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Classicon kennt sich mit der Raffinesse verspiegelter Oberflächen aus – wie auch der neue „Pli" Esstisch von Victoria Wilmotte beweist.

Spieglein, Spieglein, überall

An Wänden, in Ecken oder auf Podesten – auf der Kölner Möbelmesse 2017 boten sich viele Gelegenheiten zur Reflektion und Illusion.
von Jasmin Jouhar | 25.01.2017

Es war einmal auf dem Messegelände zu Köln, als sich wie jedes Jahr zur imm cologne all die Hersteller, Händler, Designer und Architekten bang um den wissenden Spiegel versammelten. Einer aber fasste sich ein Herz und fragte: „Spieglein, Spieglein an der Wand: Was ist das Schönste im ganzen Möbelland?“ Alle rätselten: Sind es große Tische oder kleine Sessel, lange Leuchten oder kurze Vorhänge? Ist es Holz oder Samt? Der Spiegel aber sprach: „In diesem Jahr bin ich selbst das Schönste im ganzen Land“.

Petite Friture diversifiziert seine Kollektion mit „Panache“ von Constance Guisset.
Der Stand von Pulpo glänzt komplett – unterstützt von den neuen Standspiegeln „Dita & Olivia“ von Davide Monopoli.

Schauen wir also in den Spiegel und hören seine Botschaft. Beispielsweise am Stand des Pariser Labels Petite Friture: Die Wände sind bunt gemustert, darauf hängen extravagante Wandspiegel mit Masken, Farbwölkchen oder – neu in dieser Saison – mit Quasten links und rechts. Das hebt die Stimmung am Morgen. Und das hat eine Leichtigkeit und Ironie, wie sie wohl so elegant nur die Franzosen beherrschen. Frankreich ist ein besonderes Spiegelland, der berühmte Saal in Versailles fand zahlreiche Nachahmer in den Residenzen Europas.

Die festliche Stimmung vielfach reflektierten Lichterglanzes ist unübertroffen, zumal dank der Spiegel so manches bescheidene Kabinett größer wirkt, als es tatsächlich ist. Das wusste auch Adolf Loos, als er 1908 auf rund 27 Quadratmetern die Kärntner Bar einrichtete – unter anderem mit Wandspiegeln. Der junge deutsche Designer Christoph Hauf bedient sich dieses Effekts bei seinem „Slanted Mirror“ auf raffinierte Weise: Der rahmenlose Spiegel in Form eines gestreckten Trapezes soll in vernachlässigte Zimmerecken gelehnt werden und so die Wahrnehmung des Raumes verändern. Der Jury des Pure Talents Contest, dem Nachwuchswettbewerb der imm cologne, war dieser Entwurf eine Auszeichnung wert. Mit der Illusion von Tiefe spielte auch die Frankfurter von  e15 bei ihrem Beitrag für die „Featured Editions“: Zwei Sofalandschaften, eine grau, eine floral gemustert, dehnten sich dank eines mit Spiegelfolie überzogenen Wandschirms ins Unendliche. Ein alter Trick, um vorzuführen, wie unterschiedlich ein und dasselbe Möbel wirken kann.

Für die „Featured Editions“ streckte e15 das Sofa „Kerman“ ins Unendliche.

Doch Spiegel können nicht nur Raumtiefe vorgaukeln, sie sind auch bloße Oberfläche. Glatt, hart und kalt wurden sie in den Achtzigerjahren inszeniert, als sich „Corporate America“ hinter kristallin-verspiegelten Hochhausfassaden verschanzte. Auch die Partypeople in den Clubs feierten auf Dancefloors aus Spiegelglas ihre Eitelkeit. Diese Ästhetik erlebte in Köln am Stand von Pulpo ihre Wiederauferstehung. Bei Ursula und Patrick L’hoste standen die Produkte auf verspiegelten Podesten wie Go-go-Tänzer in der Disco. Silbrig glänzende Vorhänge bildeten den Hintergrund. Der Glamour-Auftritt brachte Pulpos Beistelltische, Spiegel, Vasen und Leuchten nicht nur bestens zu Geltung, er hob sich auch von vielen anderen Ständen ab. 

Denn auf den Möbelmessen dominieren zurzeit die Inszenierungen kompletter Wohnwelten. Mit großer Detailfreude werden Wohnzimmer, Homeoffices oder Schlafzimmer bis zum letzten Kissen gestylt. Das hat damit zu tun, dass viele Marken ihr Portfolio in alle denkbare Richtungen ausdehnen. Anbieter von Accessoires bietet auch Schalenstühle, Regale und Sofas an – Möbelhersteller bieten wiederum Schneidbretter, Decken und Notizbücher. Mit dem Ergebnis, dass sich viele Stände immer ähnlicher geworden sind. Pulpo hat den Kollegen nun den Spiegel vorgehalten und gezeigt, dass es auch reduzierter und prägnanter geht.

Mit „Mirror“ begann die Karriere vom Kölner Designduo Kaschkasch, das ihr fünfjähriges Bestehen im Rahmen der Passagen zelebrierte.
Christoph Hauf stellte beim Pure Talent Contest seinen „Slanted Mirror“ in die Ecke.

Auch bei Classicon setzte man auf die Raffinesse der spiegelnden Oberfläche: besonders zeitgenössisch mit der Tischserie „Pli“ der Französin Victoria Wilmotte. Zum niedrigen Beistelltisch aus dem vergangenen Jahr gesellten sich nun ein hoher Beistelltisch und ein Esstisch, allesamt mit einem glänzend-facettierten Edelstahlfuß. Dank der Spiegeleffekte wirkt „Pli“ elegant und leicht. Das Label &tradition aus Kopenhagen bewies mit der Langfeld-Pendelleuchte „Fornell“, dass man einem banalen Objekt dank einer Verspiegelung eine größere Ausstrahlung verleihen kann. Die Außenseite des langgestreckten Aluminiumschirms ist matt, die Innenseite dagegen auf Hochglanz poliert, um das Licht zu reflektieren.

Was macht diese Objekte derzeit so attraktiv? Spiegelglas oder hochglanzpolierter Edelstahl wirken künstlich. Das fällt auf zwischen all den Holztischen, Wollstoffen und Grünpflanzen, mit denen die Branche Natürlichkeit beschwört.

Einen weiteren Trick hat der Spiegel noch auf Lager: Er vermag ein Objekt auch zum Verschwinden zu bringen – wenn es selbst ganz und gar verspiegelt ist. Das Berliner Label My Kilos hat diesen Effekt in hochglanzpoliertem Edelstahl durchexerziert, an einem Wandregal und an seiner erfolgreichen „Bread Box“. Die lässt Designbegeisterte nun schon morgens bei beim Broteschmieren in ihr Spiegelbild blicken wie Narziss. „Spieglein, Spieglein…“.

Jaime Hayon verwandelte seinen ikonischen Affen in einen Wandspiegel im Rahmen seiner neuen Kollektion für Wittmann.
Auch in der Küche dürfen Reflektionen nicht fehlen: „Neo Salon“ von Nolte Küchen, gestaltet von Meiré und Meiré.