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Die südafrikanischen Modedesigner Lethabo Tsatsinyane. Foto © Chris Saunders, mit freundlicher Genehmigung von PAPA Fotoarchiv und Preservation Association
Ressource Afrika
von Jeremy Gaines
24.03.2015

Diejenigen, die fantasiereiches Textildesign und Hartholzmöbel im Safari-Stil zu sehen hoffen, werden von der Ausstellung über „Design” in Afrika im Vitra Design Museum wohl eher enttäuscht sein. Die Ausstellung tritt eben diesen stereotypischen und kolonialistisch angehauchten Vorstellungen von Afrika entgegen und möchte zugleich aber auch eine ganzheitliche Sicht auf das Thema Design präsentieren. Die couragierten Kuratoren sind offenkundig von der festen Überzeugung geleitet, dass „viele der Antworten auf die Frage, was Design im 21. Jahrhundert sein kann und soll, im globalen Süden zu finden sind, insbesondere in Afrika”. Mit „Making Africa. A continent of design” möchten sie uns nun diese Antworten in einer Ausstellung vor Augen führen. Dabei scheint es fast, als wollten sie den Punkt zwischen Titel und Untertitel aussparen und Afrika in nur einem Satz zum Designkontinent erklären.

Ein gewagtes Vorhaben – schließlich hat der Kontinent über eine Milliarde Einwohner, die den unterschiedlichsten Kulturen und Ethnien entstammen. Seine Grenzen wurden einst mehr oder weniger willkürlich von Kolonialisten gezogen und sie sind weit weniger durchlässig als jene zwischen der Schweiz und Weil am Rhein. Insofern gibt es zu viele Afrikas und eine leichte Zuordnung von „afrikanischem” Design ist kaum möglich. Die Kuratoren machen jedoch hier aus der Not eine Tugend: Die Vielfalt wird vor dem Hintergrund der Widrigkeiten präsentiert – dem Mangel an Ressourcen, dem Mangel an großen Verbrauchermärkten, dem Mangel an Ausbildungseinrichtungen. So gelingt es ihnen, auf beeindruckende Weise den eng gefassten, eurozentrischen und ethnologischen Blick auf den Kontinent zu vermeiden.

Die Ausstellung beginnt mit Wörtern an einer Wand: “’Making Africa – A Continent of Contemporary Design‘ zeigt Arbeiten aus einem breitem Spektrum kreativer Bereiche, Genregrenzen werden bewusst außer Acht gelassen und doch konkrete Antworten auf die Frage gegeben was Design im 21. Jahrhundert leisten kann und sollte.” Die schwierigen Bedingungen auf dem Kontinent werden weder durch die übliche Fülle an Informationen veranschaulicht noch unberücksichtigt gelassen. Vielmehr steht das Potenzial von Afrika im Mittelpunkt und der Tatendrang einer erstarkenden Mittelschicht in den 54 Ländern – wobei das Jahreseinkommen dieser Mittelschicht für das Überleben in London kaum eine Woche reichen würde.

Wir betreten eine spektakuläre Szenerie mit kunsthandwerklichen Objekten des Kenianers Cyrus Kabiru – sie sind filigran, dekorativ, funktionslos, mit allerlei eingearbeiteten Fundstücken. Schmuck aus Schrott, moderne Masken, die auf jene Masken der Ahnen anspielen, in die Objekte aus den Tauschgeschäften mit den Missionaren eingearbeitet wurden. Hier handelt es sich aber nicht um geschätzte und in Ehren gehaltene Dinge sondern um Müll: ein beißender Hinweis darauf, dass Afrika vom Rest der Welt nicht als Müllhalde benutzt werden möchte. Setzen Sie also diese “C-Stunners” auf und wechseln Sie die Perspektive!

In den großen afrikanischen Slums hat vielleicht niemand einen Fernseher, aber das Internet und Mobiltelefone sind hier fester Bestandteil des Alltagslebens und sie sind nützlich bei der Lösung von Problemen. In der Austellung des Vitra Design Museum werden zahlreiche Beispiele für Internetportale, Multimediageräte und sogar ein Handyspiel präsentiert: Es wurde von Maliyo Games in Lagos entwickelt und trägt den Namen „Okada ride” was so viel heißt wie Motorradfahrt. Man steuert also mit dem Handy sein „Okada“ durch den fürchterlichen Verkehr der Megacity – während man höchstwahrscheinlich irgendwo in einem hoffnungslosen Stau feststeckt und nicht vom Fleck kommt. Ein Beweis dafür, wie schwierig es ist Vorurteile und Stereotype zu durchbrechen, zeigt die Ausstellungsbesprechung von “Making Africa” auf „Spiegel Online”. Das dem Artikel überstellte, leuchtend pink-gelbe Foto der Sängerin Taali M steht hier für den Inhalt der Ausstellung. Es wird aber nicht darauf hingewiesen, dass es sich um das Home-Bild der Webseite der Musikerin handelt.

