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FINDEISEN

Mehr Luft, mehr Architektur

Um gute Luft geht es Findeisen, denn schließlich ist Emissionsminimierung für das Unternehmen ein wichtiges Anliegen – wurden doch seine emissionsarmen Nadelvliese mit dem Öko-Gütesiegel „Blauer Engel“ ausgezeichnet. Und so verwundert der Titel des Events „Inside the Air“, zu dem Findeisen gemeinsam mit dem Elektroautohersteller Tesla und den Spezialisten für Verlegewerkstoff Wulff Architekten und Designern in den Hamburger Tesla-Showroom einluden, nicht: Im Mittelpunkt stand der Vortrag der amerikanischen Architektin Sheila Kennedy, die wie alle drei gastgebenden Unternehmen umweltfreundliche Ziele verfolgt.

Die Wahl der Referentin hätte nicht passender sein können: Die Architektin ist Gründerin des interdisziplinären Architekturbüros „KVA – Matx“, das nicht nur Architektur entwirft und realisiert, sondern auch intensiv an neuen Materialien forscht. Zudem lehrt Sheila Kennedy „Practice of Architecture” am MIT in Boston und wurde vom dem Magazin Fast Company als eine der wichtigsten Köpfe in Sachen Gestaltung benannt: Sie sei eine „einfühlsame und authentische Denkerin, die sich mit neuen Denk-, Arbeits-, Führungs- und Innovationswegen beschäftigt”. Mit Projekten wie dem C02-neutralen Gebäude „Soft House” in Hamburg fand KVA Matx auch in Europa große Beachtung. Das Wohnhaus, in Vollholzbauweise errichtetet und aus vier dreigeschossigen Wohneinheiten bestehend, besticht durch seine dynamische Textilfassade, die das Sonnenlicht auf flexible und intelligente Weise nutzt. Adeline Seidel hat mit Sheila Kennedy über ihre maßgeschneiderten, nachhaltigen Architekturkonzepte und ihre Forschung gesprochen.

Die Architektin Sheila Kennedy gründete das Architekturbüro „KVA – Matx“ und lehrt „Practice of Architecture” am MIT in Boston. Zum Vortrag im Hamburger Tesla-Showroom hat Findeisen mit dem Automobilhersteller und Spezialisten für Verlegewerkstoff Wulff Architekten und Designer eingeladen.
Foto © Sandra Jacques

Adeline Seidel: Ihre Architekturprojekte zeichnen sich zumeist dahingehend aus, dass man nicht auf technische Standardlösungen zurückgreift, um energieeffiziente Gebäude zu entwickeln, sondern immer wieder versucht, neue Wege zu gehen. Was war in diesem Zusammenhang Ihr bisher ungewöhnlichstes Projekt – und warum?

Sheila Kennedy: Angesichts der jüngsten Zusammenkünfte in Paris zum Thema Klimawandel wurde einmal mehr deutlich, dass Standardlösungen nicht der beste Weg sind. Wenn sie das wären, dann hätten wir wohl kaum mit den großen Problemen zu kämpfen, wie wir sie jetzt haben. Nachhaltige Architektur ist eine Frage der Technologie, aber sie erfordert auch einen Kulturwandel. Insofern finde ich nicht, dass unsere KVA Matx Projekte außergewöhnlich sind, nur weil sie – was Architektur und Umwelt betrifft – neue Denkansätze darstellen. Die Architektur war schon immer ein Mittel, um mit neuen Ideen zu experimentieren und die Gegenwartskultur zu beeinflussen.

