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Gabriel Roland

VIENNA DESIGN WEEK 2021 – PREVIEW
Segel setzen

Seit kurzem hat Gabriel Roland die Leitung der Vienna Design Week inne, die in diesem Jahr vom 24. September bis zum 3. Oktober 2021 in Wien stattfindet. Anna Moldenhauer sprach mit ihm über seine Pläne für das Festival.
13.09.2021

Anna Moldenhauer: Gabriel, an welchem Thema für die Vienna Design Week arbeitest du gerade mit deinem Team?

Gabriel Roland: Wir haben vor kurzem unseren Faltplan freigegeben – ein Stadtplan von Wien mit allen Informationen zu gut 50 Veranstaltungsorten mit rund 200 Ausstellungen, Präsentationen, Vernissagen, Talks, Workshops und Touren. Der Plan ist ein physischer Begleiter für alle BesucherInnen. Zudem werden wir wieder eine Augmented Reality App anbieten. Im Vergleich zum letzten Jahr haben wir die Funktionen erweitert – voreingestellte Touren können ausgewählt und eigene Touren geplant werden. Wenn man sich in der Nähe eines Programmpunkts befindet, werden zudem weiterführende Informationen angezeigt.

Plant ihr die digitalen Angebote zukünftig auszubauen und die Vienna Design Week dadurch hybrider zu gestalten?

Gabriel Roland: Ich war bereits im letzten Jahr für das digitale Programm verantwortlich und bin fest davon überzeugt, dass es relativ wenig Sinn macht, ein physisches Programm Eins zu Eins in den digitalen Raum zu übertragen. Das wird den Möglichkeiten und dem qualitativen Anspruch auf beiden Seiten nicht gerecht. Die virtuelle Festivalzentrale im letzten Jahr war ein komplett eigenständiger Programmpunkt, um das Festival zu erweitern – und nicht um es zu duplizieren. Die Vienna Design Week wird sich auch in Zukunft mit dem Digitalen auseinandersetzen, ohne dadurch unbedingt zu einer hybriden Veranstaltung zu werden.

Stadtraum neu erleben: Die Vienna Design Week 2021 setzt den Bezirk Brigittenau in den Fokus

Den Staffelstab für die Leitung des Festivals hat dir vor kurzem Lilli Hollein übergeben, die die Vienna Design Week mitbegründet hat. Kannst du schon etwas zu der zukünftigen Ausrichtung sagen?

Gabriel Roland: Dieses Jahr ist geht es für mich in erster Linie ums Beobachten. Ich bin schon ein paar Jahre dabei, aber werde das Festival nun aus einer ganz anderen Perspektive betrachten. Beliebte Formate des Festivals wie die Auseinandersetzung mit Social Design im Bereich der Stadtarbeit oder die Themen Handwerk und Nachhaltigkeit werden bleiben. Der Festivalgeist ist aber trotzdem dynamisch und so sollte auch die Struktur der Vienna Design Week sein. Dabei stellt sich natürlich die Frage, was ein Designfestival inhaltlich benötigt. Ich würde zu dieser grundlegenden Thematik gerne ein Konferenzformat anbieten. Das ist auch eine Qualität des Festivals, dass es die Chance bietet, gemeinsam einen Schritt zurückzutreten, um das große Ganze zu sehen.

Warum habt ihr euch entschieden, in diesem Jahr die Brigittenau als Fokusbezirk auszuwählen?

Gabriel Roland: Wir beobachten recht genau, wo sich in der Stadt interessante Entwicklungen und Dynamiken ergeben. Im 20. Bezirk, der Brigittenau, wird in Kürze das Nordwestbahnhofgelände zu einem Stadtentwicklungsprojekt umgebaut, in dem bis zu 15.000 neue BewohnerInnen unterkommen werden. Dieser Einschnitt wird den Bezirk radikal verändern. Für uns als Designfestival ist es sehr interessant den Status Quo zu ermitteln und zu schauen, wo sich gemeinsame Perspektiven ergeben. Das ist gerade in unserer Auseinandersetzung mit Social Design aber auch in der Stadtplanung und Architektur wichtig. Da ist die Brigittenau ein toller Ort, da er für viele BesucherInnen noch kein zentraler Begriff ist, aber gleichzeitig voller Qualitäten steckt. Er liegt zwischen zwei Flusslandschaften und bietet viele kleine Oasen. Dabei ist er städtebaulich stark durchmischt und gleichzeitig relativ jung, da er erst im 19. Jahrhundert aus einer unregulierten Landschaft entstanden ist. Zudem sind die Wohnformen wie die Bevölkerungsstruktur sehr divers. Da ist es sehr interessant zu sehen, wie diese Co-Existenz hinsichtlich der Gestaltung funktioniert.

Das klingt spannend. Als BesucherIn erkundet man ja oft nur die Bezirke rund um den Stadtkern und verpasst so viele interessante Facetten von Wien.

Gabriel Roland: Das geht vielen WienerInnen sicher nicht anders. Oft fehlen die Anreize oder Gelegenheiten, sich die anderen Bezirke im Detail anzuschauen. Daher bietet die Vienna Design Week auch für die WienerInnen eine Chance die Vielfalt ihrer Stadt kennenzulernen. Parallel möchten wir den Kreativen die Möglichkeiten einer Vernetzung geben und nachhaltig wirkende Projekte in der Brigittenau anstoßen, die auch nach dem Festival bestehen bleiben.

