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MODE UND MÖBEL, TEIL 3

Leder, Pelz oder Brokat – die Mode schwelgt in hochwertigen Materialen und aufwendigen Texturen. Das Möbeldesign hält sich einstweilen zurück.

Als Raf Simons Creative Director bei Jil Sander war, hat er es vorgemacht: Er schneiderte aus den Polsterstoffen des dänischen Herstellers Kvadrat voluminöse Mäntel und Roben für Damen und Herren. Naturgemäß fielen sie etwas steif aus. 2014 hat er das Ganze dann umgedreht und für Kvadrat eine eigene Kollektion von Möbelstoffen vorgestellt, die weitaus variantenreicher angelegt ist, als man das bislang von Polsterbezügen gewohnt war. Es gibt samtig-schimmernde Velours, Gewebe mit Bouclégarnen aus Merinowolle, und bei der jüngsten Kollektionserweiterung Twills mit fluoreszierenden Farbeffekten.

Bei Mode und Möbel lassen sich vor allem Überschneidungen, wo es um bestimmte Materialien und die damit verbunden Texturen geht, hauptsächlich bei Textilien, aber auch bei Leder feststellen. Holz, Metall, Stein oder Kunststoff kommen in der Mode so gut wie gar nicht vor. Der direkte Vergleich bleibt schwierig. Grundsätzlich lässt sich feststellen: Einerseits fallen Aspekte wie Qualität, Komfort und Langlebigkeit in beiden Bereichen wieder stärker ins Gewicht, andererseits sorgen ein rascher Wechsel im Angebot und ein erhöhter Preisdruck dafür, dass sich bestimmte Moden nicht allzu lange halten.

Mal chaotisch, mal effektvoll

So dürfte das Wiederaufleben von Pelz in der Bekleidung dem Phänomen zuzuschreiben sein, dass Luxus heute anders interpretiert und vermittelt wird: Nicht durch das vordergründige Zur-Schau-Tragen bestimmter Logos oder „It pieces“ wie in den achtziger Jahren, sondern allein durch das vornehme Material und die handwerkliche Expertise. Dasselbe gilt für den Einsatz von Leder, das zunehmend komplette Looks bestimmt. In der Mode kapriziert man sich derzeit gern darauf, unterschiedliche Materialien auf unkonventionelle Weise zu mischen und übereinander zu schichten, was manchmal recht zufällig, wenn nicht gar willkürlich wirkt. Wegweisend auf diesem Feld sind Prada, Gucci, Dries van Noten, Marni oder Miu Miu, in deren Kollektionen ein effekthascherischer, eigenwilliger Materialmix hervortritt, der auch als Ausdruck eines von Überangebot und Orientierungslosigkeit gekennzeichneten Lebensgefühls gelten kann.

Verblüffende Trompe L’Oeil-Effekte, die mittels neuester Druck- und Veredelungstechniken erzielt werden, sind derzeit wohl das innovativste, was die Mode in puncto Materialien und Textur zu bieten hat. So kreiert Miuccia Prada zum kommenden Sommer Outfits, die aus Tweed und Neopren gefertigt zu sein scheinen. In Wirklichkeit aber wird Doubleface-Jersey verwendet, der mit dreidimensionalen Applikationen versehen wie ein klassisch-karierter englischer Wollstoff anmutet oder mit Glanz veredelt der funktionalen Kunstfaser aus dem Tauchsport sehr ähnlich sieht. Zu erkennen sind diese „Special Effects“ tatsächlich nur aus nächster Nähe oder bei direkter Berührung.

Neben diesem Ausreißer kommt über die Gegensätze „stark versus starr“ sowie „fragil versus zerbrechlich“ Dynamik in die Kollektionen. Patchworks sind da die einfachsten Beispiele, mehr noch sind es aber Materialkombinationen wie Lack mit Spitze, Seide mit gekochter Wolle, Strick mit Nylon oder das Verweben unterschiedlichster Garne, die hervorstechen.

