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Sam Hecht

Komfortable Referenz

Kim Colin und Sam Hecht vom Studio Industrial Facility haben mit der Kollektion S 220 für Thonet den klassischen Bugholzstuhl neu interpretiert. Das Ergebnis ist ein materialeffizienter Formholzstuhl mit einer Basis aus Stahlrohr. Die Idee erklärt uns Sam Hecht im Interview.
13.12.2022

Anna Moldenhauer: Wie kam die Idee den Formholzstuhl S 220 für Thonet zu entwerfen zustande?

Sam Hecht: Wir kennen die Produkte von Thonet sehr gut, der 214 ist beispielsweise einer meiner Lieblingsstühle. Wir haben mit dem Unternehmen über die Weiterentwicklung der bestehenden Formen gesprochen und gemeinsam ein Design gefunden, das in das Portfolio von Thonet passt.

Die Stühle von Thonet sind zeitlose Klassiker – da ist eine Weiterentwicklung eine besondere Herausforderung. Was war euch im Ergebnis wichtig zu vermitteln?

Sam Hecht: Die Aufgabe hat in der Tat eine gewisse Sensibilität für die Tradition des Unternehmens Thonet erfordert – wir wollten daher eine Referenz an das bestehende Werk, keine modische Neuentwicklung. Die grafische Silhouette des S 220 ist so identisch mit der des 209, nur das diese bei letzterem aus Bugholz geformt ist und wir quasi die Linien mit Formsperrholz ausgefüllt haben.

Mit Blick auf das Material – ab 1830 experimentierte Michael Thonet mit der Verleimung von Furnierschichten. Nehmt ihr mit dem Aufbau aus Formsperrholz und Stahlrohr darauf Bezug?

Sam Hecht: Das Wissen von Thonet hinsichtlich der Verarbeitung des Holzes war auf jeden Fall wertvoll für uns. Für den Aufbau haben wir das Formsperrholz bis an die Grenzen gebracht. Das Material Bugholz findet sich hingegen als Armlehnen wieder.

Die Schale hat eine Wasserfallkante, die den Sitz bequemer macht. Gibt es weitere Details, die der sitzenden Person entgegenkommen?

Sam Hecht: Die Wasserfallkante der Sitzschale stellt sicher, dass man auch in der Bewegung bequem sitzt, beispielsweise wenn man sich beim Sitzen seitlich dreht. Zu dem hohen Komfort des S 220 trägt auch die durchgehende Rückenlehne bei. Zudem ist der Stuhl stapelbar. Es ist diese Kombination aus Funktionalität und organischen Anmut, die ich an Thonet liebe. Die Form repräsentiert den menschlichen Körper, der auch keine gerade Geometrie hat. Während ich mich auf dem S 220 bewege, verändert sich die Präsenz des Stuhls. Gleichzeitig ist der Ausdruck der Form im Raum nicht zu expressiv.

Hat die Nummer 220 eine besondere Bewandtnis?

Sam Hecht: Nein, die Nummer wurde von Thonet vorgegeben, sie beruht auf einem internen System.

Inwiefern wird die Stuhlfamilie S 220 noch weiterentwickelt?

Sam Hecht: Neben dem aktuellen Gestell aus Stahlrohr planen wir noch weitere Varianten. Dazu entwickeln wir gerade eine Hockerversion.

Euer Designspektrum reicht über Möbel bis zu Alltagsgegenständen – nützlich, ästhetisch, mit gerundeten Kanten und im Ausdruck nicht zu aufgeregt. Es sind eher Begleiter als Skulpturen. Widmen wir der Gestaltung des Alltäglichen zu wenig Aufmerksamkeit?

Sam Hecht: Ich glaube, wir als GestalterInnen schenken dem Alltäglichen sehr viel Aufmerksamkeit. Es ist nur so, dass vieles davon nicht sehr gut ist. (lacht) Das ist das Problem. Es liegt nicht an einem Mangel an Aufmerksamkeit, sondern an einem Mangel an Sorgfalt würde ich sagen. Wir haben den KundInnen gegenüber eine Verantwortung und sollten von längeren Lebensspannen der Produkte ausgehen. Unser Design sollte so interessant und nützlich sein, dass die Menschen es gerne verwenden möchten und es so lange im Umlauf bleibt.

Kim Colin ist Architektin, du bist Industriedesigner. Ihr habt in unterschiedlichen Ländern studiert, in London und Kalifornien. Wie beeinflussen eure unterschiedlichen Ausbildungen eurer Möbeldesign?

Sam Hecht: Die Zusammenarbeit zwischen uns funktioniert sehr gut, weil wir auf unterschiedlichen Feldern ExpertInnen sind. Kim ist sehr, sehr gut darin, das große Ganze zu verstehen und die Bedeutung der Gesellschaft, der Gemeinschaft und des Unternehmens bei der Gestaltung eines Objekts mitzudenken. Ich schaue eher auf die Details und wie die Verbindungen der Form miteinander funktionieren. Das führt natürlich dazu, dass wir oft unterschiedlicher Meinung sind und viel diskutieren, aber ich denke das ist der Kern des Erfolges.

Prototypen des "S 220"

Als ihr 2002 "Industrial Facility" gegründet habt, ging es euch um einen neuen Ansatz im Design. Unsere Realität hat sich seitdem sehr verändert, und so auch die Verantwortung, die auf den GestalterInnen liegt. Was ist euch heute wichtig über die Gestaltung zu vermitteln?

Sam Hecht: Ich denke was man als GestalterIn beachten sollte, ist das sich der Wandel je nach Branche unterschiedlich schnell vollzieht. Die Geschwindigkeit, in der sich die Form von Möbeln verändert, ist im Grunde sehr gering. Im Grunde ist auch der S 220 immer noch ein Stuhl auf vier Beinen, aber er ist den modernen Bedingungen angepasst, den heutigen Ansprüchen an Komfort und universeller Verwendbarkeit auch in kleinen Räumen. Die Technologie beispielsweise entwickelt sich indes wesentlich schneller. Man sollte nicht erwarten, dass sich Möbel ständig verändern, denn sonst stehen die Entwürfe in einem Ungleichgewicht zu dem Bedürfnis der Menschen diese zu benötigen. Unsere Aufgabe ist es auf den Wandel zu reagieren, nicht den Wandel herbeizuführen.

Was brauchen wir für ein "New Work" deiner Meinung nach wirklich?

Sam Hecht: Das größte Versprechen der Büromöbelbranche ist meiner Meinung nach derzeit die Agilität, die ein neues Phänomen ist. Es ist die Idee, dass man nicht weiß, was in den nächsten Monaten, geschweige denn im nächsten Jahr passieren wird und trotzdem immer perfekt für jede Situation ausgestattet ist. Es wird also Beweglichkeit versprochen, Leichtigkeit, Anpassungsfähigkeit. Parallel haben wir mit Ressourcenknappheit und einer Energiekrise zu kämpfen, wissen also nicht, inwieweit wir diese Beweglichkeit langfristig realisieren können. Für ein "New Work" müssen wir alle Herausforderungen berücksichtigen, denen wir uns derzeit gegenüber sehen.