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Keine Angst anzuecken: Patrik Schumachers Thesen haben auf dem World Architecture Festival im November alles andere als ungeteilte Zustimmung gefunden.

Kommentar
Denken mit der Abrissbirne

Plätze und Straßen privatisieren, den Hyde Park mit Beton zuschütten: Patrik Schumacher phantasierte auf einem Architekturkongress in Berlin, wie er sich das entfesselte Bauen vorstellt. Vorerst hat er sich mit seinen Thesen blamiert.
von Thomas Edelmann | 13.12.2016

Wenn urplötzlich ein Immobilien-Tycoon zum mächtigsten Mann der Welt gewählt wird, so bleibt dies für die Architektur- und Gestaltungsszene nicht ohne Folgen. Auch wenn es schwer fällt, zwischen den Architekturstars der Gegenwart und Donald Trump gemeinsame ästhetische oder wirtschaftliche Interessen auszumachen, bewegen sie sich in jener Sphäre des Immobilienbusiness, aus der Trump Prestige und öffentliche Aufmerksamkeit sog, bevor er ins Fach der disruptiven Berufspolitiker wechselte. „Nicht Architektur und Gestaltung, sondern die Klischees der Kostbarkeit müssen stimmen“, analysierte Trumps Schaffen bereits 1990 der Architekt Ueli Fischer. Denn: „Donald Trump baut für die obersten Einkommensschichten. (…) Eine Wohnung mit Attributen der Exklusivität auszustatten erhöht die Baukosten um zehn Prozent, während der Marktwert um ein Vielfaches steigt.“

Post-Trumpelein

Was also liegt näher, als eigene Schlüsse aus dem unwahrscheinlichen, aber doch eingetretenen Wahlerfolg des Immobilienunternehmers zu ziehen? An die Stelle des Polit-Establishments tritt ein neues Business-Establishment, das bestehende Abläufe und Regeln über den Haufen wirft – und nach eigenem Gutdünken weiter entwickelt. Wie können Gestalter von der nunmehr entfesselten Kommunikation profitieren, die allerlei Aufgeregtheit und Verblasenheit in digitalen Netzwerken honoriert, ebenso wie Aggression und Übergriffigkeit? Patrik Schumacher, in London lebender deutscher Architekt und Gestaltungstheoretiker, machte sich seinen eigenen Reim darauf. Für ihn, der seit Ende der 1980er Jahre im Büro von Zaha Hadid arbeitet, gilt es, aus dem Schatten seiner einstigen Partnerin herauszutreten. Die weltweit bekannte Visionärin und mit dem Pritzker-Preis ausgezeichnete Architektin war unerwartet im März verstorben. Schumacher übernahm die Leitung des Büros, das in aller Welt baut. „We work in all scales and in all sectors“, heißt es in der Selbstdarstellung des Studios. Wer allerdings kennt außerhalb der Szene Patrik Schumacher, Hadids langjährigen Business-Partner und Wegbegleiter? Mitte November bot sich für den Meisterdenker parametrischer Gestaltung, der an den wichtigsten Architekturschulen studiert und inzwischen auch gelehrt hat, eine wohlfeile Gelegenheit zur Provokation. 

Wir machen den Weg frei, aber für wen?

Seinen massiven Angriff auf alle, die das Bauen regulieren, bot er in entspannter Gesprächsatmosphäre beim World Architecture Festival dar, gut gelaunt neben dem säuerlich dreinschauenden Festival-Kurator Jeremy Melvin. Nach einem einleitenden Werkbericht entfaltete Schumacher am Beispiel London seinen Achtpunkteplan eines von Regulierung befreiten Bau-Investments: So fordert er „reguliert die Planer“, deren vermeintliche Agenda eines „social engineering“ er in Frage stellt. Vorschriften der Landnutzung, des Milieuschutzes, der Mindeststandards für Wohnungsgrößen gehörten abgeschafft. Auch Sozialwohnungen und Maßnahmen für billiges Wohnen hält er für schädliches Teufelszeug. Ebenso staatliche Fördermaßnahmen zum Erwerb von Wohnraum. Schumachers Wünschen zu Folge haben sämtliche Formen der Kontrolle des Mietwohnungsmarktes zu verschwinden, speziell die Regulierung der Mietdauer und des -preises. Damit nicht genug: Abschließend forderte er die Privatisierung „aller Straßen, Plätze und öffentlicher Orte und Parks, womöglich ganzer städtischer Bezirke“. 

Alles den erfolgreichen Kreativen

Die verdichtete Stadt der Zukunft, wie sie Schumacher vorschwebt, ist ein Platz für die kreative Network-Gesellschaft. Sollte es Ärmere, Mittelschichtler und Transfer-Empfänger in seiner Vorstellungswelt überhaupt noch geben, werden sie ins außerstädtische Nirvana verbannt. Die Stadt solle kreativen Mitstreitern der großen Transformation vorbehalten sein, die kurze Wege und persönlichen Austausch brauchen. Richtig fördern ließe sich der Bau neuer Wohnviertel, wenn überflüssiges Stadtgrün beseitigt wird: So sollten „80 Prozent des Hyde Parks“ bebaut werden. Die Grundstücke sollten an den höchsten Bieter vergeben werden. „Wann waren sie zuletzt im Hyde Park?“ Was „uns“ der heutige Park koste, welcher „Wert“ mit ihm zu erzielen sei, wäre erst zu ermessen, sobald das Bieterverfahren abgeschlossen sei.

Nur ein vorübergehender Hirnsturm?

In der englischsprachigen Architekturwelt erregte Schumacher mit seinen Deregulierungsthesen einiges Aufsehen. Das Publikum in Berlin folgte den Reden das parametrischen Masterminds gebannt. Einer meinte anschließend ironisch, ob dann nicht auch gleich der Sauerstoff zu privatisieren sei. Dankenswerterweise hat die Plattform Dezeen Schumachers antiplanerische Pläne dokumentiert und die anschließende Debatte in Gang gebracht. In London und New York sorgte sie für größere Aufregung als in Berlin. Nach Protesten vor dem Studio Zaha Hadi in London meldeten sich abschließend auch Verwandte und Freunde der verstorbenen Architektin zu Wort, die Schumacher in die Schranken wiesen. Rana Hadid, Peter Palumbo und Brian Clark erklärten, dass Schumachers Manifest mit den Überzeugungen der Architektin nichts zu tun habe und dass sie selbst dessen Äußerungen „vollständig ablehnten“. So blieb Schumacher nicht viel anderes übrig, als seine Thesen zu einem „Brainstorming“ umzudeuten. Ein Sturm im Wasserglas, ein Versuch mit ahistorischen Thesen Aufmerksamkeit zu erregen in aufgeregten Zeiten. Nicht mehr und nicht weniger. So machte sich Schumacher, ein deutscher Kreativer im Brexit-Land, zu einer komischen Figur. Schade.