Während Designer wie Rei Kawakubo, Hussein Chalayan und Junya Watanabe seit eh und je die Möglichkeiten und Grenzen von Materialien und Texturen ausloten, sind es nun Designer wie Valentino, Gucci, Alexander McQueen und Saint Laurent, die ihren einmal propagierten Stil mittels andersartiger Materialien und Oberflächen erneuern. Und das funktioniert sogar: Denn auch die Kundin sucht – in einer Zeit, die sich konstant selbst überholt und ihrer selbst überdrüssig ist – verstärkt das Bewährte und Vertraute, allerdings mit überraschendem Twist.

Mal heimelig, mal luxuriös

Als das postmoderne Spiel mit Versatzstücken der Vergangenheit vorüber und der Übergang zu einem sachlichen und eher coolen Auftreten vollzogen war, kehrten im Zeichen von „Cocooning“ und mit viel Holz auch im Bereich der Möbel und auf der Ebene der Materialien eine gewisse Heimeligkeit zurück. Die kühle, weiße „Showroomwelt“ wurde im Hang zu „Vintage“ abgelöst vom Charme des Gebrauchten. Parallel zum Rückzug ins kuschelige Heim begannen junge, emanzipierte Frauen plötzlich wieder zu stricken – gestrickt wurden aber nicht nur mehr Pullover und Loopschals, gestrickt wurde auch um Baumstämme, Fahrräder und Laternenmaste herum.

Auch bei Möbeln gab es plötzlich Strickbezüge für Poufs und Kissen. Oder Strick wurde abstrahiert zu gesteppten Heimtextilien transformiert – wie die Modelle „Picot“ von Paola Lenti oder „Foliage“ von Patricia Urquiola für Kartell beispielhaft zeigen. Die gesteigerte Vorliebe für helles, naturbelassenes Holz, das man vor allem im Programm der jungen Designanbieter aus Skandinavien findet, weist ebenfalls in diese Richtung und spielt darüber hinaus auf ein gesteigertes Öko-Bewusstsein der jungen Generation an. Im Gegenzug sind hochwertige Materialien wie Marmor, Messing und Kupfer in letzter Zeit wieder en vogue – das Pendant in der Mode sind Fell, Seide, Brokat und Kaschmir.

Da sich bei der Wohnungseinrichtung das Prinzip der Collage durchgesetzt hat, lässt sich die Dominanz eines bestimmten Materials oder einer bestimmten Textur nicht feststellen. Auch hier kommt es auf die Mischung an, wobei handwerkliche Verarbeitung und haptisch anspruchsvoller und warm wirkende Materialien und Oberflächen heute eine größere Akzeptanz finden als noch vor wenigen Jahren. Stoffe rücken bei der Inneneinrichtung insgesamt wieder verstärkt in den Fokus, mittels raffiniert gemachter Bezüge gibt man Polsterlinien einen neuen Dreh. Die in Zusammenarbeit mit Designern wie Alfredo Häberli und den Gebrüdern Bouroullec entwickelten Kollektionen von Kvadrat sind nur ein Beispiel dafür. Selbst der klassische handgeknüpfte Teppich ist aufs Parkett zurückgekehrt, allerdings in weniger traditioneller als in künstlerisch gestalteter Form.

Mode: Durch voluminöse Silhouetten und texturierte Oberflächen versucht das Modedesign die menschliche Figur zu verfremden, zu hinterfragen, neu zu justieren. Junya Watanabe ist Meister darin, Kleider oder Mäntel zu kreieren, die sich wie grobe schwere Netze oder wie ein Stoff gewordenes Origami um den Körper legen. Das New Yorker Designerduo Proenza Schouler sucht im Schichten und Drapieren verschiedener Stofflagen Momente von textiler Räumlichkeit.