Der niederschwellige Zugang und das interaktive Angebot sind sicher große Stärken des Festivals. Gibt es darüber hinaus einen Vermittlungsaspekt, der für dich von Bedeutung ist?

Gabriel Roland: Der Aspekt der Plattform ist ganz wichtig. Wir wollen herausstellen, dass die Werkzeuge der Gestaltung uns alle in unserem Leben begleiten. Wenn ich den Begriff "Design" in der Kommunikation verwende, gibt es oft viele Vorurteile seitens Menschen, die ihre Rolle im Diskurs noch nicht entdeckt haben. Deshalb ist es wichtig eine Vermittlung anzustoßen und zu erklären was Design alles sein kann – sei es im öffentlichen Raum oder als Industrieprodukt, Alltagsgegenstand und Kommunikationsform. Letztendlich ist es auch eine Art System, mit dem wir unser Zusammenleben organisieren. Wir versuchen diesen Diskurs zu normalisieren und Leute zu integrieren, die bislang noch nicht daran beteiligt waren. Daher laden wir GestalterInnen und HerstellerInnen ein, sich auf der Vienna Design Week zu präsentieren und mit den Besuchern in einen Austausch zu treten, so dass es zu einem gegenseitigen Verständnis und zu einer Wertschätzung kommt. Das ist meiner Ansicht ganz entscheidend, denn diese Wertschätzung fehlt an allen Ecken und Enden. Das Vermittlungsprogramm soll auch weiterhin möglichst viele Einstiegspunkte in das Thema Design anbieten. Daher bleibt der Besuch des Festivals kostenlos und wir arbeiten viel mit Ausbildungsstätten zusammen. Es muss nicht jede/r im Designprozess partizipativ werden, aber eine entsprechende Kommunikation ist schon notwendig, um ein mündiger Konsument zu werden. Wenn wir uns mit den gesamtgesellschaftlichen Designentscheidungen nicht auseinandersetzen, verpassen wir die Chance der Mitgestaltung.

Wie entwickelt sich die Designszene in Wien aus deiner Sicht aktuell?

Gabriel Roland: Wien hat tolle LokalmatadorInnen, die ihren Ort in der Designproduktion gefunden haben und international vernetzt sind. Zudem bietet die Stadt ausgezeichnete Bildungsinstitutionen, die zuverlässig Nachwuchstalente hervorbringen. Ich habe auch den Eindruck, dass Wien vermehrt zu einer attraktiven Stadt für Leute von außerhalb wird, die sich hier ansiedeln. Ich denke das hat auch damit zu tun, dass Wien eine hohe Lebensqualität bei bezahlbaren Mieten bietet. Mit der Wirtschaftsagentur Wien haben wir zudem einen innovativen Fördersektor, der dafür sorgt, das kreative Ideen auch umgesetzt werden können. Der Begriff "Design" umfasst dabei die unterschiedlichsten GestalterInnen – und da wir diese Bandbreite haben und gleichzeitig eine gewisse Exzellenz in der Industrie, dem Handwerk und im Digitalen, ergeben sich viele Anknüpfungspunkte für die Vermittlungsarbeit. Bei der jungen Szene wird das kollaborative Element aktuell wichtiger, was vom gemeinsamen Studio bis zu einer kooperativen Grundhaltung reicht. Deshalb schauen wir, wie all diese Aspekte in einem Festival am besten erfahrbar sind.

Gibt es etwas, was du in der Vermittlungsarbeit als Herausforderung wahrnimmst?

Gabriel Roland: Der Unterschied eines Festival zu einer Messe oder einem Event ist, dass der Erfolg quantitativ nicht messbar ist. Ein Festival bietet eine Atmosphäre mit vielen Ansatzmöglichkeiten für einen gemeinsamen Kontext und die Teilnahme daran signalisiert die grundsätzliche Offenheit gegenüber der Designszene, was langfristig Vorteile mit sich bringt. HerstellerInnen haben die Möglichkeit sich selbst mit ihrem Angebot einzubringen und von der lebendigen Kreativszene Österreichs zu profitieren. Das ist ein organischer Prozess und weniger kanalisiert. Um neue Sichtweisen zu generieren, muss man da verstärkt in die Vermittlungsarbeit einsteigen.

Du hast Textildesign studiert und verfasst regelmäßig eine Modekolumne im Popkulturmagazin The Gap. Wie wird dein Sinn für Mode die Vienna Design Week prägen?

Gabriel Roland: Ich habe eine Begeisterung für das Thema, aber die Vienna Design Week wird nicht auf einmal ihr Themengebiet ändern – da sind andere Festivals spezialisierter. Ein zentraler Punkt, den ich aus dem Studium mitgenommen habe, ist die Freude am Experiment. Das wird sicher auch in die Ausrichtung der Vienna Design Week einfließen.

Das Team der Vienna Design Week 2021: Hanna Facchinelli, Marina Weitgasser, Laura Winkler, Gabriel Roland, Alexandra Brückner