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In London haben Stephen Taylor Architects 3,50 Meter breite Reihenhäuser entworfen, die exemplarisch zeigen, wie bezahlbarer und architektonisch anspruchsvoller Wohnungsbau aussehen kann.
von Alexander Russ | 20.12.2021

Bezahlbares Wohnen in London, das klingt ziemlich unwahrscheinlich – vor allem wenn es sich auch noch um eine Mischung aus Eigentums- und Sozialwohnungen mit hohem architektonischen Niveau handeln soll. Dass es trotzdem gelingen kann, beweist ein Wohnungsbau in Hackney, wo Stephen Taylor Architects im Rahmen eines Ausschreibungsverfahrens mehrere Reihenhäuser mit einer Breite von jeweils 3,50 Metern verwirklichen konnten. Das Projekt Aikin Terrace ist Teil eines Wohnungsbauprogramms, bei dem die Stadtverwaltung von Hackney etwa 2000 neue Wohnungen bauen will. Dabei sollen mehr als die Hälfte davon zur Sozialmiete oder als Gemeinschaftseigentum errichtet werden. Finanziert wird das Vorhaben durch den Verkauf der restlichen Wohnungen, um so die volle Kontrolle über den Bauprozess zu haben und um generell zu verhindern, dass der Wohnraum zum Spekulationsobjekt wird.

Die Reihenhäuser der Aikin Terrace überzeugen nicht nur durch ihren sozialen Ansatz, sondern auch durch ihre städtebauliche und räumliche Fügung. Das Projekt befindet sich auf einem Eckgrundstück und ersetzt den sogenannten Aikin Court, einen Wohnungsbau aus den 1950er-Jahren, dessen Sanierung nicht mehr rentabel war. Es ist umgeben von viktorianischen Reihenhäusern mit Backsteinfassaden, weshalb es den ArchitektInnen besonders wichtig war, eine neue Straßenfront zu schaffen, die sich harmonisch in den Bestand einfügt. Dementsprechend vermittelt die Aikin Terrace zwischen Alt und Neu, changiert dabei aber geschickt zwischen Stadtreparatur und subtiler Ausdruckskraft. So ist der Sockel als skulpturales Band ausformuliert, das mit braunen Fliesen verkleidet wurde. Sie umhüllen die charakteristischen Erker, an denen sich die Unterteilung der Reihenhäuser gut ablesen lässt. Bei den Geschossen darüber wählten die ArchitektInnen einen roten Ziegel, der die Materialität der Umgebungsbauten aufnimmt. Hinzu kommen Fertigteile aus Beton für die Fensterbrüstungen, die Eingangsbereiche oder die Attika. Ein herausstechendes Element ist der Eckturm im Südwesten, der ebenfalls mit braunen Fliesen verkleidet wurde. Er kragt im ersten und zweiten Geschoss aus und gehört zum Eckreihenhaus, das einen Sondertyp darstellt. Mit einer expressiven Geste öffnet er sich zur umgebenden Bebauung und sorgt für eine Verankerung der Aikin Terrace im Stadtraum.

Die Erker stellen mit ihren Vorgärten trotz ihres traditionellen Erscheinungsbilds eine typologische Verfremdung dar, denn Stephen Taylor Architects drehten die klassische Raumaufteilung der umgebenden Reihenhäuser um, indem sie die Küche direkt am Erker auf der Straßenseite anordneten. Das Wohnzimmer liegt nun nicht mehr an der Straße, sondern befindet sich stattdessen auf der Rückseite. Über eine großzügige Glasfassade ist es zum angrenzenden Garten geöffnet, dessen Abschluss ein kleines Gartenhäuschen bildet. Konsequenterweise dient der Vorgarten an der Straße nun nicht mehr als Abstandsfläche um mehr Privatheit zu ermöglichen, sondern wird stattdessen zu einer Art Übergangszone, die zwischen städtischem und privatem Raum vermittelt – ein Ansatz, der durch eine Sitzbank aus Fertigbetonteilen in der Gartenmauer zusätzlich betont wird. Auch in der Küche wird das Konzept der nachbarschaftlichen Verknüpfung fortgeführt, indem eine direkt am Erker positionierte Sitzecke sich wie in einem Café zur Straße öffnet und so zu einem Teil des städtischen Lebens wird.

Trotz der geringen Breite der Reihenhäuser von nur 3,50 Metern sind den ArchitektInnen gleichermaßen effiziente wie auch großzügige Grundrisse gelungen. Das Herzstück bildet eine kompakte zweiläufige Treppe in der Mitte des Hauses, an die das Bad und die vier Schlafzimmer andocken. Im obersten Geschoss ist sogar noch Platz für eine kleine, nach Süden ausgerichtete Dachterrasse, die sich aus einem Rücksprung am Gebäude ergibt. Besonders geschickt lösten Stephen Taylor Architects den Eingangsbereich, der aufgrund mehrerer Glasschiebetüren optisch mit der direkt daran angrenzenden Küche und dem Vorgarten verbunden ist. Die sich daraus ergebenden Raumschichten lassen sowohl die Küche als auch den Eingangsbereich deutlich größer wirken, als sie eigentlich sind. Der Ziegelboden im Eingangsbereich führt zudem die Materialität der Fassade und der Gartenmauer im Innern fort und trägt so subtil zu einer Verzahnung von Straße, Vorgarten und Wohnhaus bei.

Da die Londoner Stadtbezirke in der Thatcher-Ära ihre Bautätigkeit komplett einstellen mussten, ist Aikin Terrace der erste soziale Wohnungsbau in Hackney seit Beginn der 1980er-Jahre. Mittlerweile widmen sich aber auch andere Stadtbezirke dieser Aufgabe: Ein Beispiel ist Ely Court, ein typologisch und sozial durchmischter Wohnungsbau, der zwischen Camden und Brent liegt. Der von Alison Brooks Architects entworfene Gebäudekomplex, der Reihenhäuser, Maisonette- und Geschosswohnungen bietet, kam 2017 immerhin in die engere Wahl für den Mies-van-der-Rohe-Award. Wie die Aikin Terrace zeigt er exemplarisch, dass sich bezahlbare und architektonisch anspruchsvolle Wohnbauten grundsätzlich verwirklichen lassen – wenn der politische Wille da ist.