Unter unseren Projekten mag ich vor allem diejenigen, die deshalb so viel Aufmerksamkeit erregen, weil sie tatsächlich sinnvoll sind! Durch eine spezielle, in die Architektur integrierte Beleuchtung wurde beispielsweise die Gezeitenströmung des East Rivers im öffentlichen Fährhafen von New York City sichtbar gemacht – es handelt sich um das erste Sensorsystem in einem öffentlichen Gebäude, das Umweltdaten auswertet. Zuvor haben die Leute kaum bemerkt, dass der Fluss ständig in Bewegung ist und welche Bedeutung dies auch für die Wasserqualität in Manhattan hat. Oder, es spricht doch nichts gegen eine wegwerfbare Infrastruktur, wenn sie fast nichts kostet, wie im Falle der „Pop-up“- Solarstraßenleuchten aus Pappe und biologischen Materialien, die wir in Indien mit Selco und der Lemulson Foundation entwickelt haben. Die Leuchten können überall dort aufgestellt werden, wo sie gerade gebraucht und dann mit nach Hause genommen werden. Und mit gefalteter, reflektierender Folie lassen sich Lichtleiter herstellen, die Sonnenlicht in das Innere von Gebäuden bringen, wie wir es für 3M umgesetzt haben. Ich wollte diese Idee schon immer in einer Produktionshalle oder Fabrik ausprobieren…

Sie bauen in Europa und in den Vereinigten Amerikanischen Staaten. Wie unterscheiden sich die Auffassungen von Architektur, wenn es darum geht, nachhaltige Gebäude zu entwickeln? Und wie wird das später in der Architektur sichtbar?

Sheila Kennedy: In Europa ist die Umwelt und die Erhaltung der historischen Bausubstanz in den Städten ein von allen geteiltes Anliegen. Das ist bemerkenswert. In den USA liest man häufig Nachrichten über die europäische Krise, es geht dabei immer um Differenzen und Unstimmigkeiten. Doch das Bestreben, den nachfolgenden Generationen etwas von Bedeutung zu hinterlassen, Städte und öffentliche Räume zu erhalten und zu verbessern sowie die Natur zu respektieren, entspringt gemeinsamen Wertvorstellungen, wie ich sie vor allem in Europa angetroffen habe. Europa hat sich der Idee des nachhaltigen Bauens geöffnet. Das erlaubt mehr Innovation und eine qualitativ hochwertigere Architektur.

Das „Soft House“ von KVA – Matx Architekten wurde im Rahmen der IBA Hamburg gebaut. In Vollholzbauweise erstellt, nutzt die dynamische Textilfassade des Baus das Sonnenlicht auf flexible und intelligente Weise. Jede der vier familienfreundlichen, dreigeschossigen Wohneinheiten hat einen eigenen Garten. Foto © Michael Moser

Brauchen nachhaltige Gebäudekonzepte mehr oder eher weniger Technik?

Sheila Kennedy: Das ist eine gute Frage, die natürlich davon abhängt, wie man „Technologie“ definiert. Wenn wir sie als Equipment, Maschinen und Technik betrachten, dann trifft es sicher zu, dass sehr viele Architekturen völlig „übertechnologisiert“ wurden. In den USA wurde „Nachhaltigkeit“ im letzten Jahrzehnt vorwiegend über „Energieeffizienz“ definiert – das heißt, es stand immer die Frage im Vordergrund, wie viel Geld oder Energie der Besitzer mit einem solchen Gebäude einsparen kann. Diese Diskussion dreht sich vor allem um Kennzahlen und nicht um den wünschenswerten Wandel der Konsumkultur. Das heißt, der Fokus wurde einzig auf die „Technologie“ in nachhaltigen Gebäuden gerichtet.

Bei Nachhaltigkeit geht es aber eher um eine Lebensweise; es braucht lediglich Vorstellungskraft und den Willen, alte Gewohnheiten zu hinterfragen und etwas Neues zu versuchen. In unserer Arbeit bei KVA Matx versuchen wir, die Beziehung zwischen Architektur, urbanem Charakter und Technologie neu zu definieren, insbesondere im Hinblick auf saubere Energietechnologie. In den kommenden Jahren werden wir einen Trend erleben, der Technologie mit Kultur auf sehr ungewöhnliche Weise verbindet. Um Probleme zu lösen, brauchen wir vielleicht gar keine neuen Technologien, vielmehr genügt es unter Umständen, sich auf altbewährte Entwicklungen zu besinnen, die nicht als „Technologie“ bezeichnet wurden – wie beispielsweise Materialien, Systeme und Techniken, die heute noch Sinn machen. Dazu gehört zum Beispiel auch Fahrrad fahren, in der Stadt frische Lebensmittel genießen oder auch die Maker-Bewegung.

