top
Riken Yamamoto

Architekt der Schwelle

Der japanische Architekt Riken Yamamoto wurde mit dem Pritzker-Preis für Architektur geehrt. Seine Architektur bringe Würde in den Alltag, Normalität werde außergewöhnlich und Klarheit in Pracht überführt, so die Begründung der Jury.
von Elisabeth Bohnet | 07.03.2024

Bereits früh interessierte Riken Yamamoto das Verhältnis zwischen öffentlichem und privatem Raum: 1945 im chinesischen Peking geboren, siedelte er kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs nach Japan in die Stadt Yokohama über. Er lebte in einem Haus, das einem traditionellen japanischen Machiya nachempfunden war, mit der Apotheke seiner Mutter im vorderen und dem privaten Wohnbereich im hinteren Teil. "Die Schwelle war auf der einen Seite für die Familie und auf der anderen Seite für die Öffentlichkeit. Ich saß dazwischen", erinnert er.

1986 entwarf Yamamoto sein eigenes Haus GAZEBO in Yokohama, Japan, um von Terrassen und Dächern aus die Interaktion mit den Nachbarn zu fördern

Nachdem er 1968 sein Architekturstudium an der Nihon University abschloss und 1971 mit einem Master of Arts in Architektur von der Tokyo University of the Arts abging, gründete er 1973 sein Büro Riken Yamamoto & Field Shop. Zu Beginn seiner Karriere durchreiste der Architekt zusammen mit seinem Mentor Hiroshi Hara Länder und Kontinente und verbrachte jeweils Monate damit, Gemeinschaften, Kulturen und Zivilisationen zu verstehen. Nach ausgiebigen Erkundungen entlang der Mittelmeerküste (1972), von Nord- nach Südamerika (1974) und von Iran bis Nepal kam er zu dem Schluss, dass die Idee der "Schwelle" zwischen öffentlichen und privaten Räumen universell ist. "Die Dörfer waren unterschiedlich in ihrem Aussehen, aber ihre Welten [waren] sehr ähnlich."

Diese Grenzen betrachtet Yamamoto als gesellschaftliche Chance und er vertritt die Überzeugung, dass jegliche Räume der gesamten Gesellschaft dienlich sein können, und nicht nur den Menschen, die sie bewohnen. Die soziologische Erkenntnis durchzieht sein architektonisches Werk: "Riken Yamamoto ist kein Architekturhistoriker, aber er lernt aus der Vergangenheit und aus verschiedenen Kulturen. Als Architekt kopiert er nicht die Vergangenheit, sondern passt sie an, verwendet sie neu und entwickelt sie weiter, um zu zeigen, dass die Grundlagen ihre Relevanz behalten. Yamamoto hat den Werkzeugkasten des Berufsstandes sowohl in Richtung Vergangenheit als auch in Richtung Zukunft erweitert, um jedes Mal auf sehr unterschiedliche Weise und in sehr unterschiedlichen Maßstäben die angemessenste Antwort auf die Herausforderungen der gebauten Umwelt und des kollektiven Lebens geben zu können," so die Jury. In diesem Sinne begann er mit dem Entwurf von Einfamilienhäusern, die die natürliche und die gebaute Umwelt miteinander verbinden und sowohl Gäste als auch Passanten willkommen heißen, wie in seinem ersten Projekt, die Yamakawa Villa (Nagano, Japan 1977). Transparenz in Form, Material und Philosophie sollte ein wesentliches Element in seinen Entwürfen bleiben. Mit der Entwicklung von Ryokuen-toshi, Inter-Junction City (Yokohama, Japan 1994), etablierte er einen städtebaulichen Ansatz, der die Evolution als wesentliches Merkmal aufzeigt.

Yamakawa Villa, Nagano, Japan 1977

Sein Portfolio erweiterte sich zunehmend von privaten Wohnhäusern bis zu öffentlichem Wohnungsbau, von Grundschulen bis zu Universitätsgebäuden und von Institutionen bis zu öffentlichen Räumen. Nach dem verheerenden Tōhoku-Erdbeben und dem anschließenden Tsunami im Jahr 2011 gründete er das Local Area Republic Labo, ein Institut, das sich durch architektonische Gestaltung für die Gemeinschaft einsetzt, und rief 2018 den Local Republic Award ins Leben, um junge ArchitektInnen zu ehren, die mit Mut und Idealen für die Zukunft handeln. "Eines der wichtigsten Dinge, die wir zukünftig in der Stadt brauchen, sind architektonische Bedingungen, die die Möglichkeiten für Menschen vervielfachen, zusammenzukommen und zu interagieren. Indem er die Grenze zwischen öffentlich und privat sorgfältig verwischt, trägt Yamamoto übermäßig dazu bei, Gemeinschaft zu ermöglichen", konstatiert Alejandro Aravena, Vorsitzender der Jury und Pritzker-Preisträger 2016. "Er ist ein verlässlicher Architekt, der dem alltäglichen Leben Würde verleiht. Das Normale wird außergewöhnlich. Klarheit mündet in Pracht."

Tianjin Bibliothek, Tianjin, Volksrepublik China, 2012

Yamamoto arbeitet und wohnt weiterhin in Yokohama, in Gemeinschaft mit seinen Nachbarn. Erst kürzlich ist er zum Gastprofessor an der Kanagawa University seiner Heimatstadt ernannt worden. Zuvor lehrte er unter anderem an der Tokyo University of the Arts (2022-2024) und war Präsident der Nagoya Zokei University of Art and Design (2018-2022). Zahlreiche Auszeichnungen bezeugen seine Leistungen auf dem Feld der Architektur und seine Bauwerke sind in ganz Japan, der Volksrepublik China, der Republik Korea und der Schweiz zu finden.