Die Ausstellung zeigt wie junge Afrikaner – sie sind die überwiegende Mehrheit – ihrer Vergangenheit mit einem aufmüpfigen Selbstverständnis begegnen. Klassische fotografische Zeugnisse dieses wachsenden Selbstvertrauens in der postkolonialen Ära wie die Arbeiten von Seydou Keita aus Mali und anderen werden neben zeitgenössische Bilder gestellt, die Mode und Vorgeschichte verschmelzen wie Arbeiten von Mario Macilau aus Mosambik und Omar Victor Diop aus dem Senegal: Werke, die einer neuen Selbstidentität entspringen, einer spielerischen Plünderung der kolonialen Vergangenheit.

Makers und Re-makers

Ein roter Faden, der die gesamte Ausstellung durchzieht, ist die Idee einer pan-afrikanischen „maker culture”. Dies hat jedoch nichts mit dem Do-it-yourself einer wohlhabenden Gesellschaft zu tun. Hier geht es vielmehr um etwas, das der kenianische Professor Mugendi M‘Rithaa im Katalog wie folgt umschreibt: „Wenn die Notwendigkeit die Mutter des Erfindungsreichtums wäre, müsste Afrika eine Supermacht der Innovation sein. (…) Soziale Innovation ist auch Ausdruck dessen, was wir als Design für eine nachhaltige Entwicklung bezeichnen.” Die Bezeichung „maker culture ” sollte man hier anders verstehen, nämlich als Einfallsreichtum angesichts mangelnder Ressourcen. Was zählt, ist das Wissen um das enorme Wohlstandsgefälle, das sich zwischen den „Besitzenden” mit Zugang zu Wasser und den „Besitzlosen” ohne Zugang zu Wasser auftut und dass es zu überbrücken gilt.

Afrika ist insofern ein Kontinent der Macher als hier Dingen ein neuer Zweck verliehen wird, und es gibt unzählige großartige Exponate, die das belegen. Bodys Kingelez aus dem Kongo fertigt zum Beispiel prächtige detailreiche Stadtmodelle aus Packpapier und Styropor. Oder die Skulptur „Jua Kali City” der Kenianer Karmali, Murgarui und Mugo: Zwei große Zahnräder aus Metall, das größere repräsentiert mit Stahl- und Computerteilen den „offiziellen wirtschaftlichen” Sektor in Städten. Das kleinere Zahnrad steht für den informellen Sektor und besteht entsprechend aus Wellblech, Metallabfällen und Holz. Tahir Karmali sagt dazu: „Ohne die Ideen und Erfindungen des informellen Sektors könnte der offizielle Sektor niemals überleben”.

Lebenszyklen und Recycling

Viele afrikanische Länder haben nie eine wirtschaftliche Unabhängigkeit erlangt. Ihre Ressourcen wurden vielmehr angezapft und in den globalen Norden transportiert. Und in der Folge blieb der Kontinent sich selbst überlassen. Junge Unternehmen haben mit ihren Projekten insofern häufig westliche Technologien einfach übersprungen, so gab es niemals private Festnetztelefone, aber jeder hat heutzutage ein Handy. Und wenn Technologie nicht zur Verfügung steht, dann wird eben der alte Kram in etwas Neues verwandelt. Afrika importiert unendlich viele Gebrauchtwaren, neben Bergen von billigem Plastik. Autos, die in Europa nicht mehr als straßentauglich eingestuft werden, fahren endlos weiter, einzelne Teile werden ausgeschlachtet und neue „Mischmarkenautos“ entstehen. Okwui Enwezor, beratender Kurator der Ausstellung, sagt dazu: „Ich glaube, dass das Konzept des Recycelns sehr, sehr wichtig ist, weil uns Afrika lehren kann, wie Dingen ein neues Leben eingehaucht werden kann. Wie sie dank genialster Mittel neue Formen annehmen können. Die Politik des Recycling muss Teil unseres Diskurses im Rahmen von Design werden.”

In der Ausstellung finden sich sehr viele beeindruckende Beispiele solchen Erfindergeistes, einige sind dabei symbolischer als andere – so wie die „Ring-pull“-Verschlüsse von Bierdosen, aus denen El Anatsui einen riesigen schimmernden Wandteppich geschaffen hat. Oder die Plastikflaschen und -tüten, die Afrikas Mülldeponien zu ersticken drohen und die Bibi Seck in niedrige Tische und Stühle verwandelt hat. Ausgesprochen subtil ist die Fotoserie „The Prophecy”, ein Projekt, das durch Crowdfunding möglich wurde und mit dem auf die Umweltverschmutzung in Senegal aufmerksam gemacht werden soll. Auf jedem der Bilder ist eine göttinnengleiche Figur in mahnender Pose zu sehen, deren seltsame Gewänder, so sieht man es erst bei näherem Betrachten, aus eben jenem Abfall gefertigt sind, den die Bilder anprangern.

