Mit der diesjährigen Ausgabe der BAU in München hat sich die alle zwei Jahre stattfindende Messe den Titel „Weltleitmesse für Architektur, Materialien, Systeme" redlich verdient. Nicht nur, dass das Gelände der Münchner Messe komplett ausgebucht war und man zugunsten von Ausstellungsfläche sogar auf Lounges verzichtete, auch die Besucherzahlen stiegen gegenüber der letzten Veranstaltung um zehn Prozent. Das Interesse entspricht durchaus der Prognose des ifo-Instituts, das für die nächsten Jahre einen Anstieg der Baukonjunktur voraussagt.
Energieeffizienz, solares Bauen und Nachhaltigkeit waren ohne Zweifel die zentralen Themen der Messe. Überall begegnetem einem die Worte „grün" und „nachhaltig", wobei es inmitten des Messerummels schwer zu unterscheiden war, welche Hersteller von Bauprodukten den Megatrend „Nachhaltigkeit" lediglich als Marketingmaßnahme überstrapazieren und welche Unternehmen mit umweltverträglichen Produkten tatsächlich eine ernst zu nehmende Absicht verfolgen. Dabei sollte mittlerweile jedem klar sein, dass das Bemühen, Natur und Umwelt für die nachfolgenden Generationen zu erhalten, eine Selbstverständlichkeit sein sollte. Gleichwohl - die Welt der Nachhaltigkeit bleibt schwer durchschaubar. Ab wann ist ein Produkt nachhaltig? Und in welcher Hinsicht? Wenn die Produktion wenig Energie verbraucht oder recycelte Rohstoffe verwendet werden? Oder schon dann, wenn die Transportwege der Zulieferer nicht um den halben Globus führen? Zur Orientierung können Zertifizierungssysteme durchaus hilfreich sein. Allerdings müssen manche Zertifikate überarbeitet werden oder sie sind dem Verbraucher noch völlig unbekannt. Das führt dazu, dass man sich, um angesichts der Vielzahl von Zertifizierungen nicht den Überblick zu verlieren, ein Zertifikat für Zertifikate wünscht.
Eine treibende Kraft für die Entwicklung nachhaltigen Bauens kann die neue europäische Bauproduktenverordnung sein, in der es heißt: „Das Bauwerk, seine Baustoffe und Teile müssen nach dem Abriss recycelt werden können", sowie: „Für das Bauwerk müssen umweltfreundliche Rohstoffe und Sekundärbaustoffe verwendet werden." Bisher ist die Materialvielfalt auf der Baustelle unüberschaubar. Während etwa die Autoindustrie eine Rücknahmeverpflichtung unterzeichnet hat und damit die Materialvielfalt in heutigen Autos halbiert wurde, ist in dieser Richtung im Bauwesen noch nichts geschehen, und das, obwohl jährlich ungefähr fünfzig Millionen Tonnen Bauschutt anfallen und nur maximal fünf Prozent davon recycelt werden. Eine wirkliche Rückführung der Ausgangsstoffe in den Herstellungsprozess findet im Bauwesen kaum statt.
Sogenannte „green buildings" sollen nicht nur energieeffizient sein, sondern auch das Wohnen gesünder und komfortabler machen. So stellte beispielsweise das Fraunhofer-Institut auf der BAU ein Mineralgemisch aus modifizierten Zeolithen vor, das die Formaldehydemission um vierzig Prozent verringert. Es wird geschätzt, dass mehr als 85 Prozent aller Holzwerkstoffe formaldehydhaltige Kleber enthalten. Formaldehyd belastet die Raumluft und wird von der Weltgesundheitsorganisation sogar als krebserregend eingestuft. Auch Mapei, der weltweit größte Produzent bauchemischer Produkte, hat emissionsarme, zertifizierte Kleber und Dichtungsmassen für Wand- und Bodenbeläge entwickelt, und der Bodenbelagshersteller Armstrong glänzt mit einem ganzheitlichen Ansatz, der von der als „Green Building" realisierten Firmenzentrale in Lancaster bis zur Produktbroschüre reicht, die mit Bio-Farben gedruckt wurde. Die Vinyl-Bodenbeläge Armstrong sind voll recyclingfähig, die Linoleum-Produktion in Delmenhorst nach ökologischen Kriterien zertifiziert. Eine Alternative können Bodenbeläge aus Bambus sein. Bambus gilt als die am schnellsten wachsende Pflanze der Erde und braucht nur vier Jahre, um eine umfassende Holzstruktur zu entwickeln. Die Hersteller Bambeau oder Moso bieten Parkett-Beläge aus Bambus an, wobei Moso bei der Verarbeitung Klebstoffe mit sehr niedrigen Formaldehydemissionen verwendet.
