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Jenseits der Hainbuche

Die Stadt Düsseldorf lässt ein neues Rathaus bauen. Auch wenn es noch durch ein folgendes Verhandlungsverfahren beauftragt werden müsste, lohnt der Blick auf das Projekt, mit dem die Arbeitsgemeinschaft der Büros AllesWirdGut und Hertl.Architekten siegreich aus dem Wettbewerb hervorging.
von David Kasparek | 06.12.2022

Obschon derzeit viel von der Wichtigkeit des existierenden Gebäudebestands gesprochen wird, mancherorts "Neubauten nur noch in Sonderfällen" gefordert werden und namhafte Firmen auf "Klimafestivals" zum Dialog laden, wird landauf und landab abgerissen und neu gebaut. Oft geschieht das mit Hinweis auf veraltete Gebäude und darauf, dass der sie ersetzende Neubau im Betrieb merklich nachhaltiger sei. So soll auch in Düsseldorf das bisherige Technische Rathaus ersetzt werden. Noch steht es an der Stelle, wo die Brinckmannstraße auf die Straße "Auf'm Hennekamp" trifft. Aber dieser Bau, so hört man aus der Stadt, hat sich wegen verschiedener Gründe überholt, ein Neubau muss her. Nachhaltiger. Größer. Bürgernäher.

Mit dem ersten Preis wurde nun nach der ersten von zwei Verfahrensphasen der Entwurf der österreichischen Arbeitsgemeinschaft AllesWirdGut aus Wien und Hertl.Architekten aus Steyr ausgezeichnet. Tatsächlich könnte hier ein Gebäude entstehen, das später als wichtige Wegmarke zu einer zeitgemäßen Architektur im Anthropozän gelesen werden könnte. Viel Konjunktiv. Denn, neben dieser wurden nach Abschluss des Generalplanungswettbewerbs drei weitere Arbeiten ausgezeichnet, in nun folgenden Verhandlungsverfahren müssen sich Stadt und Architekturbüros einigen, welcher dieser vier Entwürfe den Zuschlag bekommt und realisiert wird. Ausschlaggebend sind bei solchen Verhandlungsverfahren in aller Regel die nackten Zahlen. Monetäre Gründe entscheiden also, wo ökologische, architektonische oder zweckgebundene Entscheidungen mit Blick auf die Nutzung von Relevanz sein sollten. Bis Ende Januar 2023, so die Stadt, sollen die vergaberechtlich notwendigen Verhandlungen abgeschlossen und ein Büro gefunden worden sein, das mit der tatsächlichen Realisierung beauftragt werden kann. Ob also wirklich der Entwurf der österreichischen Arbeitsgemeinschaft umgesetzt wird, steht momentan noch nicht fest.

Dennoch lohnt der Blick auf den Entwurf. Für die etwa 3.000 Mitarbeitenden der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt soll das Haus Platz bieten, und zwar auf rund 70.300 Quadratmetern, die auf einer, dank Abriss kleinerer Hallen, seit einiger Zeit brachliegenden Fläche im Stadtteil Oberbilk angesiedelt werden sollen. Von der Moskauer Straße im Norden erstreckt sich das Baufeld etwa im 45-Grad-Winkel in Richtung Südwesten zu einer linearen Grünanlage mit dem schmucken Namen IHZ-Park. Ein "Park mit gepflasterten Wegen und Teich", wie Google-Maps auf dem Weg zum Ort zu berichten weiß.

Der Entwurf füllt das zur Verfügung stehende Grundstück unweit des Düsseldorfer Hauptbahnhofs fast komplett aus. Ein betonierter Sockel vermittelt mit seinen drei bis vier Geschossen das leichte Gefälle auf dem Gelände und soll die öffentlich zugänglichen Einrichtungen des Rathauses beherbergen. Streckmetallpaneele sollen für Verschattung sorgen, die Fassade außerdem begrünt werden. Auf diesem Betonsockel geht ein Holzbau bis zu 31 Stockwerke oder fast 155 Meter hoch auf. Die ArchitektInnen lösen das große Volumen in vier Teile auf, was mit Vor- und Rücksprüngen sowie unterschiedlichen Gebäudehöhen eine gewisse Kleinteiligkeit suggeriert. Eine Cafeteria mit angrenzender "Work-Life-Balance-Ebene" bildet die Schwelle zwischen den Büros der Obergeschosse und der Öffentlichkeit im Sockel, dessen begrüntes Dach als Terrasse dient. Gespiegelt an einer der mittigen Achsen des Turms finden sich gestapelte Wintergärten, je drei Stockwerke hoch, die als Aufenthalts- und Gemeinschaftsräume dienen und für Lüftung sowie Mikroklima zuträglich sein sollen. Abermals begrünte Dachterrassen bilden schließlich die jeweils oberen Abschlüsse der Gebäudeteile. Dafür sehen die ArchitektInnen "klimaresiliente und windresistente Baumarten" ebenso vor wie "farbenintensive Gräser und dichtwachsende Kletterpflanzen". In die Fassade integrierte Photovoltaikelemente sorgen für Strom, Belichtung und Windschutz und sollen hier intelligent geregelt werden, Geothermie aus dem Grundwasser dauerhaft ebenso genutzt werden wie das Regenwasser, zur Abdeckung der Spitzenlasten hingegen die Nahwärme herangezogen werden.

Was an Holz für den Neubau aufgewendet werden muss, soll über eine Aufforstungsorganisation neu angepflanzt und weite Teile des Hauses als flexibles Baukastensystem vorgefertigt werden. Für die Umsetzung des Holzhybridgebäudes hat sich das Team rund um AllesWirdGut bereits die renommierten Holzbauingenieure von Merz Kley Partner mit ins Team geholt. Die vorfabrizierten Module aus Deckenplatten, Wandelementen und Sanitärräumen könnten recht zügig vor Ort zusammengebaut werden.

Soweit, so nachvollziehbar. All das hat man in den letzten Jahren immer wieder in Erläuterungstexten zu Wettbewerben gelesen, in die Praxis wurde es bisher nur selten in dieser ganzheitlich gedachten Konsequenz übertragen. Hier könnte also einmal eine großmaßstäbliche Probe aufs Exempel statuiert werden. Doch lassen sich all diese richtigen Maßnahmen durch ein Vergabeverfahren retten oder entscheidet einmal mehr der Blick auf kurzfristige Rechnungen? Gelänge der vollumfängliche Übertrag in die Umsetzung, könnte Düsseldorf womöglich tatsächlich ein nachhaltiges Vorzeigeprojekt jenseits von herkömmlichen, aber mit feigenblattgroßen Hainbuchenhecken bepflanzten Betonkonstruktionen bekommen. Doppelt interessant wäre freilich ein die ersten Betriebsjahrzehnte begleitendes und unabhängiges Monitoring, das die These der Notwendigkeit eines unweigerlichen Abbruchs und Neubaus auch wirklich belegt.