Moderne & Unabhängigkeit

Was ist also mit der Unabhängigkeit passiert? Im Ausstellungsbereich rechts neben dem Eingang zu „Making Africa” wird eine zweite Ausstellung zu Afrika gezeigt: „African Modernism”. Sie dokumentiert mehr als 80 Gebäude in fünf Ländern: in der Elfenbeinküste,in Ghana, Kenia, Senegal und Sambia. Die Gebäude sind alle nach der Unabhängigkeit im Stile der westlichen Moderne errichtet worden. Nur wenige von ihnen wurden im Hinblick auf eine „tropische Architektur” an lokale Erfordernisse oder kulturelle Gegebenheiten angepasst – wie die vielen nachträglich installierten Klimaanlagen verraten.

Das von Manuel Herz angeführte Team hat auf äußerst lobenswerte Weise ein Archiv geschaffen, eine Erinnerung daran, was afrikanische Anführer nach der Unabhängigkeit an Plänen umgesetzt haben: den Bau von Tagungszentren, Hotels, Universitäten, um eine postkoloniale Welt einzuläuten und internationale Beziehungen knüpfen zu können. Vielleicht aber diente das Ganze auch nur einer gewissen Zurschaustellung. In der Ausstellung nebenan treffen wir im Prinzip auf eine Moderne ohne die ganzheitliche Betrachtungsweise des Bauhaus. Hier tritt ein grundsätzliches Problem zu Tage, welches seit den 1960er Jahren und der Unabhängigkeit unverändert besteht. Damals gab es wenige bis keine lokalen Architekturfakultäten. Daher wurden die Gebäude Entwürfen nachempfunden, die an westlichen Universitäten entwickelt worden waren. Und wenn man sich nun anschaut, wo die Designer ausgebildet wurden, hat sich nicht wirklich etwas an dieser Situation geändert.

Mein Resümee lautet daher: Es gibt ein ungeheuer großes kreatives Potenzial in Afrika aber auch einen erheblichen Mangel an Ausbildungsmöglichkeiten. Eine Tragödie für die Entwicklung eines Kontinents dessen vorwiegend junge Bevölkerung nicht nur nach Wasser, sondern auch nach Wissen und Bildung dürstet. Nelson Mandela hat einmal gesagt: „Sich kleinzumachen und ein Leben zu akzeptieren, das weniger bietet als man selbst an Potenzial hat, ist leidenschaftslos.“


Making Africa. A Continent of Contemporary Design
14. März bis 13. September 2015
Vitra Design Museum, Weil am Rhein

Architektur der Unabhängigkeit. Afrikanische Moderne
20. Februar bis 13. Mai 2015
Vitra Design Museum, Weil am Rhein

African Modernism. The Architecture of Independence
herausgegeben von Manuel Herz, Ingrid Schröder,
Hans Focketyn und Julia Jamrozik
640 Seiten, mit 909 farbigen and 54 s/w Darstellungen, #
246 Plänen, sowie Fotografien von Iwan Baan und Alexia Webster
Park Books
ISBN 978-3-906027-74-6


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Afro-Funktionalismus – Architektur aus und für Afrika: Die Städte in Afrika wachsen rasant. Was also bringen die kleinen, feinen Architekturlösungen, die derzeit als vorbildlich gelten?

Cyrus Kabirus "Caribbean Sun" (2012), Aufnahme aus der "C-Stunners" Fotografie-Serie.
Foto © Carl de Souza/AFP/Getty Images
In der Ausstellung werden Kunst, Mode und Design thematisch arrangiert. Foto © Vitra
Omar Victor Diop: "Mame", Fotografie aus der Serie "The Studio of Vanities" (2013).
Foto © Victor Omar Diop, Courtesy Magnin-A Gallery
Bodys Isek Kingelez: "Étoile Rouge Congolaise" (1990).
Foto © Bodys Isek Kingelez, Courtesy C.A.A.C. - The Pigozzi Collection
Andile Dyalvane, Designer und Gründer von Imiso Ceramik.
Foto © Imiso Ceramics, Courtesy Southern Guild and Imiso
Justin Plunkett: "Skhayascraper", Rendering (2013).
Foto © Justin Plunkett, courtesy The Cabinet
Hotel Ivoire in Abidjan von den Architekten Heinz Fenchel und Thomas Leiterdorf, 1962-1970.
Foto © Iwan Baan
La Pyramide, Abidjan von Rinaldo Olivieri, 1973. Foto © Iwan Baan