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„Home of the Future“ steht im Zusammenhang mit früheren Ausstellungen zum Thema Architektur und Design an selber Stelle: 2007 „Full House“, anlässlich des Design Mai und 2010 „Graft Architects – Distinct Ambiguity“. Der Ausstellungsort, in dem der Designer seine Zukunftsvisionen ausbreitet, ist eine einstige Privatvilla, Anfang der 1920er Jahre eigentlich unzeitgemäß gestrig entworfen und seit 1946 ein Platz für die Präsentation internationaler Gegenwartskunst. In dieses Gebäude fügt Aisslinger nun seine konkreten Wohnutopien ein. Es sind nicht künstlerische Gegenpositionen, die Aisslinger formuliert, vielmehr dreidimensionale räumliche Skizzen, die man als Appell an Hersteller und Designer lesen kann, ausgetretene Pfade zu verlassen und wenigstens zeitweise die Suche nach dem Neuen wieder aufzunehmen.

Fürs Erdgeschoss der Villa schuf Aisslinger eigens eine Reihe von Installationen. Ausgangspunkt ist ein Raum, an dessen Wänden ausgewählte gestalterische Utopien der 1960er und 1970er Jahre zu sehen sind und in dessen Mitte das Modell des „Loft Cube“ von der Decke herabschwebt. In originaler Größe steht der kompakte Wohnwürfel, den Werner Aisslinger gemeinsam mit seinem Bruder Achim entwickelt hat, seit Jahren im Garten der Villa am Waldsee. Für die Dauer der Ausstellung erhielt das Haus eine vorgeblendete Fassade aus bunt gescheckten Kvadrat-Möbelstoffen. Ein Porsche 928 wurde ebenfalls mit Stoff umhüllt. Es geht um Lebenszeit-Verlängerung und gestalterische Weiterentwicklung bestehender Produkte in Zeiten propagierter Nachhaltigkeit und ausgedehnten Dämm-Wahns.

Aisslinger ist neugierig auf Interventionsmöglichkeiten des Designs zugunsten von neuen sozialen Handlungsfeldern. Noch hat das Design etwa dem „Urban Gardening“ nur wenig mehr als industrielle Hinterlassenschaften zu bieten, die man zu Pflanzbehältnissen umdefinieren kann. Die „Produktionsküche“ Aisslingers bezieht Fisch- und Gemüsezucht in den Kochvorgang mit ein. Dabei bleibt es – unter Verwendung des neuen Regalsystems ADD für Flötotto – bei Andeutungen. Ebenso wie beim „textilen Badbiotop“, das den harten, abgegrenzten Raum des Bades zu einem Pflanzengestell mit flexiblen Becken und Wannen uminterpretiert, deren Materialien den feuchten Nebel des Badens sammeln, um ihn Pflanzen zuzuführen.

Eine Sitztreppe mit Blick auf den Garten deutet veränderte Nutzungs- und Lebensweisen ebenso an wie eine Relax-Landschaft aus „Honeycomb“-Elementen. Es wäre falsch, in allem nach möglichst wörtlichen Prototypen und Vorläufern kommender Produkte und Produktwelten zu suchen. Eher, und das ist mitunter verstörend in einer Designausstellung, benennt Aisslinger hier mit Mitteln des Designers künftige Aufgabenstellungen, bekundet sein Interesse, an Fragestellungen weiterzuarbeiten, die über die aktuelle Produktpolitik von Marketingabteilungen hinausgehen.

Im oberen Stockwerk gewährt der Designer zudem Einblicke in seine Arbeitsweise, in Materialforschungsprojekte (etwa zum Juli-Chair für Cappellini, der aus dem Stoff besteht, aus dem üblicherweise Auto-Lenkräder geschäumt werden), in die Entwicklung eines Stapelsuhls aus Hanf („Hempchair“ für Moroso) und das Zukunftsprojekt eines Sitzmöbels aus gestickten Strukturen, dessen Trägermaterial sich in Wasser auflöst.

Wer in Aisslinger vor allem den erfolgreichen Entwerfer für die Industrie sieht, der mal bestehende Typologien weiterentwickelt, sie ein andermal virtuos bedient, wird sich hier die Augen reiben. Denn es sind die Forschungs- und Suchprojekte, die dieser Industriearbeit zugrunde liegen, die zur Diskussion gestellt werden. Insofern lädt die Ausstellung ein, Gewissheiten über Design und Designer wieder einmal in Frage zu stellen, aber auch dazu, Design weiter zu treiben ohne in Richtung Kunst auszubüchsen. Und das an einem Ort der Kunst. Erstaunlich.


Werner Aisslinger – Home of the Future
Vom 21. April bis 9. Juni 2013
Haus am Waldsee, Berlin
www.hausamwaldsee.de
www.aisslinger.de

Könnte man ein Auto durch eine neue Haut beleben? Foto © Thomas Edelmann
Nicht Kunst, schon Design?
von Thomas Edelmann
17.05.2013
Aisslinger, nicht Christo: Die Fassade des „Haus am Waldsee“ bekam für die Dauer der Ausstellung eine temporäre textile Hülle aus Kvadrat-Stoff vorgeblendet. Foto © Thomas Edelmann
Der Ausstellungsort, in dem der Designer seine Zukunftsvisionen ausbreitet, ist eine einstige Privatvilla. Foto © Thomas Edelmann
Pimp up my car: Ein Porsche 928 erscheint in neuem Gewand. Foto © Thomas Edelmann
Das Bad als Nebelfänger: Aisslingers Sanitär-Installation hat weiche Becken und Wannen, die gesammelten Wasserdämpfe aus dem Bad, bewässern Pflanzen. Foto © Thomas Edelmann
Experiment aus dem Jahr 2010: „NETwork“ wurde als Gitterwabenmuster auf einen wasserlöslichen Zellulose-Trägerstoff gestickt. Foto © Thomas Edelmann
Einblick in die Arbeitsweise: In einem Raum demonstriert Aisslinger mit Skribbels und Skizzen einzelne Schritte seiner Projekte. Foto © Thomas Edelmann
Möbel aus dem Gewächshaus? Am Beispiel von schnell wachsendem Bambus erzeugt Aisslinger ein unkonventionelles Bild einer möglichen Zukunft. Foto © Thomas Edelmann
Das in Berlin populäre „Urban Gardening“ wird ins Haus geholt, die Küche wird zum Produktionsort für Lebensmittel. Wirklich eine Utopie? Foto © Thomas Edelmann

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