es uns (man verzeihe den Frevel) wie Schuppen von den Augen und wir wussten, Ferraristi aufgepasst, wo Sebastian sich den Vettel-Finger abgeschaut hat. Später trafen wir in der Stadt dann noch Mona und Lisa. Die beiden waren eigens aus ihrem Pariser Exil angereist.

Flachmann für den Hipster

„Ich liebe Radfahren und ich liebe Drinks“, erklärt der Designer Yorgo Tloupas. Wir auch. Deswegen finden auch wir Gefallen an dieser zweiteiligen Fahrradtrinkflasche. Jetzt muss man nämlich nicht mehr die zuweilen schwere Entscheidung treffen, ob man Whiskey oder Wasser in die Fahrradflasche füllen soll. Auch einen Gin Tonic kann man nun elegant am Ort der Radelpause mixen. Vielleicht ist es dann auch ganz gut, wenn das Rad keine Räder mehr hat.

Schlag die Taste

Wer schreibt, der sitzt für gewöhnlich. Was fehlt, ist Bewegung. Büroeinrichter sinnen zwar schon lange auf Abhilfe, nun aber gibt es tatsächlich Hoffnung. Studenten der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe haben im Rahmen des von USM-Haller initiierten Projekts „Rethink the Modular“ die ultimative Lösung gefunden. Ihr „Workout Computer“ sorgt unweigerlich für Gedankensprünge und hält ganz sicher den gesamten Körper fit. Auch wenn man etwas üben muss, bis man weiß, wo die Tasten sind, das Schreiben mit ordentlichem Punch hat Spaß gemacht.

Shared Euch weg!

Auf dem Pressefrühstück wurden die Airbnb-Gründer nicht müde zu betonen, ihre Zimmervermittlungsplattform bringe Menschen zusammen und ermögliche einzigartige Momente in einer globalen Community. Und um dieser Lebensgefühlkulisse noch den richtigen „Look“ zu verpassen, hat sich Fabrica vor den Karren der penetrant-flötenden Sharing-Economy spannen lassen und den wahrlich prachtvollen Palazzo Crespi mit DIY-Möbelchen und DIY-Kartoffeldruck-Jutesäckchen verunstaltet. Wie gut, dass Fotografieren verboten war, denn die visuellen One-Liner wären nicht einmal Instragram-tauglich gewesen.

Blau ist das neue Schwarz

Das beweisen Jaime Hayon und Stylepark-Gründer Robert Volhard inmitten von Jaimes blau-weißem Wunderland für den Automobilisten Mini. Aber Obacht bei der Wahl des Blaus: Es handelt sich nicht um jenes, das angeblich immer den bayrischen Himmel ziert, sondern um ein Blau, das Yves Klein geliebt hätte.

Sammelsurium

Ob designjunction oder DAMn-Magazine – nicht immer hält die Ausstellung, was der Name verspricht. Sagen wir es anders: Die Gefahr, dass ein rastlos-munteres Marketing etwas anpreist, was sich vor Ort dann als konzeptlos, in der Auswahl des Gezeigten beliebig, dünn und ziemlich überflüssig erweist, steigt. Rummel ist eines, Qualität etwas anderes.

Fetisch-Fest

Lack und Leder, Latex und Leuchtschrift, all das fand man bei Knoll International. Der Vorhang aus schwarzem Gummi erinnerte an die einschlägigen Technoclubs der 1990er in Berlin. Bei so einer Deko war es fast schade, dass es auf dem Messestand so gesittet zuging.

Türöffner Koolhaas

Auf der Architekturbiennale in Venedig im vergangenen Jahr wurde getuschelt: Sollte er, der große Rem Koolhaas, tatsächlich noch nie eine Türklinke entworfen haben, jenes kleine, doch fundamentale Element der Architektur? Jetzt wissen wir, das Fragezeichen, das in der Ausstellung „Elements of Architecture“ unter seinem Name stand, muss wohl als prospektives Marketing gewertet werden. Denn, er hat’s getan: Die kantigen Koolhaas-Klinke gibt es jetzt bei Olivari, ein zweiteiliges Universalstück, dass viele Materialkombinationen ermöglichen soll.

Eiszapfen zum Dessert

Ja, es war fast schon Sommer, und was macht man da in Italien? Klar, man schleckt leckeres italienisches Eis und genießt den frühlingsbedingten Klimawandel. Dem Hersteller dieses luxuriösen Stalaktiten-Leuchters war es drinnen wohl schon etwas zu warm. Aber weshalb serviert er nur Wassereis? Und was, wenn beim Dessert ein Eiszapfen auf die Tafel stürzt?

Verlobung am Morgen

Kaum ist die Messe eröffnet, schon kommt es am Stand von Kartell und vor marmorierter Wand zum Gipfeltreffen. Mit von der Partie: Claudio Luti, Chef von Kartell und bis vor kurzem noch Präsident von Cosmit und des Salone del Mobile, trifft den Architekten und Designer Piero Lissoni. Letzterer hat zum Reigen der Neuheiten den besonders leichten Armlehnstuhl „Piuma“ aus einem faserverstärkten Polymer-Komplex und das ausladende Sofa „Largo“ beigesteuert. Beide sind gut gelaunt und schlendern untergehakt über den Stand. Als wir die beiden um ein Foto bitten, bemerkt Luti lächelnd: „siamo fidanzati“ – Wir sind verlobt.

Techno barock

Auch bei Moroso haben die Kinder der Techno-Musik mit dem Barock gekuschelt. Allen voran David Adjaye mit seiner pompösen Sitzgelegenheit „Double Zero“, die eher wie ein billiger Traumstuhl aus dem Teleshopping wirkt. Immerhin, soviel stilistische Beliebigkeit muss man sich erst einmal trauen.

Lange Nächte, kurze Partys

Mailand während des Salone, das ist immer ein großer Zirkus. Tagsüber gibt es Neuheiten und Häppchen, nachts Partys und Prosecco. Allerdings fiel so manche Party diesmal recht kurz aus. Wallpaper Handmade schmiss seine Gäste am Dienstagabend radikal um 23 Uhr raus, am Mittwochabend lud Tom Dixon endlich zu seinem Konzert, das schon im vergangenen Jahr hätte stattfinden sollen, machte aber um 21 Uhr die Pforten dicht. War aber alles halb so schlimm. In lauen Nächten trifft man sich eh früher oder später vor der Bar Basso.


Alle BIlder © Stylepark – außer "Mona and Lisa" © Katja Silbermann