Möbel: Ob „Ploum“, „Redondo“ oder „Ruché“ – Polstermöbel setzen nicht nur auf eine außergewöhnliche Form, sie bestechen auch durch raffinierte, oft abgesteppte Bezüge. Besonders Designer wie Erwan und Ronan Bouroullec, Patricia Urquiola und Inga Sempé spielen gern mit aufwendig gesteppten und gewebten Stoffen. Bei Outdoor-Möbeln wiederum werden grobe Flechtwerke eingesetzt, zu beobachten etwa in den Kollektion von Dedon, Kettal und Tribù. Selbst auf Tapeten kommt durch dreidimensionale Strukturen Bewegung ins Spiel. Nicht nur das Auge erfreut sich an solchermaßen strukturierten Oberflächen, auch die haptische Erfahrung wird zur Entdeckungsreise.

Mode: Schon länger kontrovers diskutiert, seit kurzem wieder neu etabliert: Pelz in der Mode, der – eingefärbt, gemischt mit anderen Materialien oder nur als einzelner Patch – sich seiner traditionellen Schwere entledigt hat und von Karl Lagerfeld deshalb auch „Fun Fur“ getauft wurde. Längst kommt Pelz nicht mehr bloß für Mäntel und Jacken in Frage, sondern auch mal als Kleid, Pullover oder als Accessoires-Detail, selbst an Sneakern.

Möbel: Während Fell in der Mode üppig eingesetzt wird, kommt es bei Möbeln nur selten vor. Das hat zunächst einen ganz praktischen Grund: Ein solcher Bezug würde sich durch die starke Beanspruchung auf Sitzmöbeln schnell abnutzen. Gleichwohl sah man beim letzten Salone immer wieder „haarige“ Poufs – etwa komplett in schwarzes, mongolisches Ziegenfell gehüllte bei Driade. Als Überwurf, etwa über einen „Plastic Chair“ von Charles und Ray Eames funktionieren Lammfelle, ob echt oder künstlich, allemal.

Mode: Kaum etwas scheint aktuell innovativer zu sein, als an sich Unvereinbares miteinander zu verbinden. Looks mit unterschiedlichsten Materialien und Texturen, in Modefachkreisen „Hybride“ genannt, werden derzeit gepusht – je unkonventioneller die Mischung, je größer die Chance, registriert zu werden. Eine Gratwanderung, die mal bravourös absoviert wird, mal aber auch gnadenlos misslingt. Überzeugende Virtuosin textiler Melangen ist neben Marni und Dries van Noten die Japanerin Chitose Abe mit ihrem Label Sacai.

Möbel: Von „Hybriden“ zu sprechen, so wie derzeit die Mode sie definiert, ist fürs Möbel obsolet, da die Kombination von verschiedenen Materialien in einem Stück schon seit eh und je der Fall ist. Interessanter sind da echte Hybridmaterialien. Gerade im Bauwesen sind diese Verbundstoffe ein großes Thema, verschmelzen sie doch Vorteile von verschiedenen Welten miteinander, etwa wenn Holz mit Polyethylen zu wasserresistenten Terrassendielen oder Karbonbewehrungsgitter mit Zement zu Textilbeton für runde Bauteile werden. Aber auch im Design tauchen sie immer mehr auf, wohl auch durch die neuen 3D-Druckverfahren, die Materialien zusammensintern können wie etwa das aus Mineralien mit Polyestern und Acrylpolymeren bestehende Cristalplant. Auch so genannte „Mulit-Layer-Materials“ gehören zu dieser Sorte und erobert nach der Luftfahrts-, Automobil- und Sportbranche nun das Möbeldesign. So hat zum vergangenen Salone Konstantin Grcic den Stuhl „Kyudo“ für Magis vorgestellt, dessen Holzbeine aus schichtweise verbundenem Holz mit Karbonfaser bestehen.

Mode: Glänzendem Lack haftet seit jeher der Ruf von Verruchtheit an, daher suchte man das Material in der „High Fashion“ lange Zeit vergebens, beziehungsweise fand es vor allem bei Designern, die mit der Fetisch-Kultur kokettierten, wie etwa Jean-Paul Gaultier. Raf Simons ist es zu verdanken, dass die Lust auf Lack auch jenseits des Rotlicht-Milieus eine Renaissance erlebt: Für seine Dior-Kollektion für den Sommer 2016 zeigt er hautenge, lackierte Overknee-Stiefel zu kurzen Couture-Kleidern. Comme des Garçons, Loewe und MSGM ziehen just nach.