Auch Fenster und Fassaden, im weitesten Sinn die gesamte Gebäudehülle, haben großen Einfluss auf Wohnklima, Tageslichtversorgung und natürliche Belüftung. Deshalb ist nachhaltiges Bauen eine wichtige Aufgabe für Fenster- und Fassadenbauer. Oft wird für solche Produkte mit Slogans wie „Energie sparen" oder „Energie gewinnen" geworben, wobei damit die herausragenden technischen Eigenschaften der jeweiligen Fassadensysteme hervorgehoben werden.
Besonders Schüco präsentiert sich als Ökoriese und setzt auf „grüne Technologien". Auf der BAU stellte Schüco seine drei Energieklassen vor. In der höchsten Energieklasse „E3" finden sich Produkte für Gebäude, die mehr Energie erzeugen als sie verbrauchen und den erzeugten Gleichstrom für verschiedene Systeme im Gebäude zur Verfügung stellen. Solche Produkte erhalten zu Recht Bestnoten in der Nutzung. Über Herstellung und Entsorgung des Produktes erfahren Architekten und Bauherren aber nach wie vor zu wenig.
Auch Wicona wirbt mit der „Entwicklung von Systemen nach ökologischen Kriterien". Das neu vorgestellte Fenstersystem „Wicline evo" erreicht seine hohe Wärmedämmung unter anderem durch eine optimierte Dämmstegtechnik und ein Spezialdämmprofil im Glasfalz. Der technische Gebäudeausrüster Colt stellt mit „Coolstream" ein natürliches Kühlsystem auf Basis eines adiabatischen Energieaustauschs mittels direkter Verdunstung vor. Dabei wird Luft durch Verdunsten von Wasser gekühlt, wobei die für die Verdunstung benötigte Energie über ein Solarmodul gewonnen wird.
Schlussendlich müssen die einzelnen Lösungen, die die verschiedenen Hersteller anbieten, miteinander kombiniert werden. Hier ist der Architekt, Planer und Bauherr gefragt. Wie das Haus der Zukunft aussehen kann, haben Studierende der Hochschule Rosenheim beispielhaft vorgeführt. Ihr Solarhaus kam beim Solar-Decathlon in Madrid auf den zweiten Platz und wurde auf der BAU erstmals einem größeren Fachpublikum vorgestellt. Das Solarhaus bietet Zuflucht vor den schier unlösbaren Herausforderungen der Zukunft, ein wohltuender Ort im Meer der scheinbar unbegrenzten Möglichkeiten, wie sie eine Baumesse bereithält. Fünfzig Studierende tüftelten und bauten zweieinhalb Jahre an dem modular aufgebauten Haus. Die Module sind zu 92 Prozent vorgefertigt, wodurch das Haus in acht Tagen montiert werden kann. Die Materialien bestehen bis zu siebzig Prozent aus nachwachsenden Rohstoffen, Fassade und Sonnenschutz aus recyceltem Aluminiumblech. Das Haus erzeugt viermal so viel Strom wie es verbraucht. Sollte das Haus in Serie produziert werden, kosten 74 Quadratmeter 320.000 Euro. Die Liste der guten Nachrichten ließe sich fortsetzen und lässt sich im neu vorgestellten Buch „Solararchitektur 4 - Die deutschen Beiträge zum Solar Decathlon Europe 2010" nachlesen.
Die Vielfalt neuer und als nachhaltig angesehener Produkte ist das eine, ihre intelligente Kombination etwas anderes. Erst in einem kompletten Haus zeigt es sich, ob dieses wirklich mehr ist als die Summe seiner Teile. Denn an Teilen, die als Systemlösungen in großer Zahl auf der Messe ausgestellt waren, herrscht kein Mangel. An modellhaften Lösungen, die diese kombinieren, sehr wohl. Doch erst wenn alle nachhaltigen Lösungen zusammenfinden und ein Haus entsteht, in dem sich angenehm und umweltbewusst leben lässt, wird die Branche ihre Herkulesaufgabe bewältigt haben.