Für unser „Soft House“-Projekt in Hamburg wurden wir beauftragt, ein neues Modell für eine CO2-arme, urbane Lebensform zu entwickeln. Das „Soft House“ verdeutlicht, wie die häusliche Infrastruktur tatsächlich „soft“ werden kann, nämlich durch eine Bauweise mit klimaneutralen Holzplanken, die von einem Bauunternehmen vor Ort stammen und die Nutzung sauberer Energie durch eine dynamische Textilfassade, die nach außen auch das Aushängeschild dieser Architektur ist. Durch die Verbindung und Neudefinition der im herkömmlichen Sinne „weichen“ und „harten“ Materialien und die Integration von Textilien in die Architektur sowie einer sauberen Energieinfrastruktur stellt das „Soft House“ eine grundlegende Weiterentwicklung des deutschen Passivhausmodells dar und bietet ein flexibleres Wohnerlebnis. Das Innovative ist in diesem Fall ein Mix aus Altem und Neuem, aus High-Tech und Low-Tech. Es unterstreicht die Bedeutung, die Geschichte und Erinnerung bei der Entwicklung einer zeitgenössischen Architektur haben, und mit der sich die Menschen auch identifizieren können.

Sie leisten sich die büroeigene Forschungsabteilung „MATx“. Wie fließen die Erkenntnisse und Ergebnisse aus den Forschungsprojekten in die Architekturprojekte mit ein? Können Sie Beispiele nennen?

Sheila Kennedy: Matx ist eng mit KVA verbunden – es gibt einen ständigen wechselseitigen Austausch. Die Matx-Projekte können wir beliebig bei der Entwicklung von Gebäudekomponenten, Möbeln, neuen Produktkonzepten oder bei der Anwendung eines neuen Materials einsetzen. Es gibt eine lange Tradition von Architekten, die Vorhänge, Möbel oder Leuchten entworfen haben. Wir nutzen diese Art von Design, um mit klimaneutralen Konstellationen von Lifestyle-Objekten zu experimentieren. Dies liefert uns wichtige Anregungen für die architektonischen Räume, die wir entwickeln. „Give Back Curtain“, „Zip Room“, der Hauptsitz der deutschen Firma Wall in Boston und das „Soft House“ sind Beispiele für den Forschungsaustausch zwischen Matx und KVA.

Welche Aspekte werden Ihrer Meinung nach im aktuellen Diskurs über nachhaltige Architektur nicht genügend berücksichtigt? Und welche Aspekte vermissen Sie bei der aktuellen Debatte zu nachhaltiger Architektur?

Sheila Kennedy: Die Debatte um „saubere Energien“ – das hatte ich bereits erwähnt – wurde bislang in der Architektur vor allem als eine Frage der Betriebskosten betrachtet, es ging hier vorwiegend um die Reduzierung von Kosten im fertigen Gebäude. Das ist zunächst nachvollziehbar, aber wenn wir uns die Energie anschauen, die für die Herstellung des Gebäudes aufgewendet wird und die „klimaneutrale“ Technologie, die Materialien, die Produktion, den globalen Transport und die Konstruktion, dann sehen wir, dass diese graue Energie von erheblicher Bedeutung ist. Für die nächste Generation architektonischer Projekte wird sie, ebenso wie eine lokale Materialbeschaffung und DIY-Produktion, eine große Rolle spielen. Das wird der nächste Schritt sein und das passiert gerade auch schon.


www.kvarch.net
www.nadelvlies.de

Die Vorhänge in den Räumen bilden flexible Bereiche im Wohnraum aus und dienen gleichzeitig als Lichtquelle, Wärme- und Sonnenschutz. Foto © Michael Moser
Die Südseite des „Soft House“ wurde mit einer textilen Membranfassade, in die Photovoltaik-Zellen eingearbeitet sind, ausgestattet. Die Sonnensegel sind flexibel und wenden sich immer zur Energiegewinnung dem Sonnenlicht zu. Gleichzeitig spenden die Fassadenelemente im Sommer Schatten und minimieren im Winter die Energieverluste. Foto © Michael Moser
Nach dem Vortrag luden die drei Unternehmen die Gäste aus Architektur und Design zu Wein, Essen und natürlich auch zur Probefahrt in einem Tesla ein.
Foto © Sandra Jacques