Möbel: Ob hochglänzender Kunststoff, lackiertes Metall oder Holz – glänzende Oberflächen sind nicht gerade ein vorherrschendes Thema im Möbeldesign, wenn überhaupt. Zuletzt hat man eher auf matte Oberflächen gesetzt. Ob durch Reminiszenzen an vergangene Perioden, wie es Kartell mit der Wiederauflage von Ettore Sottsass-Objekten gezeigt hat, wieder glanzvollere Zeiten kommen, ist fraglich.

Mode: Die schwarze Leder-Latzhose bei Hermès, der lavendelfarbene, lederne Achtziger-Jahre-Oversize-Mantel oder das mehrfarbige Leder-Patchwork-Sweatshirt bei Loewe – die gegerbte Tierhaut befreit sich aus etablierten Schubladen und findet über Bekleidungstypologien hinweg vielfältige neue Anwendungsformen. Von „schwer“ und „derb“ bis hin zu „butterweich“ und „papierdünn“ erstreckt sich die Bandbreite.

Möbel: Noch immer gilt die Ledercouch als der Inbegriff gutbürgerlichen Wohnens, als ein gutes Stück, das man sich zulegt, wenn viele Fragen im Leben geklärt sind und man sich für längere Zeit einrichtet. Leder war und ist immer ein Bestandteil des Möbeldesigns, vor allem für Polstermöbel wie Sofas, Sessel, Stühle und Liegen. Doch selbst für Tische kommt ein Lederbezug heute in Frage – siehe das Modell „Pegasus“ von Tilla Goldberg für ClassiCon. Neu ist, dass Leder auch wieder mehr Falten werfen darf, wie etwa die sehr erfolgreiche Sitzmöbel-Kollektion „Leya“ von Freifrau zeigt.

Mode: Samt geht auf dem Modeparkett neue Wege und steht für den Drang, sich unkonventionell, aber modisch zu kleiden. Verortet ist Samt nach wie vor in der Kultur der Hippies und Bohemiens der siebziger und achtziger Jahre, aber auch im viktorianischen Zeitalter, alles Anklänge, die Designer wie Valentino, Givenchy oder Chloé zuletzt auf poetische Weise umsetzten.

Möbel: Als Bezugstoff wird Samt nur selten verwendet, da er vergleichsweise schmutzanfällig und pflegeintensiv ist. Wo es bewusst modisch zugeht, ist aber auch Samt ein Thema – zu sehen nicht nur in der Raf Simons-Kollektion für Kvadrat, sondern auch auf dem Salone an Ständen von Walter Knoll und Driade.

Mode: Brokat, Jacquards, geklöppelte Spitze oder Makramee zeugen vom textilen Reichtum vieler Kulturen, von der Lust an Extravaganz und Dekadenz, aber auch von Handwerk und Expertise. Wie eine Zeitreise durch die eigenen Archive wirkt die Linie von Dries van Noten, der die textile Üppigkeit wie kein Zweiter in besonderer Komplexität, Kombinationsfreude und Brillanz spielt.

Möbel: Ob der Marmor-Tisch von Angelo Mangiarotti für Agape oder der „Bell Table“ mit Kupferpartien von Sebastian Herkner für ClassiCon: Marmor, Messing und Kupfer dürften im Möbelbereich als Pendant für die hochwertigen Textilien in der Mode gelten. Messing ist zwar kein Edelmetall, schimmert aber wie Gold und zeugt von der Sehnsucht nach glänzenden, vergangenen Zeiten. Oder steht es für den Wunsch nach einem schillernden Nachtleben? Zu sehen etwa bei Tom Dixon oder Delightfull.